07.08.2019

Frauenschänder stritt lange alles ab

Am Ende war der Frauenschänder doch geständig: Alles, was die Opfer sagten, treffe zu.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Das Urteil für den heute 38-jährigen Belgier, der sich als Osteopath der sexuellen Übergriffe an gut zwei Dutzend Patientinnen schuldig gemacht hat, kam auf besondere Weise zustande. Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten sich auf einen Urteilsvorschlag zuhanden des Kreisgerichts Rheintal geeinigt – und somit auf ein abgekürztes Verfahren.Das bedeutet: Die geschändeten Patientinnen mussten dem Täter nicht gegenübertreten und nicht in seiner Gegenwart aussagen. Darauf hätte der Mann bestehen können. Doch nachdem er anfangs jede Schuld bestritten, keck die Entlassung aus der Untersuchungshaft gefordert und sogar geschrieben hatte, er werde «auf kriminelle Weise falsch beschuldigt», vollzog er schliesslich die Kehrtwende.«Riesenfall» verhindern könnenDer von der Staatsanwältin als «sehr, sehr zäh» beschriebenen Zusammenarbeit folgte das uneingeschränkte Schuldeingeständnis. Der Mann widersprach auch vor Gericht keiner Anschuldigung, sondern äusserte sich zu allen Vorwürfen mit einem kurzen «Ja», er anerkenne sie. Das Ganze «wäre sonst ein Riesenfall geworden», meinte der Verteidiger.Der ausgebildete Osteopath, der als Angestellter einer Praxis den Bewegungsapparat von insgesamt sechzig Patientinnen behandelte, flog im März 2017, nach knapp vier Monaten, auf und wurde fristlos entlassen. Eine Woche vor dem Rauswurf war der Geschäftsführung und dem Sekretariat aufgefallen,  dass Dutzende Patientinnen nicht mehr zur Therapie kamen oder wünschten, künftig von einer Frau behandelt zu werden.Die Praxis kontaktierte alle Patientinnen, die beim Osteopathen gewesen waren, und erkundigte sich nach dem Grund für den Behandlungsabbruch. Viele Frauen gaben an, der Osteopath habe sie an den Geschlechtsteilen berührt, sein eigenes Geschlechtsteil an ihnen gerieben, sie im Schambereich berührt oder die Brüste angefasst. Mehrfach war der Mann auch mit den Fingern in die Scheide eingedrungen.Die Frauen waren insofern widerstandsunfähig, als sie aufgrund ihres körperlichen Leidens in ihren Bewegungen eingeschränkt waren und durch die Behandlung teils festgehalten oder auf die Liege gedrückt wurden. Fast alle Opfer hatten zudem die Augen geschlossen und befanden sich in einem Entspannungs- bzw. schlafähnlichen Zustand, als der Osteopath sich an ihnen verging.Präsident gratulierte den Frauen zu ihrem Mut13 der betroffenen Patientinnen erstatteten Anzeige. Ihnen gratulierte der Gerichtspräsident am Ende der Verhandlung zu ihrem Mut. Vier der Frauen wohnten der Verhandlung bei. Der Täter entschuldigte sich bei seinen Opfern und wandte sich – auf Vorschlag des Gerichtspräsidenten – den anwesenden Frauen zu, um seine Reue zu bekunden. Das von Staatsanwaltschaft und Verteidigung einvernehmlich vorgeschlagene Urteil lautete auf 40 Monate Gefängnis, 10 Jahre Landesverweis sowie ein lebenslängliches Berufsverbot in der Schweiz. Der Belgier solle hier nie mehr im Gesundheitswesen Menschen behandeln dürfen. Das Gericht hiess diesen Urteilsvorschlag gut. Das ungewöhnliche Vorgehen, das laut Staatsanwältin «keinen Strafrabatt» bedeutete, kam nicht nur den Opfern entgegen. Es bedeutet auch, dass dieses Urteil gilt und kein Rekurs mehr möglich ist.In die Schweiz war der Osteopath gekommen, nachdem er eine Stellenanzeige gesehen hatte. In seiner Heimat und in Holland waren schon ähnliche Vorwürfe wie in der Schweiz gegen den Mann erhoben worden, es kam jedoch zu keiner Verurteilung. Somit lag keine einschlägige Vorstrafe vor, doch vom Berufsverband in Holland war der Osteopath wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung ausgeschlossen worden.Der Gerichtspräsident gab zu verstehen, dass die Eigentümerschaft der Praxis, in der die Vorfälle geschahen, bei der Auswahl ihres Mitarbeiters «sehr sorgfältig vorgegangen» sei. So seien etwa gewissenhaft Erkundigungen eingeholt worden, die aber nichts Negatives ergeben hätten.Viel Cannabis konsumiertDer Osteopath sprach vor Gericht von einer Cannabissucht und einer aufputschenden Wirkung der Droge in Kombination mit Energydrinks. Die Frage des Präsidenten, weshalb er trotz klarer Grenzüberschreitung immer weitergemacht habe, führte zu der Antwort, er habe sich in einer Abwärtsspirale befunden, habe sich bei seinen Taten immer schlechter gefühlt und aus der Sache nicht mehr herausgefunden.Der Gerichtspräsident liess mehrfach Unverständnis durchblicken und sprach von einem «massiv verletzten Gastrecht» in unserem Land. Er hoffe wirklich, dass der Verurteilte nun nicht in anderen Ländern gleich verfahre wie in der Schweiz. Der Osteopath bekundete seine Absicht, in der Heimat eine Therapie zu machen. Dass er dies im Strafvollzug bisher versäumt hat, begründete er damit, dass er sie in seiner Muttersprache machen wolle. Die vor Gericht anwesende Dolmetscherin war stark unterbeschäftigt. Bloss ein paar Mal hatte sie erklärend beizustehen.