21.09.2018

Eisenwarenhändlerin feiert 100. Geburtstag

Lilly Stadler, deren Mann Josef zusammen mit Hans Huber den Grundstein für einen Weltkonzern legte, feiert heute ihren 100. Geburtstag. Sowohl an der SFS-Generalversammlung im April als auch am Mitarbeitertag im Sommer hat sie noch teilgenommen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererDie Augen haben zwar an Kraft verloren, und auf ihren gelegentlichen Ausflügen ins Städtli lässt sie sich begleiten. Aber wenn Lilly Stadler ihr Haus an der Bahnhofstrasse verlässt und sich am Geländer festhält, steigt sie die paar Stufen auf den Vorplatz mühelos hinab. Die Villa ist genauso alt wie sie.Das Altersheim war niemals eine Option gewesen. «Eher machen wir das Haus zum Heim», war immer die Devise. Bis sie 86 war, kam Lilly Stadler gut allein zurecht, und das bezeichnet sie als «puren Luxus». Seither sind stets Nachbarn für sie da: Christine und René Binder betreuen sie, leisten Gesellschaft – und gehö-ren mittlerweile zur Familie. Die ist so gross, dass Lilly Stadler oft Besuch hat, und den schätzt sie sehr.Ein paar Dinge zurechtgerücktTochter Annelies und Sohn Karl sind in nächster Nähe zu Hause, Sohn Josef starb vor ein paar Jahren. Der Kontakt zu den sechs Enkeln und der Enkelin ist so eng, dass sicher zwei immer dabei waren, wenn Oma Badeferien auf Zypern machte. Auch an ihren Lieblingsort, Heiligendamm an der Ostsee, wurde die Jubilarin diesen Sommer von einem Enkel begleitet, später stiess noch Tochter Annelies dazu.In ihrem zweiten Leben hat Lilly Stadler ein paar Dinge zurechtgerückt. Das zweite Leben hatte unschön angefangen, mit dem Tod des Gatten, 1983. Das erste Jahr war hart. Dann hat die Fabrikantengattin, wie Sohn Karl es ausdrückt, «den Weg in die Selbstständigkeit sehr gut gefunden». Sie lernte auch, das Leben zu geniessen, gönnte sich mit achtzig noch ein Cabrio, fünf Jahre später gab sie ihren Führerschein dann aber ab.«Hans Hubers Lehrvertrag habe ich noch»Lilly Stadler, geborene Lüchinger, wuchs als Einzelkind in Widnau auf, als Tochter eines Gemeindammanns. Als Vater Carl Bezirksammann wurde, zügelte die Familie nach Altstätten, 1936 war das. Nur wenig später lernte sie hier ihren späteren Mann Josef kennen, im damaligen Café Lanz in der Marktgasse kann es gewesen sein. Ob sie sich tatsächlich hier erstmals begegneten? Ganz sicher ist sie nicht.Josef Stadler hatte die Lehre in Zürich beendet und trat 1937 in den Familienbetrieb B. Stadlers Erben in Altstätten ein, den er zunächst zusammen mit seiner Mutter Anna führte. 1943 stellte Josef Stadler seinen späteren Geschäftspartner Hans Huber (1927–2018) als Lehrling ein, der auf ein Lehrstelleninserat reagiert hatte und den Lilly Stadler nach seinem Lehrabschluss kennenlernte. Ihr Sohn sagt, den Lehrvertrag habe er noch.In der aktuellen Ausgabe von «Finanz und Wirtschaft» ist das Inserat von 1943 erwähnt, ohne das es SFS «so nicht gäbe». Der Text dieser Anzeige lautet: «Offene Lehrstelle (kaufmännische) in Eisenhandlung des Rheintals. Intelligente 15- bis 16-jährige Jünglinge melden sich unter Chiffre 2396 an die Expedition.»Das erste Leben der Jubilarin hatte kurz nach dem Ende des Krieges, am 5. Juni 1945, einen Höhepunkt: In Altstättens katholischer Kirche heiratete die damals 26-Jährige den Altstätter Josef Stadler. Lilly Stadler benützt eine Metapher, indem sie mit nicht allzu ernstem Ausdruck meint: «So isch üse Chrieg aagange.» Im Drei-Generationen-Haushalt kam das Geschäft vor der Familie, es gab viel Diskussionen und halt auch Streit.1949 eröffnete Josef Stadler eine Filiale in Heerbrugg, im heutigen Kinotheater-Restaurant; 1953 kaufte er im gleichen Ort das Central, das er umbauen liess und in dessen Parterre sich der Laden nun befand. Zwei Jahre später wurde Stadler mit dem Kauf der Rheinecker Firma Giger zum Stahl- und Eisenwarenhändler mit Vollsortiment. Schliesslich nahm die fulminante SFS-Erfolgsgeschichte ihren Anfang, mit dem Bau des Presswerks, 1960.Die Stadler-Eisenwarenhandlung in Altstätten befand sich dort, wo die Heidener- in die Trogenerstrasse mündet. Unten war der Laden, darüber das Büro, in einer Wohnung lebte Anna Stadler (1891–1986), zuoberst waren ab 1945 Josef und Lilly mit den Kindern Karl, Josef und Annelies zu Hause. Erst 1973, als der Ausbau des Unternehmens zur international tätigen Firmengruppe SFS Holding AG im Gange war, zog die Familie in die Villa an der Bahnhofstrasse um. Fidel Eugster hatte sie erbauen lassen, ein Stickereifabrikant, dessen Accordina (die spätere Handorgelfabrik) bei Lilly Stadler an der Wand hängt, als Ölbild des Einheimischen Ferdinand Gehr.Als Josef Stadler am 17. Dezember 1983 64-jährig starb, endete für seine Gattin eine bewegte Zeit, in der sie als «Mädchen für alles» sowohl im Laden als auch im Büro vielfältige Arbeit erledigte. Auch mit dem VW-Bus war Lilly Stadler unterwegs gewesen, in der ganzen Ostschweiz, um Bauwerkzeuge auszuliefern. In den Schulferien durften die Buben mit, «eine schöne Zeit war das», sagt Lilly Stadler. Mal hinaus zu kommen, Neues zu erleben, habe sie geschätzt.Viel gestickt und Kunstvolles gestricktDie lange Zeit seit der Pensionierung hat Lilly Stadler sehr vielseitig verbracht. Sie stickte viel, liess schöne Gobelins entstehen, als Kunststrickerin ausserdem hübsche Gebrauchsgegenstände wie kunstvolle Decken. Mit Puzzles verbrachte sie ebenfalls gern ihre Zeit. Im Riet bei Montlingen, wo die Familie eine Parzelle besitzt, fand sie Ruhe und immerwährende Schönheit. Letztmals war sie letzte Woche dort.Und immer noch ist sie auch gerne weiter draussen in der Welt. Zusammen mit dem Gatten flog sie einmal mit der Concorde, ein besonderes Erlebnis war zudem die Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn. Zwar hat sie ganz so ferne Reiseziele nicht mehr , doch für ihre nächste Geburtstagsfeier kam aus der Familie auch schon der Vorschlag, nach Mexiko oder in die Dominikanische Republik zu fliegen, denn hier wie dort ist ein Enkel zu Hause. Lilly Stadler nimmt die Dinge eher, wie sie kommen, ohne grosse Planung. Heute feiert die Familie im «Quellenhof» in Bad Ragaz, die Kinder und die Enkel werden alle da sein.Für das nächste Jahr, sagt Lilly Stadler, stelle sie sich gern einmal ein Feiern in den eigenen vier Wänden vor. Sie sagt, Platz habe es dafür genug. Sohn Karl stimmt unvermittelt zu: «Eine gute Idee.» ******Zwei FamilienGenau ein halbes Jahrhundert war Lilly Stadlers Sohn Karl bei SFS tätig, heute führt sein Sohn Claude die Abteilung Management-Services, und Tochter Bettina vertritt die Familie Stadler im Verwaltungsrat von SFS. Darauf ist Lilly Stadler stolz.Die Entwicklung des Unternehmens sei geprägt durch die langjährige und enge Partnerschaft zwischen der Familie Huber und der eigenen – eine Partnerschaft, die durch die eingehende Diskussion vor dem SFS-Börsengang noch gestärkt worden sei.