21.10.2022

Die Gefühle im Zaum gehalten

Unvorstellbar, dass der verstorbene Vollblutpolitiker Thomas Ammann je von seiner Sachbezogenheit abgerückt wäre.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 02.11.2022
Das einzige Gefühl, das ihm leicht anzumerken war, ist Freude. Der ehemalige Mitte-Politiker lachte gern, aber auch dies tat er eher verhalten. Es brauchte viel, bis er verärgert war, und war er es, liess er seine Verstimmung bestenfalls zwischen ruhig vorgetragenen Argumenten durchschimmern.Gut siebzig Prozent der Rüthnerinnen und Rüthner wählten den einstigen Leiter der örtlichen Raiffeisenbank 1996 zum Gemeindepräsidenten – ein Amt, das der Familienmensch unangefochten fast zwei Jahrzehnte bekleidete. Von 2000 bis 2016 war er Kantonsrat, 2008 machte ihn das Kantonsparlament zu seinem Präsidenten, ab 2011 war er Fraktionspräsident der damaligen CVP im Kantonsrat, 2015 schaffte er im zweiten Anlauf den Sprung in den Nationalrat.Kein schlechtes Wort über GegnerDie während Jahren starke Medienpräsenz des Rüthners wurde nicht ausnahmslos wohlwollend zur Kenntnis genommen. Doch Selbstverliebtheit dürfte Thomas Ammann fremd ge­wesen sein. Am 3. Juni 2008 schrieb der «Rheintaler» unter dem Titel «Der Volksnahe»: «Es ist schlicht die Fülle von Ammanns Engagements, die zur Dauerpräsenz in den Lokalzeitungen führt.»Als dem Politiker 2011 ein anonymes Flugblatt «Mediengeilheit und Ämtersucht» unterstellte, zeigte sich die breite Sympathie für ihn. So ergriff etwa der ehemalige St. Margre­ther FDP-Gemeindepräsident Paul Gerosa mit deutlichen Worten für Thomas Ammann Partei und bezeichnete ihn als «richtigen Schaffer, der sich für die Allgemeinheit positiv einsetzt».Thomas Ammann selbst sah über unfaire Angriffe grosszügig hinweg, und als ein Bürger ihn (zu Unrecht, wie das Kantonsgericht feststellte) der Amtsgeheimnisverletzung beschuldigte, verlor er auch unter vier Augen kein schlechtes Wort über den Kläger. Im Laufe der Jahre war Rüthis Gemeindepräsident nicht nur Mitglied in zahlreichen Kommissionen, Organisationen und Verbänden, sondern auch hier und dort mit besonderer Führungsverantwortung betraut.Der Mann, dessen Berufsleben mit einer Verwaltungslehre begonnen hatte, präsidierte den Kaufmännischen Verein, stand dem Verein St. Galler Rheintal vor, war Präsident des Waldwirtschaftsverbandes St. Gallen-Liechtenstein, wirkte als Vizepräsident der Rheintalischen Grenzgemeinschaft und betätigte sich im Vorstand eines Vereins zur Betreuung behinderter Menschen.Für die Rhema wie aus dem Nichts aufgetauchtÜberhaupt, die Menschen! Thomas Ammann begegnete ihnen mit grossem Respekt, immer wohlwollend, hörte gerne zu, und dämpfte unangebrachte Gefühlswallungen mit seiner ruhigen, sachbezogenen und pragmatischen Art. Als es 2015 im Verwaltungsrat der Rheintalmesse (Rhema) wegen unüberbrückbarer Differenzen zu ei­nem Eklat kam, tauchte Thomas Ammann auf wie aus dem Nichts – und übernahm den Posten an der Spitze. Seither ist es in der Rhema ruhig. Zurückhaltend und achtsam, zugleich angenehm unkompliziert, erfüllte der Rüthner auch diesen Job.Mit seinen öffentlichen Äusserungen blieb der schaffensfrohe Mehrfachpräsident zwar öfter floskelhaft. Doch das Versprechen, etwas bewegen zu wollen, mündete bei Thomas Ammann in sichtbaren Erfolg, was zu einem grossen Teil an seiner Qualität als Brückenbauer lag. Scheuklappen kannte er nicht. So spannte er zum Beispiel mit dem SP-Vertreter Paul Rechsteiner zusammen, um beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs einen grossen Schritt weiterzukommen und die lang ersehnte Doppelspur im Rheintal wahr zu machen. Nur eine grosse politische NiederlageAls die CVP Rheintal Thomas Ammann im November 2019 innerparteilich für den St. Galler Regierungsrat vorschlug, sprachen sich die kantonale Parteileitung und Findungskommission gegen die Kandidatur des Rheintalers aus; zu bevorzugen sei eine Frau. Der «Rheintaler» äusserte die Einschätzung, Ammanns Stern sei «seit seiner verpassten Wiederwahl» als Nationalrat am Sinken, und verwies zudem auf die gesundheitlichen Schwierigkeiten des Politikers. 2016 hatte er seine Erkrankung an einem Darmtumor bekannt gegeben.Die überraschende Abwahl als Nationalrat am 20. Oktober 2019 war für Thomas Ammann die einzige grosse politische Niederlage. Obschon der Rüth­ner innerhalb seiner Partei das zweitbeste Ergebnis erzielte, verlor er seinen Sitz. Die riskante, von Thomas Ammann mitgetragene Parteistrategie war nicht aufgegangen. Auch in der Enttäuschung hielt der Rüthner die Gefühle souverän im Zaum. «Das Teamwork steht im Vordergrund», erklärte er und fügte bei: Auch nach solchen Momenten werde es wieder mal Sonnenschein geben – «das Leben geht weiter». Die Kraft, für andere und schliesslich für sich selbst zu kämpfen, verliess Thomas Ammann am Sonntag, 16. Oktober.