09.05.2022

Der Storch steht auf Schnellimbiss

Andrina Weber beschäftigte sich in ihrer Maturaarbeit mit der Nahrungssuche von Störchen während der Nestlingszeit. Die Erkenntnisse fielen anders aus als von den Pro-Riet-Fachleuten erwartet.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 02.11.2022
Vor genau einam Jahr beobachtete Andrina Weber vier Storchenhorste im Bannriet, je 45 Minuten und zwar jeden Freitag Nachmittag während neun Wochen. Sie tat dies während der Nestlingszeit, also nachdem die Jungstörche geschlüpft waren, bis zum Zeitpunkt, an dem die Tiere das Nest verliessen und sich auf Nahrungssuche begeben konnten. Die Altstätterin untersuchte, ob Störche mit wenig Feuchtwiesen um ihre Horste grössere Distanzen zu Nahrungsflächen fliegen als Störche, die viele Feuchtwiesen in ihrer Horstumgebung haben. Dass Weissstörche ohne Feuchtwiesen in ihrer Nähe weitere Strecken zurücklegen, erscheint plausibel, zumal im Naturschutzgebiet rund um die Schollenmühle besonders viele Storchenpaare brüten. Die Feuchtwiesen dort beherbergen zudem viele Tierarten und somit potenzielle Nahrungsquellen.[caption_left: Andrina Weber, Kantonsschülerin aus Altstätten. (Bild. rew)]Frisch bearbeitete Äcker und Wiesen sind beliebtAber die Beobachtungen ergaben ein ganz anderes Bild: Die Störche der beiden Horste mit den meisten Feuchtwiesen in der Nähe (Schollenmühle, Burst) legten die grössten Distanzen zu Nahrungsflächen zurück. Weissstörche mit Acker- und Intensivland in der Umgebung des Mattle- und Dorfbachhorst flogen hingegen geringere Distanzen. Bevorzugt wurden vor allem bearbeitete, das heisst frisch gefräste und gepflügte Äcker. An zweiter Stelle kamen frisch gemähte oder gegüllte Wiesen. Meister Adebar besorgt sich sein Essen also dort, wo es in Hülle und Fülle vorhanden ist und er es unkompliziert und am schnellsten mitnehmen kann – salopp ausgedrückt im drive- through- respektive fly-through- Schnellimbiss der Natur. Dafür nimmt er auch längere energiezehrende Distanzen auf sich. Feuchtwiesen wurden nur zu einem Drittel der Nahrungsflüge genutzt und auch nur von den Paaren, die gleich in unmittelbarer Nähe brüteten. Wobei diese Wiesen möglicherweise zur Nestlingszeit noch keine geeignete Nahrung bieten würden, mutmasst Andrina Weber. Der Storch ernährt sich ausschliesslich von Tieren wie Regenwürmern, Mäusen, Insekten und Fröschen. Obwohl vor allem letztgenanntes Tier bekannt dafür ist, auf dem Speiseplan des Storches zu stehen, sagt Andrina Weber: «Ich habe nie einen Storch beobachtet, der einen Frosch fing.» Und das, obschon sie unzählige der attraktiven, grossen Vögel bei der Nahrungsaufnahme sah: Flog ein Storch vom Horst los, verfolgte sie ihn mit dem Velo bis zum Nahrungsplatz, wo er sich auf frisch bearbeiteten Äckern und Wiesen zusammen mit Artgenossen versorgte. Dabei fand sie auch die Antwort auf die zweite Frage, welche die Altstätterin in ihrer Maturaarbeit beantworten wollte: Die besuchten Nahrungsflächen der brütenden Weissstörche unterscheiden sich nicht gross – «Fast Food» wird bevorzugt. Ebenfalls keinen Unterschied konnte Weber beim Bruterfolg feststellen, den Störche inmitten von Feuchtwiesen oder eben weiter entfernt verzeichneten.Der Weissstorch fühlt sich im Rheintal wieder wohlDer Vogel mit einer Flügelspannweite bis zu 2,2 Metern scheint sich im Rheintal also allgemein wieder wohl zu fühlen. Nachdem der Weissstorch 1950 in der Schweiz ausgestorben war, siedelt er seit 1994 wieder in unserer Region. Zwischen Widnau und Oberriet gibt es rund 40 Horste brütender Störche. Aufgrund wärmerer Winter fliegen viele Weissstörche gar nicht mehr in ein Winterdomizil in Spanien oder Marokko. Auch dort verpflegen sich die Tiere übrigens auf die schnellstmögliche und einfachste Weise, das fand man anhand von Peilsendern heraus, mit denen Tiere hierzulande versehen wurden. «Die Karte der Winterdomizile entspricht in etwa den Standorten grosser Mülldeponien in Spanien», sagt Weber, die für ihre Maturaarbeit viel recherchierte. Sie sagt aber, dass sie sich für ihr Thema entschieden habe, weil es ihr wichtig war, nicht nur am Schreibtisch zu sitzen, sondern draussen in der Natur zu sein. Da ihr Vater Urs Weber bei Pro Riet arbeitet, bekam sie beim Aufgleisen der Arbeit die nötige Unterstützung und danach die erstaunten Feedbacks des Teams, als sie ihre unerwarteten Ergebnisse bekannt gab. An der Kantonsschule Heerbrugg wurde ihre Maturarbeit mit einem glatten Sechser bewertet. Und von der St. Gallischen Naturwissenschaftlichen Gesellschaft NWG wurde Andrina Webers Maturarbeit mit einem dritten Platz gewürdigt. Insgesamt war es für die Maturandin eine Bestätigung, dass sie mit der Studienwahl – Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich – wohl auf dem richtigen Weg ist.