20.09.2019

Als Chef die Batterie laden

Laufen uns wegen höherer Belastung bald die Gemeindepräsidenten davon?

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Nach dreijährigem Wirken hat Rüthis Gemeindepräsident den Rücktritt auf Ende der Amtsdauer angekündigt. Die Zahl der abendlichen Verpflichtungen und Repräsentationsaufgaben am Wochenende sei deutlich gestiegen.Scheubles Erfahrung, dass regionale Aufgaben ihn zunehmend beanspruchten, teilen Amtskollegen. So habe etwa der in den letzten Jahren gestiegene Einsatz des Vereins St. Galler Rheintal eine gewisse Mehrbelastung zur Folge, finden auch andere Gemeindechefs. Der Grund sind grosse, dringliche Themen wie die Mobilitätsstrategie oder das grenzüberschreitende Agglomerationsprogramm. Dieses beansprucht in besonderem Mass St. Margrethens Gemeindepräsidenten Reto Friedauer, weil er dem Verein Agglomeration vorsteht.Auch angesichts grosser Projekte innerhalb der Gemein-de (Stadler Rail, Mineralheilbad, Coop-Bau, Bachsanierungen, diverse Revisionen) nimmt Friedauer eine hohe Zahl an Abendeinsätzen zur Kenntnis, zudem würden seine Wochenenden voller, sagt er – nicht nur wegen der Termine, sondern ebenso, weil Arbeitszeit sich über die übliche Arbeitswoche hinaus erstrecken kann. So habe die Belastung in den letzten Jahren deutlich zugenommen, wobei Friedauer selbstkritisch anfügt, zum Teil sei es sicher auch selbstverschuldet. Gemeint ist: Das Steuer hat jeder Gemeindepräsident letztlich selbst in der Hand.Auch mehr Terminein kleiner GemeindeAlexander Breu, Gemeindepräsident von Marbach, stellt zwar keine markante Belastungszunahme fest, spricht aber von einer «eher steigenden» Zahl an Terminen. Durchschnittlich dürften es zwei Abendtermine pro Woche sein, zudem ein Wochenendanlass pro Monat, meint Breu.Einladungen aus der Gemeinde nehme er in aller Regel an, sagt Marbachs Präsident, nach Möglichkeit sei er präsent. Anders verhält es sich bei überregionalen Terminen, die er sich auch mal auszulassen gestatte, ohne deswegen ein schlechtes Gewissen zu haben.Dass es sicher wichtig sei, zunehmender Belastung etwas entgegenzuhalten, findet auch Christian Sepin von Au-Heerbrugg. Er sagt: «Jeder muss irgendwann seine Batterien neu laden, alles andere nützt der Gemeinde letztlich nichts.»Sepin setzt schon bei jenen Terminen an, die seine eigentliche Arbeitszeit betreffen. Gegenüber früher legt er mehr Wert auf ein striktes Abwägen von Aufwand und Nutzen. Ein Seminar an einem Nachmittag? – Nur, wenn es wirklich etwas bringt.Im Extremfall jedenAbend unterwegsIm Extremfall kommt es vor, dass Sepin eine ganze Woche jeden Abend unterwegs ist. Im Schnitt seien es eher drei Abendanlässe als zwei. Am Wochenende allerdings hält der Familienmensch sich bewusst zurück, was die Teilnahme an monat-lich etwa einer Veranstaltung bedeutet.Sepin sagt, ihm als Familienmensch liege viel daran, am Wochenende Zeit mit seinen Angehörigen zu verbringen, weshalb er sich Samstage und Sonntage weitgehend frei halte. Wohne er einem Anlass trotz Einladung nicht bei, melde er sich selbstverständlich ab, was jeweils mit Verständnis aufgenommen werde.Dass er zwischendurch halt auch mal jemanden enttäusche, tue ihm zwar leid, doch auch ein Präsident sei auf Erholung angewiesen.Schwerpunkte setzen,Spielraum nutzenRebsteins Gemeindepräsident Andreas Eggenberger spricht von einer Belastung, die insgesamt «sicher gestiegen» sei, doch bei der Einteilung der Zeit gebe es Spielraum. Folge ein Abendanlass dem nächsten, gönne er sich bei Bedarf halt mal an einem Nachmittag ein wenig Zeit für das Private. Ein Gemeindepräsident zu sein, sei etwas Schönes, «aber du musst gern mit Menschen sein», sagt Eggenberger, und «die Familie kommt nicht umhin, zurückzustecken».Allerdings: Es gebe grosse Schwankungen. Nach Wochen mit Abendterminen an bis zu fünf Tagen pro Woche folgten fünf Sommerwochen ohne abendliche Verpflichtung, dann ziehe es wieder an, in der Schulferienzeit im Herbst und wenn es auf Weihnachten zugehe, herrsche eher wieder abendliche Ruhe.Besonders hoch sei die Zahl der Termine jeweils ab März; es ist die Zeit der Bürger-, General- und Delegiertenversammlungen.Schwerpunkte zu setzen, ist eine Erfordernis, die nicht nur Eggenberger erwähnt.Und Einigkeit herrscht bei der Wichtigkeit der gemeindeinternen Repräsentationsaufgaben.Die Erwartung an einen Gemeindepräsidenten, dass er am Tag einer offenen Tür vorbeischaut, der Eröffnung eines grösseren Betriebes beiwohnt oder ein wichtiges Vereinsjubiläum (zum Beispiel eines 50-jährigen Vereins) miterlebt, könne er voll und ganz nachvollziehen, sagt Eggenberger, der es auch für selbstverständlich hielt, am Tag der offenen Tür der Polizei in Thal vorbeizusehen. Schliesslich sei auch sie für die Gemeinde da, genauso wie der kantonale Unterhaltsdienst.ZunehmendeVermischungDass die berufliche Tätigkeit und das Privatleben zusehends verschmelzen, ist eine Tendenz, die nicht nur Gemeindepräsidenten kennen. Die mobilen Endgeräte fördern die Erwartung, Fragen rasch beantwortet und Aufgaben schnell erledigt zu bekommen.Auch diese Entwicklung trägt nach Friedauers Erfahrung dazu bei, dass die Belastung gestiegen ist.Dass Gemeindechefs sich bald reihenweise wegen Überlastung zurückziehen, steht allerdings nicht zu befürchten.Das liegt einerseits an den Vorzügen, die überwiegen, und andererseits an der Einsicht, dass grosse Aufgaben sich nur mit grossem Einsatz erfüllen lassen. Dies umso mehr, meint Friedauer, wenn unser Tal als eine Region wahrgenommen werden wolle, die sich gut entwickle.