22.03.2020

Alkohol: Ein historisches Allzweckmittel

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
In den vergangenen Jahrhunderten war Alkohol einer der wichtigsten Stoffe und wurde vielfältig eingesetzt. Der sogenannte Branntwein, der oft aus dem Trester, also den Abfällen bei der Most- und Weingewinnung gebrannt wurde, eignete sich als Lösungsmittel zur Herstellung von Medikamenten.Lösungsmittel, um Heilkräfte zu entfaltenWurzeln und Kräuter wurden eingelegt und die Wirkstoffe so herausgelöst. «Appenzeller Alpenbitter, Klosterfrau Melissengeist oder Franzbranntwein funktionieren auf dieser Basis», sagt Werner Ritter, Präsident des Museumsverein Prestegg in Altstätten. Auch im Walzenhausener Kloster Grimmenstein werden auf diese Art und Weise auch heute noch bestens wirkende Medikamente, z. B. Hustensirup, hergestellt. Früher sei solche Medizin meistens selber zu Hause gemacht worden, erklärt Ritter. Diesbezüglich gebe es ein interessantes Hausbuch mit Kräuterrezepten, aber auch allerlei fraglichen Tipps und Tricks, herausgegeben von Hans Vogler, der um 1500 herum Stadtammann von Altstätten gewesen sei. «Man brauchte solche Anregungen, denn einen studierten Arzt hat man in Altstätten mit Karl-Heinrich Tschudi erstmals um 1710 besuchen können», sagt Ritter. Weil Alkohol als Lösungsmittel unerlässlich war, betrieben Apotheken kleine Destillieranlagen, von der sich eine laut Ritter noch im Besitz des Museums Prestegg befindet. Noch heute werden von manchen Apotheken Kleinmengen an Alkohol mit hoher Pharmaqualität so hergestellt.Schmerzmedikament und PsychopharmakaEbenfalls eine wichtige Funktion erfüllte Alkohol als Desinfektionsmittel in Haus und Stall bei Schädlingsbefall, aber auch bei Verletzungen von Mensch und Tier. Weiter wurden gebrannte Wasser zum Konservieren verwendet, um beispielsweise Früchte haltbar zu machen. Im Krieg wurde Alkohol gezielt als aufpeitschende Droge eingesetzt, damit die Truppen enthemmter auf den Feind losgingen. Zum Einsatz kam es auch als Betäubungsmittel und Schmerzmedikament, sowohl bei temporären als auch chronischen Leiden.Weil im Mittelalter nicht verstanden wurde, dass Abwasser und Fäkalien nicht in die Nähe von Trinkwasser gelangen sollten, waren Brunnen oft infiziert und man trank deswegen antiseptischen Alkohol, gab diesen, beispielsweise Wein, auch bereits Kindern zu trinken. Da Alkohol auch als Psychopharmaka bei psychischen Leiden eingesetzt wurde, brachten die hochprozentigen gebrannten Wasser nicht nur Segen, sondern auch viel Leid. Abhängigkeiten entstanden, Menschen waren nicht mehr fähig, ihre Pflichten wahrzunehmen oder wurden gewalttätig und drangsalierten ihre Familien. Alkoholismus war ein weitverbreitetes Problem. «So um das 19. Jahrhundert herum gab es daher zu Recht eine starke Gegenbewegung», sagt Werner Ritter.Bauernhöfe haben immer noch AlkoholkontingenteBis heute haben Landwirtschaftsbetriebe Kontingente, steuerfrei eine gewisse Anzahl Liter Schnaps brennen zu dürfen. Natürlich darf dieser nicht verkauft werden.Zurzeit erlebt der Alkohol, der aus natürlichen Stoffen gewonnen wird, als Desinfektionsmittel regelrecht eine Wiedergeburt. Je länger die Pandemie dauert, desto wichtiger wird die Rolle solcher Alkoholika werden.