24.10.2019

Aus Rheintaler P-16 wurde der Learjet

Die ehemaligen Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein (FFA) rücken ins Blickfeld der Öffentlichkeit – mit alten Fotos und einem neuen Buch.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Die Beschaffung militärischer Flugzeuge war schon früher ein leidiges Hin und Her. Das zeigen die Schilderungen von Felix H. Meier, der sich in seinem soeben erschienenen Buch dem Düsenkampfflugzeug P-16 widmet.Die Entwicklung dieses Flugzeugs war ein FFA-Projekt. In Erinnerung gerufen wird der einstige Flug- und Fahrzeugbauer aus Altenrhein auch durch das Staatsarchiv. Dieses hat das FFA-Archiv übernehmen können, was mit einer Medienorientierung am kommenden Montag gefeiert wird.Beim 22. Flug stürzte die Maschine in den SeeDas Unternehmen FFA, das aus den Dornierwerken hervorgegangen war, feierte 1955 einen grossen Moment – den Erstflug seines P-16, der im darauffolgenden Jahr die Schallmauer durchbrach. Der Bundesrat bestellte 1958 hundert Stück des P-16, widerrief aber im gleichen Jahr auf Verlangen des Militärdepartements seine Bestellung. Im Nationalrat war der P-16 umstritten gewesen, in der Presse war er teilweise wie der FFA-Besitzer Claudio Caroni verteufelt worden. Trotzdem: National- und Ständerat sagten zur Beschaffung Ja.Der Grund für den Widerruf war eine veränderte Luftkriegskonzeption. Es gab auch Zwischenfälle mit dem P-16, die aber keine Rolle gespielt haben sollen. Beim 22. Flug – am 31. August 1955 – musste Testpilot Hans Häfliger mit dem Schleudersitz über dem Bodensee aussteigen. Ein Problem mit der Treibstoffzufuhr hatte die Umkehr erzwungen, doch über Romanshorn, auf 2200 Meter Höhe, fiel das Triebwerk aus. Altenrhein im Gleitflug doch noch zu erreichen, misslang – und die Maschine stürzte in den See.Sechs Tage, nachdem der Ständerat für die Beschaffung grünes Licht gegeben hatte, erlebte Jean Brunner, ein Pilot der Kriegstechnischen Abteilung (KTA), beim Test des dritten Prototyps ein Problem mit dem Hydrauliksystem. Auch er musste nach erzwungener Umkehr die nicht mehr steuerbare Maschine bei Rorschach – 300 Meter über dem Bodensee – aufgeben und sich wie Häfliger mit dem Schleudersitz retten. Nach zehn Minuten im eiskalten Wasser zogen Buben ihn auf ihr Pedalo.Nationalrat «kroch EMD-Chef auf den Leim»Daraufhin stornierte der Bundesrat die P-16-Bestellung. Die Kommission für die militärische Flugzeugbeschaffung und KTA-Chef René von Wattenwyl hatten sich für die Fortführung der P-16-Entwicklung ausgesprochen, das Militärdepartement (EMD) blockierte aber die Kredite. Entgegen der Auffassung beratender Experten lehnte schliesslich die Landesverteidigungskommission den P-16 ab.Buchautor Felix Meier schreibt: «Aus den Aufzeichnungen des Berner Bundesrats Markus Feldmann wissen wir, dass der EMD- Chef Paul Chaudet nicht auf eine geänderte Luftverteidigungskonzeption hingewiesen, sondern allein Lieferverzögerung und fehlendes Vertrauen in die FFA geltend gemacht hat.»Vor dem Nationalrat warf Chaudet den FFA vor, keine perfekte Steuerung gebaut zu haben; eine daraus folgende Lieferverzögerung um zwei Jahre sei inakzeptabel, die P-16-Entwicklung ein Abenteuer ohne Ende. Felix Meier hält fest: «Der Rat kriecht ihm auf den Leim» und akzeptierte den Verzicht auf den P-16 ohne Abstimmung.EMD wollte von P-16  nichts mehr wissen1959 brachten die Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein die vierte Maschine in die Luft. Sie hatte die zivile Immatrikulation X-HB-VAD. Das X steht für eXperimental.Im Jahr darauf folgte der fünfte P-16-X-HB-VAD. Das Altenrheiner Unternehmen wollte den verbesserten, von den Piloten gelobten P-16 dem EMD vorführen, aber dieses war nicht interessiert. Es hatte inzwischen sein Wunschflugzeug gefunden, das auch Atomwaffen mitführen konnte – die Mirage.Gegen dieses Flugzeug opponierte das Volkswirtschaftsdepartement, denn die Beziehungen zum Nachbarn waren schwer getrübt. Um den Entscheid hinauszuzögern, wurde ein weiteres Flugzeug in die Evaluation einbezogen, der Northrop N-156F Freedom Fighter. Es blieb jedoch bei der Mirage IIIC.Begeisterung kam noch, aber im fernen AuslandDie in der Schweiz vergeblich erhoffte Begeisterung lösten die Altenrheiner Flug- und Fahrzeugwerke doch noch aus – im Ausland! 1960 beauftragte der Amerikaner William P. Lear das P-16-Entwicklungsteam von Hans-Luzius Studer mit der Entwicklung eines leichten Reiseflugzeugs mit Strahlantrieb. So entstand der Learjet, dessen Produktion 1962 in die USA verlegt wurde, wo er im folgenden Jahr seinen Erstflug hatte. Die tragende Struktur und die Flügel mit ihren Endtanks stammten vom P-16.Felix Meier, der von 1982 bis 2007 dem Stab des Kommandanten Luftwaffe angehörte und als Redaktor der Luftwaffenzeitung tätig war, nennt den Learjet einen der erfolgreichsten Business Jets. Lears Sohn Bill, der den P-16 mehrmals fliegen konnte, sei vom Altenrheiner Kampfflugzeug begeistert gewesen. Bei FFA wurden unter der Leitung des neuen Chef-Ingenieurs Paul Spalinger drei P-16-Nachfolgermodelle mit stärkeren Motoren von Snecma, Rolls-Royce und General Elec­tric bearbeitet. «Mit Unterstützung der Kantonsregierung St. Gallen wandten sich die FFA mehrmals erfolglos ans EMD», schreibt Felix Meier.1969 stellte Caroni die Arbeiten am P-16 ein, zehn Jahre später überliess er die beiden erhaltenen Maschinen VAC und VAD dem Museum der schweizerischen Fliegertruppen in Dübendorf, wo heute der VAD neben dem N-20 Aiguillon (Stachel) zu sehen ist.Das Fliegermuseum Altenrhein hat das originale Windkanalmodell P-16 im Massstab 1:3 in seinem Bestand, das Verkehrshaus der Schweiz das mit Kleindüsen motorisierte N-20-Modell Arbalète. Der Buchautor schreibt, die Testpiloten des P-16 seien überzeugt gewesen, dass er ein hervorragendes Erdkampfflugzeug geworden wäre. Sie rühmten seine Zielgenauigkeit, seine starke Bewaffnung, sein Ausbaupotenzial sowie die Eignung auch für Milizpiloten.Hinweis«Das Düsenkampfflugzeug P-16: Vom P-16 aus Altenrhein zur französischen Mirage», Paperback, 164 Seiten mit 121 Schwarz-weiss-Fotos, 63 Farbbildern und 11 Rissen. Es liegt im Fliegermuseum Altenrhein auf (29 Fr.). Tel. Bestellung beim Autor, zzgl. Versandkosten: 079 410 88 02.