21.02.2022

Geisterhäuser: Erst verlassen, dann verfallen

Was mit alten, baufälligen Häusern passiert, obliegt der Eigentümerschaft. Diese wird zunehmend aktiv.

Von Andrea C. Plüss
aktualisiert am 02.11.2022
Ein schmuckes Einfamilienhaus reiht sich an das nächste, kubusförmige Gebäude mit grossen Glasfronten folgen auf Objekte im Landhausstil. Und dann der Bruch: Da steht ein altes Ge­bäude mit windschiefem Dach und klapprigen Fensterläden; der Putz bröckelt, das Holz ist morsch und Unkraut wuchert vor dem Eingang. Man spricht auch von sogenannten «Geisterhäusern», mit teils morbidem Charme.Wir haben auf einer Fahrt durch das Tal solch vergessene Häuser gesucht und nachgefragt, was über diese Gebäude bekannt ist. Das Haus im Bild rechts steht an der Böschachstrasse in Widnau. Bewohnt war es bis Mitte 2020, teilt die Bauverwaltung auf Anfrage mit. Die Tage des Objekts dürften gezählt sein, denn sowohl Abbruch- wie auch Baubewilligung für einen Ersatzbau wurden im selben Jahr erteilt. Eine Erbengemeinschaft realisiert dort ein Doppeleinfamilienhaus.Schräg gegenüber, an der Vis­cosestrasse 14, ist der Abbruch eines leerstehenden Hauses bereits im Gang, das Baugesuch in Bearbeitung. Weitere solche Objekte gebe es in Widnau nicht, schreibt Bauverwalter René Altherr. Es handle sich um «sehr, sehr seltene Einzelfälle». Massnahmen müssen verhältnismässig seinVon «sicher einigen» Objekten, die sich in abbruchreifem Zustand befinden, geht Altstättens Hochbauleiter Daniel Kehl aus. Die Baubehörde könne solche Häuser abbrechen lassen, sagt er. Ist ein Haus nachweislich abbruchreif und gefährdet die Sicherheit von Personen, besteht «ein rechtswidriger Zustand», erklärt der Hochbauleiter. Die Grundeigentümerschaft könne verpflichtet werden, den rechtmässigen Zustand wieder herzustellen. «Es geht darum, eine verhältnismässige Massnahme zu verfügen.» Manchmal genüge eine Abschrankung oder Einzäunung des Grundstücks, um das Gefahrenpotenzial zu bannen. Bei Einsturzgefahr stehe jedoch eine Abbruchverfügung im Vordergrund.[caption_left: Diese Liegenschaft an der Staatsstrasse in Oberriet ist verkauft. Nach dem Abriss möchte die Save an Animal Foundation dort eine Katzenstation errichten.] Doch nur weil ein Haus unbewohnt ist und nicht unter­halten wird, muss es nicht abbruchreif sein – dazu wäre eine konkrete Prüfung des Objekts erforderlich. Ab und zu meldeten sich Leute bei der Bauverwaltung, weil sie den Zustand eines Gebäudes als gefährdend empfinden, beispielsweise aufgrund herabfallender Bauteile, gibt Kehl an. Die Grundeigen­tümerschaft würde dann aufgefordert, die «minimal notwendige Sicherheit umgehend herzustellen».Die Gemeinden haben allerdings keine Handhabe, Grundstücke in Privateigentum, auf denen sich ein unbewohntes, renovationsbedürftiges Haus befindet, dem Markt zuzuführen, sei es durch Sanierung oder Grundstücksverkauf. Der Bernecker Gemeindepräsident Bruno Seelos sagt, ihm seien «kaum Fälle bekannt, in denen Gemeinden, gestützt auf Artikel 101 PBG, eingeschritten sind, beziehungsweise Häuser danach wieder bewohnbar gemacht wurden».[caption_left: An der Littenbachstrasse in Berneck, auf dem Mobil-Werke-Areal, steht dieses Haus seit langem leer.]Auf dem Areal der Mobil-Werke an der Littenbachstrasse in Berneck stehen seit Jahren einige Häuser leer. Der Grossteil des Areals, gut 20000 Quadratmeter, gehört seit der Zonenplanrevision 2013 zur Wohnzone, ein anderer Teil, rund 5600 Quadratmeter, zur Wohn-/Gewerbezone.Es ist anzunehmen, dass die Häuser auf dem Gelände nicht mehr vermietet werden, weil ein Sondernutzungsplan für das Areal erstellt werden soll und ein Standortwechsel des Betriebs vorgesehen ist.Eine Prämie für den Abbruch Vor gut zehn Jahren habe es in St. Margrethen eine Abbruchprämie gegeben, erinnert sich der dortige Bauamtsleiter Claudio Pallecchi. Diese sollte für Eigentümer ein Anreiz sein, Altbauten, bei denen sich auch aus energetischer Sicht Sanierungen nicht mehr lohnten, abzureissen und einen Neubau zu erstellen. Zweimal sei ein Festbetrag für die Prämienzahlungen zur Verfügung gestanden. Nach Ausschöpfung dieser Mittel wurde das Projekt eingestellt.Aktuell sind Pallecchi keine unbewohnten alten Gebäude in der Gemeinde bekannt, was er auf die rege Bautätigkeit in den letzten Jahren zurückführt. Ein Abbruchvorhaben an der Hauptstrasse Richtung Rheineck sei derzeit unterbrochen.Um einen Rückbau von Altobjekten, deren Sanierung zu teuer käme, für Grundeigentümer attraktiver zu gestalten, gibt es im Rahmen der Bundesgesetzgebung steuerliche Anreize für einen Abbruch.Nachgefragt«Der Abbruch von alten Objekten ist abzugsfähig»[caption_left: Felix Sager ist Leiter des kantonalen Steueramts und beantwortet Fragen zu «Geisterhäusern» und Abrissanreizen. (Bild: Ralph Ribi)]Jemand besitzt ein unbe­bautes Grundstück in der Bauzone. Wie wird das besteuert?Felix Sager: Die Vermögensbesteuerung von Grundstücken erfolgt zum Verkehrswert. Der Verkehrswert von Grundstücken entspricht dem mittleren Preis, zu dem Grundstücke gleicher oder ähnlicher Grösse, Lage und Beschaffenheit in der betreffenden Gegend veräussert werden. Der Verkehrswert wird bei der Grundstückschätzung ermittelt.Was ändert sich, steht auf dem Grundstück ein Haus, das unbewohnt und wegen seines Zustands auch nicht bewohnbar ist? Die zuvor angesprochenen Grundsätze kommen auch hier zur Anwendung. Ist das Ge­bäude objektiv unbewohnbar, schlägt sich das entsprechend im Verkehrswert nieder. Bei überwiegend land- oder forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken spricht man vom Ertragswert. Auf eine Besteuerung des Eigenmietwerts wird wegen der objektiven Unbewohnbarkeit verzichtet. Dies wird in den Schätzungen von Grundeigentum auch so vermerkt und es erfolgt keine Eigenmietwertschätzung, beziehungsweise der Eigenmietwert beträgt dann null Franken.Ist es aus steuerlichen Gründen für Steuerpflichtige attraktiver, ein Abbruchobjekt stehen zu lassen?Der Bundesgesetzgeber fördert seit dem 1. Januar 2020 bei Grundstücken im Privatvermögen den Abbruch von alten Objekten, indem Rückbaukosten im Hinblick auf einen Ersatzneubau von den Einkünften steuerlich abzugsfähig sind. Allerdings muss der Ersatzneubau innert drei Jahren nach erfolgtem Rückbau errichtet werden.Haben Gemeindesteuerämter in der Beurteilung einen Spielraum? Es besteht kein Spielraum, weil die objektiv fehlende Nutzbarkeit durch die Schätzer der Grundstücke in der Schätzung festgehalten wird.