16.03.2021

Das Telefon klingelte pausenlos

Mehr Kontrolle, mehr Präsenz, weniger Schreibarbeit – so fasst die Stadtpolizistin die erste Lockdown-Zeit zusammen.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
Reto WälterKantonspolizistin Maja Baumgartner ist von der Stadt Altstätten «geleast». Damit ist die Stadt ihre Hauptauftraggeberin. Die gebürtige Kriessnerin ist Ansprechpartnerin für die Verwaltung und in gewisse Kommissionen eingebunden. Daneben übernimmt die 41-jährige übliche Polizeiaufgaben, genau so wie ihre 13 Arbeitskollegen, die zum Oberrheintaler Postengebiet von Rebstein bis Lienz gehören. Maja Baumgartner wird mit ihrer sechsjährigen Flat- Coated-Retriever-Dame Raila, einem ausgebildeten Personenspürhund, aufgeboten, wenn es gilt, vermisste und straffällige Personen zu finden.Erste Welle«Das letzte grosse Ereignis im Normalzustand war die Altstätter Strassenfasnacht – es war quasi Tschätteri und dann Corona», sagt Maja Baumgartner. Die Polizei unterstützte das Grenzwachtkorps beim Sichern und Kontrollieren der Grenzen. Die Übergänge waren mit Betonsperren und dazu mit Schranken abgeriegelt. «Es fühlte sich an wie im Krieg, das waren starke Eindrücke», sagt Maja Baumgartner und erinnert sich: «Die Leute bekamen es zuerst gar nicht in ihre Köpfe, dass die Grenzen jetzt wirklich zu sind. Sie hievten ihre Fahrräder über die Abschrankungen, einfach weil sie schon immer da durchgefahren sind.»Es gab viele Telefonate von Bürgern, die berichteten, dass sie Menschenansammlungen auf öffentlichen Plätzen, Sportanlagen oder Spielplätzen gesehen hätten. «Wir haben solchen Meldungen nachzugehen», sagt die Stadtpolizistin, die in die «Corona-Patrouille» eingeteilt war. Oft waren es aber weniger als fünf Leute. Dasselbe galt für angebliche Privatpartys, die vermeintlich in Kellern, Garagen und Gärten festgestellt worden sind.Es gab natürlich auch Regelbrecher. «Wir setzten auf unsere 3D-Strategie: 1. Dialog, 2. Deeskalation, 3. Durchgreifen», sagt Maja Baumgartner. Man habe an die Vernunft appelliert und viele gute Gespräche geführt. Vereinzelt habe es Uneinsichtige und Wiederholungstäter gegeben. Sie holten sich damit eine Busse ab.Aber auch Fragen gab es viele, etwa: «Kann die Post jetzt nicht verseucht sein, darf sie noch entgegen genommen, respektive überhaupt verteilt werden?» «In den pausenlos eintreffenden Telefonaten spürte man einerseits eine grosse Unsicherheit bei vielen Menschen, aber es gab auch viele, die das Gefühl hatten, sich als ‹Bürgerpolizisten› aufspielen zu müssen. Das war sehr unangenehm», schaut Baumgartner zurück. Vom Ausmass her sei das völlig übertrieben gewesen, einige hätten geradezu nach Fehlerchen gesucht. Dazu gehörten Meldungen wie etwa «Die einen verkaufen keine Blumen, die anderen aber schon». Oder: «In irgendeinem Laden ist auf 20 Laufmetern ein Artikel im Gestell gesehen worden, der nicht hätte verkauft werden dürfen und nicht abgesperrt war.»«Ich stellte vor Ort jeweils fest, dass sich das Verkaufspersonal in den Läden grosse Mühe gab und es für sie schon allein aus Platzgründen sehr schwierig war, entsprechend umzusortieren», sagt Maja Baumgartner. Die Situation sei für alle Neuland gewesen und auch die Beurteilung, was zum täglichen Bedarf gehöre, nicht ganz einfach. Gehören ein Wasserkocher, ein Toaster oder ein Haarföhn dazu? «Es gab da viele Grauzonen, es waren Verhältnismässigkeit und gesunder Menschenverstand gefragt», blickt die Stadtpolizistin zurück.Die tägliche Arbeit bei der Polizei veränderte sich. Es gab kaum Unfälle, wenig Einbrüche, keine Kriminaltouristen. Selbst Delikte verlagerten sich ins Internet. Es gab weniger Zuführungen, weniger Befragungen, kaum Transporte von Häftlingen, weniger Asylgesuchsteller. Das hatte auch damit zu tun, dass viele Amtsstellen wie etwa Gerichte oder Betreibungsämter geschlossen waren.Dafür gab es mehr Einsätze, bei denen Streit geschlichtet und fürsorgliche Unterbringungen in Psychiatrien organisiert werden mussten. Gerade psychisch Angeschlagene waren mit der Situation und der Isolation überfordert. «Es war zwar insgesamt etwas ruhiger, der Arbeitsaufwand war aber etwa derselbe wie sonst. Mehr Kontrolle, mehr Präsenz, weniger Schreibarbeiten», zieht Maja Baumgartner über die erste Welle Fazit.ZwischenzeitDeliktische Tätigkeiten nahmen zu und kaum waren die Grenzen offen, kehrte auch der Krimi-naltourismus zurück. «Unser Arbeitsalltag war etwa wieder so wie vorher», sagt die Polizistin. Einzig die Registrationspflicht in Bars und Restaurants sowie die Personenbeschränkungen und Schutzkonzepte in Läden beschäftigten die Gesetzeshüter noch, auch weil es diesbezüglich Meldungen gab. «Ein persönlicher Eindruck ist, dass mehr Leute die Natur schätzen lernten, indem sie auch nach dem Lockdown Freizeit dort verbrachten oder gärtnerten», sagt Maja Baumgartner. Ebenfalls wurden Patrouillenteams wieder mit Arbeitskollegen aus anderen Postengebieten zusammengestellt. Um eine allfällige Ausbreitung zu verhindern, hatte man dies während der ersten Welle unterlassen.Zweite WelleIm Gegensatz zum ersten Shutdown gab es kaum mehr Anrufe. Wenn, dann erkundigen sich Leute über Reisebestimmungen, die Polizei verweist dann jeweils an www.bag.admin.ch oder deren Hotline. Als die Fallzahlen wieder anzogen, kam es wieder zu Unklarheiten. «Das war schwierig, weil es einige Zeit dauerte, bis der Bund seine Bestimmungen konkretisiert hatte. Auch Richtungswechsel in der Strategie, etwa ändernde Öffnungszeiten von Tankstellenshops am Sonntag, waren nicht hilfreich», sagt Maja Baumgartner. Auch die Polizei habe teils recherchieren müssen, was nun genau gelte. Als Beispiel erwähnt sie die Vorschriften für Take-away-Läden. Neu galt Maskenpflicht – und so kam es zu einzelnen Vorfällen wegen Maskenpflicht-Verweigerern. Ansonsten aber gab es wenig Corona-Einsätze. Die Polizei nimmt auch wieder die Dienstleitungen für Ämter und Gerichte wahr, da diese nun arbeiten. «Corona spüre ich in meinem Arbeitsalltag nicht mehr allzu stark», sagt die Stadtpolizistin.Ausblick«Alle haben doch das gleiche Ziel: So schnell wie möglich wieder ein normales Leben führen zu können und gesund zu bleiben», sagt Baumgartner. Aber eben, wer hätte vor einem Jahr schon sagen können, was uns alles erwartet – von daher sei es auch nicht möglich, ein Jahr voraus zu blicken. Maja Baumgartner weiter: «Realistisch ist wohl, dass uns das Virus noch länger beschäftigen wird.»Unsere Serie zeichnet chronologisch nach, was sich für die Menschen aus der Region in den einzelnen Phasen der Pandemie verändert hat.