08.04.2022

Ende einer Epoche: Die Saurer-Stickmaschinen gehen im Rheintaler Rivalen Lässer auf

Auf dem Weltmarkt für Grossstickmaschinen kommt es zu einer Konsolidierung: Saurer in Arbon verkauft sein entsprechendes Geschäft an den Diepoldsauer Konkurrenten Lässer – der als einziger Entwickler und Hersteller dieser Schiffchenstickmaschinen übrig bleibt.

Von Thomas Griesser Kym
aktualisiert am 02.11.2022
Was unser Portal vor vier Monaten, im Dezember 2021, vermeldet hat, ist nun fix: Die Diepoldsauer Lässer-Gruppe übernimmt von der Arboner Saurer Intelligent Technology deren Geschäftsbereich Embroidery – und damit Saurers gesamtes Geschäft mit Stick­maschinen. Statt wie bisher zwei Anbieter auf dem Weltmarkt für Schiffchenstickmaschinen gibt es künftig einen einzigen: Lässer. Dazu werden im Rahmen ei­nes Asset Deals alle Vermögenswerte und Verträge des Saurer- Stickmaschinengeschäfts auf Lässer übertragen. Bis Ende Mai 2022 soll dieser Betriebsübergang abgeschlossen sein.[caption_left: Blick in das Werk Lässers am einzigen Produktionsstandort am Hauptsitz in Diepoldsau.(Bild: pd) ]In der Praxis ist er schon in vollem Gang. Im Geschäftsbereich Embroidery in Arbon zählt Saurer laut Firmensprecher Peter Trinkl ungefähr 45 Beschäftigte. «Rund 30 Mitarbeitende gehen mit über zu uns», sagt Philipp Lässer als Mitglied der Inhaberfamilie und Geschäftsleitung des Rheintaler Unternehmens: «Die meisten dieser Mitarbeitenden sind schon bei uns in Diepoldsau tätig.»Lässer hat dafür eigens eine neue Tochtergesellschaft gegründet, die als Swiss Embroidery Solutions parallel zum Lässer-Betrieb läuft. Über die neue Tochter werden weiterhin die Saurer-Stickmaschinen vertrieben. Die nächste Maschinengeneration wird gemeinsam von Lässer und Swiss Embroidery Solutions entwickelt. Mittelfristig sollen die beiden Firmen fusioniert werden.Zwei völlig unterschiedliche UnternehmenDie Gründung einer Tochtergesellschaft hat auch mit der Geschichte der beiden Firmen zu tun. Lässer ist ein Familienunternehmen und anders strukturiert, mit flacheren Hierarchien ausgestattet als der Saurer-Konzern, der über 3000 Mitarbeitende zählt, an der Börse in Schanghai gelistet ist und mehrheitlich der chinesischen Jinsheng-Gruppe gehört. Und: In der Vergangenheit hatten sich die beiden Stickmaschinenhersteller über Jahrzehnte auf dem Weltmarkt bekämpft, nun sollen sie zueinander finden. Philipp Lässer sagt: «Dieser Wandel ist nicht für alle Saurer-Angestellten einfach zu verkraften.» Ein paar der Saurer-Beschäftigten hätten denn auch das Angebot einer Stelle bei Lässer ausgeschlagen. «Für sie hat es bei uns schlicht nicht gepasst», sagt Philipp Lässer. Seitens Saurer sagt Peter Trinkl: «Es hat einige Frühpensionierungen gegeben, aber keine Entlassungen.»[caption_left: Philipp Lässer, Mitglied der Lässer-Geschäftsleitung. (Bild: acp)]Die Firmen sprechen von einer «Konsolidierung der beiden Marktführer in der Produktion von Schiffchenstickmaschinen». Philipp Lässer sagt: «Mit diesem Schritt bündeln wir mehr als zwei Jahrhunderte an Wissen.» Sein Unternehmen, in dem er Teil ist der dritten Generation der Familie ist, wurde 1954 gegründet, Saurer ent­wickelte bereits 1878 die erste Schiffchenstickmaschine.Saurer-Sprecher Trinkl sagt, der Markt der Schiffchenstickmaschinen sei «in den vergangenen Jahren sukzessive sehr viel kleiner geworden». So sei das Marktvolumen von 100 Millionen Franken im Jahr 2014 auf zuletzt noch 20 Millionen geschrumpft. Mit ein Grund sei, dass die hochkomplexen Schiffchenstickmaschinen zunehmend von kleineren und günstigeren Mehrkopf-Stickmaschinen anderer Anbieter bedrängt würden. Oder auch, wie Philipp Lässer ergänzt, von anderen Verfahren wie dem Rascheln.«Ein neuer Typ Maschine, der das Beste vereint»Philipp Lässer sagt zwar, 2020 und 2021 seien vor allem wegen der Pandemie «nicht so gute Jahre gewesen». Aber mittlerweile bewege sich das Markt­volumen der Schiffchenstickmaschinen bereits wieder auf eine Grössenordnung von gegen 100 Millionen Franken zu. Auch führe für grosse Stickereiapplika­tionen etwa für Vorhänge oder Tischwäsche kaum ein Weg an der Schiffchenstickmaschine vorbei. Für andere Applikationen dagegen, das räumt Lässer ein, sei die teurere Grossstickmaschine gegenüber der Mehrkopf-Maschine im Nachteil.[caption_left: Der Lässer-Standort in Diepoldsau. (Bild: pd)]Indessen geht Philipp Lässer davon aus, mit der Saurer-Sticktechnologie unter seinem Dach neue Massstäbe setzen zu können. In den vergangenen zehn Jahren habe man die Leistungsfähigkeit der Schiffchenstickmaschine bereits in etwa verdoppelt. Nun wolle man dank der Bündelung des Know-hows und der Technologien «einen neuen Typ Maschine entwickeln, der das Beste von Lässer und Saurer vereint». Dazu werde man, wie dies die Firmen schon bisher gepflegt haben, weiterhin eng mit den Kunden kooperieren.Was und wer alles von Saurer zu Lässer wechseltIn der Transaktion eingeschlossen sind Entwicklung, Service und Vertrieb des Saurer-Stickmaschinengeschäfts. Zudem die Montage der Maschinen, die Saurer per Ende 2019 von Arbon an den chinesischen Saurer-Standort Suzhou verlegt hatte. All dies wird künftig am Lässer-Standort Diepoldsau erledigt. Neben den knapp 30 Mitarbeitenden vom Saurer-Standort Arbon übernimmt Lässer auch etwa zehn Monteure, die weiterhin in China und Indien im Kundendienst aktiv sind. Dabei wird Lässer die installierten Saurer-Stickmaschinen weiterhin warten. Abgesehen davon wird Saurer als Marke für Stickmaschinen aber verschwinden.Wie Philipp Lässer sagt, kann sein Unternehmen mit der Transaktion das Geschäftsvolumen annähernd verdoppeln. Die Zahl der Mitarbeitenden am Lässer-Hauptsitz und einzigen Produktionsstandort Diepoldsau steigt von 140 auf 170, jene im Ausland dank der neuen Monteure von 20 auf 30.Nach dem Ausstieg aus den  Stickmaschinen verbleiben bei Saurer in Arbon rund 30 Beschäftigte, wie Peter Trinkl sagt. Diese erfüllen Management- und Vertriebsaufgaben sowie Holdingfunktionen für Saurer-Gesellschaften in Europa, und zudem ist hier Saurers Technologiezentrum beheimatet, das Automatisierung, IT und Sensoren erforscht und entwickelt. Kommentar: Eine Chance für Schweizer StickmaschinenMit dem Übergang der Saurer-Stickmaschinen an Lässer finden Wissen und Erfahrung aus über 200 Jahren zueinander. Dabei ist Saurer in diesem Geschäft im Thurgau weitaus länger aktiv gewesen als es der Rheintaler Rivale ist. Traditionalisten mögen darum den Ausstieg Saurers aus den Stickmaschinen bedauern.Die Besinnung auf Traditionen allein ist hingegen ein schlechter Ratgeber, wenn es um die Zukunftsfähigkeit von Firmen und ihres Geschäftsmodells geht. Fakt ist: Saurer fokussiert in der Garnverarbeitung seit einiger Zeit aufs Spinnen und Zwirnen, zudem auf Software und Komponenten für Textilmaschinen. Die Stickmaschinen fristeten je länger je mehr ein kümmerliches Nischendasein im Konzern. Und 2019 wurde mit der Verlagerung der Maschinenmontage von Arbon nach China gar der Abschied eingeläutet vom Werkplatz Schweiz. «Swiss made» sieht anders aus.Vor diesem Hintergrund ist die Konzentration der Schiffchenstickmaschinen bei Lässer eine Chance. Das familiengeführte Unternehmen konzentriert sich ganz auf diese Grossmaschinen, entwickelt und fertigt einzig am Standort Diepoldsau. Kurzum: Die Familie Lässer und ihre Mitarbeitenden haben alles Interesse daran, mit den Stickmaschinen erfolgreich zu wirtschaften.Dass als Folge Saurers Montage von China in die Ostschweiz zurückkehrt, ist ebenso ermutigend. Es zeigt das Vertrauen Lässers in den hiesigen Werkplatz. Und es schafft Rechts­sicherheit, weil in China der Schutz geistigen Eigentums ein veritabler Papiertiger ist.Thomas Griesser Kym