16.07.2018

Ein Leben für die Fischerei

Die Altenrheiner Timon und Claudio Görtz sind Berufsfischer. Das Metier ist hart, der Lohn gering Und trotzdem würden sie ihren Job niemals aufgeben.

Von Martin Rechsteiner
aktualisiert am 03.11.2022
Martin RechsteinerAltenrhein, Freitagmorgen, 4.30 Uhr. «Mein Gott. Es ist einfach viel zu früh. Auch für mich.» Timon Görtz steht vor seinem Haus. Er trägt eine grüne Fischerhose, seine Füsse stecken in schwarzen Gummistiefeln. Der junge Mann packt zwei Kisten mit Ausrüstung auf die Ladefläche seines dreirädrigen Piaggio. «Ich liebe meinen Job. Aber mit dem frühen Aufstehen werde ich mich wohl nie abfinden», sagt er und reibt sich die letzte Müdigkeit aus den Augen.Timon Görtz ist Berufsfischer. Einer von wenigen. Am St. Galler Teil des Bodensees gibt es gerade noch deren acht. Im kleinen Transporter geht es Richtung Hafen. «Das Durchschnittsalter der Berufsfischer ist um die 60. Es ist ein Metier, das vom Aussterben bedroht ist», sagt der 26-Jährige, während das hellgrüne Gefährt über den Hafenweg rumpelt. «Junge Leute wählen lieber einen Job mit sicherem Einkommen.» Denn wer die Fischerei zum Beruf macht, lebt in einem harten Geschäft. «Wer nichts fängt, verdient auch nichts.»Am Hafen wartet schon Görtz’ Vater Claudio. Die beiden arbeiten zusammen, gehen fast täglich raus auf den See. Die Ausrüstung kommt auf das kleine Fischerboot, Gondel genannt, dann geht es los. «Seit 30 Jahren bin ich jetzt als Berufsfischer auf dem Bodensee unterwegs», ruft Vater Claudio in den Lärm des 60-PS-Motors, der das Boot mit hohem Tempo durch das Wasser pflügen lässt. In all den Jahren habe sich einiges verändert, betont er. «Besonders», und das sei das grösste Problem, «das Fangergebnis.» Während er früher pro Tag oft mehr als hundert Kilo Fisch aus dem Wasser gezogen habe, seien es heute massiv weniger. «Gestern bin ich mit gerade mal vier Kilogramm zurückgekommen», sagt Sohn Timon. Laut Claudio Görtz ist das Fischen immer mehr zur Lotterie geworden. «Früher wussten wir, wo die Fische unterwegs sind und haben dort unsere Netze ausgelegt. Heute ist das nicht mehr möglich.»Ein Fisch, ein FrankenDass die Berufsfischer immer weniger erfolgreich sind, zeigen auch die Jahreszahlen des Kantons (siehe Box). «Berichte, dass an diesem Rückgang Kormorane oder andere Fische, wie der laichfressende Stichling, schuld sind, ist Humbug», sagt Claudio Görtz. Das Problem seien das Wetter und der Nährstoffgehalt im See. Der Pegelstand sei wegen des ausbleibenden Regens zu tief für die Jahreszeit, gleichzeitig bilden sich Kieselalgen. «Das hat zwar wenig Einfluss auf den Fischbestand, die Tiere werden dadurch aber träger und bewegen sich weniger. Deshalb schwimmen sie nicht mehr in unsere Netze.» Für die Existenz der Berufsfischer sei das bedrohlich.Heute versuchen die beiden Männer ihr Glück einige Kilometer ausserhalb der Bucht. Es ist Blaufelchen-Saison. Die rund 30 Zentimeter langen Fische sind auf dem Teller beliebt. «Pro Felchen erhalten wir beim Händler etwa einen Franken, wenn wir ihn selbst filetieren oder Räuchern, etwa das doppelte», sagt Timon Görtz. Am Vorabend haben er und sein Vater die Netze ausgelegt. Acht Stück sind es, jedes ist 120 Meter lang und 7 Meter breit, sie treiben in einer Tiefe von ungefähr 25 Metern. Per GPS orten die beiden Fischer das Ende der Netze, die aneinander geknüpft sind und an Schwimmern hängen.Von Hand ziehen sie die Netze Stück für Stück an Bord und sammeln die Blaufelchen ein, die sich darin verheddert haben. Die Fische landen in einer Kiste mit Eis. Es ist eine anstrengende Arbeit, die in die Arme geht. «Man gewöhnt sich daran», sagt der 26-Jährige. «Und jetzt im Sommer geht es noch. Im Winter frieren dir dabei manchmal fast die Finger ab.»Witze, Wortgefechte, SeemannsgarnVater und Sohn sind ein eingespieltes Team, jeder Handgriff sitzt. Und die Stimmung an Bord ist gut, es fallen Witze, die beiden necken sich gern. Und es bleibt auch Zeit für etwas Seemannsgarn: «Gestern Abend habe ich am Himmel ein UFO gesehen, ich bin mir sicher», sagt der Vater. «Quatsch, das war bestimmt ein Flugzeug», antwortet der Sohn und verdreht leicht die Augen.Nach gut eineinhalb Stunden sind alle Netze an Bord. Rund 120 Fische liegen in der Kiste, das sind etwa 30 Kilogramm. «Damit decken wir kaum die Unkosten. Aber es ist schon mal besser als gestern», sagt Timon Görtz. Er wirkt zufrieden. Es geht retour in Richtung Ufer. Als Belohnung für die getane Arbeit gibt es jetzt Tabak. Der Vater holt eine Packung Villiger Krumme hervor, der Sohn zieht an einer Zigarette. «Manchmal ist es hart hier draussen», sagt der Jüngere. Bei Wind und Wetter kann es ungemütlich werden. «Im Winter setzen einen vor allem die Kälte und die Nässe zu. Ich konnte meine Hose daheim schon in die Ecke stellen, weil sie komplett gefroren war.» Missen möchte er den Job trotzdem nicht.Im Einklang mit der Natur«Ich bin quasi auf dem See aufgewachsen», sagt er. «Und ich kann mir nichts anderes vorstellen. Die Ruhe am Morgen, die Sonnenaufgänge, der Einklang mit der Natur . . . das ist für mich das Schönste.»Dass der junge Mann dafür einen hohen Preis zahlt, ist ihm bewusst. «Das ungesicherte Einkommen kann belastend sein», sagt er. «Manchmal muss ich jeden Rappen zweimal umdrehen. Besonders heikel ist es Anfang Jahr, wenn viele Rechnungen kommen.» Seine Freundin wünsche sich deshalb manchmal, dass er sich einen weiteren Job suche. «Und als ich mit 16 gesagt habe, dass ich in die Fussstapfen meines Vaters treten will, haben alle versucht, es mir aus­zureden.» Vergeblich. «Für mich ist es der perfekte Beruf, ich bin glücklich. Und ich bin trotz allem optimistisch, dass es weitergeht mit der Berufsfischerei.» Der Vater, stehend am Bootsruder, hört das Gespräch nicht, zu laut ist der Motor. Oder vielleicht doch? Zwischendurch schweift sein Blick auf den Sohn, ein Ausdruck von Stolz huscht über sein Gesicht.Die Berufsfischer haben am Bodensee-Obersee seit 2017 das zweitniedrigste Fangergebnis seit 1936 erzielt. Dies hat der Kanton St. Gallen kürzlich mitgeteilt. Mit 298 Tonnen gefangenem Fisch liegt der Ertrag 47 Prozent unter dem Mittelwert der vergangenen zehn Jahre. Dieser beträgt rund 563 Tonnen.Als Grund nennen der Kanton und die Internationale Bevollmächtigungskonferenz für Bodenseefischerei (IBKF) nicht nur den Nährstoffgehalt des Sees. Fischfressende Seevögel, die Verbreitung von Stichlingen sowie die Abnahme der Fischerpatente hätten ebenfalls einen Einfluss. (mre)