13.05.2019

Er ist Seelsorger, nicht Lehrer

Georg Changeth kam nach Europa, um Moraltheologie zu lernen. Bald verstand er: Die Menschen brauchen keine Professoren. Sie brauchen Seelsorger. Seit Anfang Mai ist er Kaplan im Mittelrheintal.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der LindenGeorg Changeth wuchs in einer religiösen Familie auf. Als Kind und Jugendlicher machte er gute Erfahrungen in der katholischen Kirchgemeinde in Thuvayoor. Die Ortschaft liegt im Bundesstaat Kerala im Südwesten Indiens. Der dortige Priester pflegte einen offenen Kontakt, zu den Kindern und ist Georg Changeth noch heute ein Vorbild.Als der heutige Priester fünfzehn Jahre alt war, las er intensiv in der die Geschichte des Heiligen Franziskus. Folglich entschied er sich, katholische Theologie zu studieren.Heute missionieren die MissioniertenDer indische Theologiestudent verliess sein Heimatland im Jahr 2007. Er kam nach Europa, um zu lernen. In Rom vertiefte er sich in die Geisteswissenschaft und wurde Doktor der Moraltheologie. Die Tradition der Heiligen Stadt zog ihn an und er war fasziniert von der Kultur der Kirche und der historischen Stadt.In den folgenden Jahren bis 2012 hatte Georg Changeth in Italien, Deutschland und der Schweiz mehrere Einsätze als priesterliche Aushilfe. Währenddessen verstand er: Die Menschen in Europa brauchen keine weiteren Professoren oder Lehrer. Sie suchen nach Gott und brauchen viele gute Seelsorger. Aus dieser Erkenntnis heraus legte Georg Changeth seinen akademischen Gedanken beiseite. So wie einst die Europäer in Kolonialstaaten missionierten, so bedürfen sie heute der Missionare.Der indische Priester widmet sich fortan der Seelsorge. Er möchte die Menschen in Europa nicht in der Form belehren, wie es zur Kolonialzeit mit der indigenen Bevölkerung geschah. Etwas Neues hat der Inder nicht zu bringen. Er will den Menschen helfen, das Evangelium neu zu verstehen. Eine Gelegenheit dazu bot sich Georg Changeth vor sechs Jahren in Disentis. Die Kirchgemeinde warb ihn als Pfarrer an. Der Bischof seines Heimatbistums Mavelikkaya gewährte ihm die befristete Möglichkeit, sich in der Seelsorge weiterzubilden. Im Bistum St. Gallen mangelt es ebenso an geweihten Seelsorgern. Der indische Bischof vereinbarte mit Bischof Markus Büchel fünf weitere Jahre in der Schweiz.Sind beide Bischöfe einverstanden, ist es möglich, die zeitliche Beschränkung aufzuheben. Sodann könnte Georg Changeth im Bistum St. Gallen inkardiniert und unbefristet in Dienst genommen werden.Weder konservativ noch progressivIn den letzten sechs Jahren wirkte Georg Changeth im Bistum Chur, das der als konservativ bekannte Bischof Vitus Huonder leitet. Nun wechselte er in die Seelsorgeeinheit Widnau-Balgach-Diepoldsau/Schmitter und somit in das als liberal geltende Bistum St. Gallen. Hier untersteht er Bischof Markus Büchel.Ob eine konservative oder eine progressive Haltung in der Kirche die richtige sei, mag der Kaplan nicht sagen. Vielfach denke man, dass konservativ eingestellte Menschen zu geschlossen und progressiv denkende ganz liberal seien, sagt er. Die Kirche befinde sich in einer Krise und er habe die Aufgabe, an dieser Kirche zu bauen. Als Priester ist er für die Menschen da. Er sieht seine Aufgabe darin, ein Vorbild dafür zu sein, wie man Jesus Christus nachfolgen kann. Sein Standpunkt: Jesus Christus ist der Mittelpunkt. Er lebte einfach und mit den Menschen, redete deren Sprache. So will der Kaplan Teil des Dorf- und Pfarreilebens sein und eine Brücke zur Bistumsleitung bauen.Georg Changeth setzt alles daran, glaubwürdig aufzutreten. Es sei heute nicht leicht, den Glauben zu leben. Zu viele Angebote stehen in Konkurrenz mit der Institution. Der Seelsorger möchte die Menschen dahin führen, die innere Tiefe des Glaubens an Gott zu erkennen. Die Herzenssprache der Menschen, für die er Seelsorger ist, zu verstehen ist dem Priester nicht genug. Er will sie selbst beherrschen. Deshalb spricht er neben seiner Muttersprache fliessend Italienisch, Englisch, Deutsch und Rätoromanisch. In Disentis verstand man ihn in der Liturgie und in der Schule bestens. Als nächste Sprache möchte er Schweizerdeutsch erlernen. Er werde nie so reden können, wie jemand, der im Rheintal geboren wurde, glaubt er. Aber er möchte möglichst viele Barrieren abbauen oder gar nicht erst aufbauen.Seit seinem ersten Kontakt mit den Menschen im Rheintal fühlt Georg Changeth sich von ihnen angenommen. Er vergleicht sie mit der Landschaft. So wie die Berge hier weiter sind, sind auch die Menschen offener.Ihm ist aber auch aufgefallen, dass die Menschen in der Schweiz oft von ihren Familien getrennt leben. Es gibt viele Alleinstehende, die einsam sind. In Indien ist die Familienbande stärker, aber auch enger. Viele Frauen leiden daran, dass sie kein eigenes Einkommen haben und an der Familie festhalten müssen, wenn der Mann ein Alkoholiker ist.Der 45-jährige Inder kennt Heimweh aus den ersten Jahren in Europa. Jetzt sieht er seine Heimat hier.HinweisDie Pfarreien begrüssen Kaplan Georg Changeth jeweils in einem Gottesdienst in der katholischen Kirche und beim anschliessenden Apéro: Diepoldsau, Samstag, 18. Mai, 18.30 Uhr; Widnau, Sonntag, 19. Mai, 10.30 Uhr; Balgach, Sonntag, 26. Mai, 9 Uhr.