18.11.2019

Mann der Lüfte

Fliegen lernte Martin Kurath schon in der Lehre. Sein Monatslohn reichte für drei Flugstunden.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert Bruderer15 bis 20 Mal pro Jahr fährt der 73-Jährige von Diepoldsau nach Altenrhein, um hier im Flieger- und Fahrzeugmuseum eine Gruppe durchs Haus zu führen und Interessantes aus früherer Zeit zu berichten. Die Museumsbesucher kommen an manchen Stücken vorbei, mit denen Martin Kurath schöne Erinnerungen verbindet. Die grosse Tafel hinter Glas, auf der akkurat alle im Flugzeugwerk Altenrhein gebauten Flugzeugtypen zu sehen sind, hat Kurath sogar selbst angefertigt –als er noch bei FFA beschäftigt war.Der in St.Gallen aufgewachsene und seit 1986 in Diepoldsau lebende Martin Kurath begeisterte sich schon früh für die Fliegerei. Als 1961 das St.Galler Tagblatt einen Flug der P-16 ankündigte, fuhr der Jugendliche mit einem Kollegen mit dem Velo nach Altenrhein, um das von den FFA entwickelte Kampfflugzeug am Himmel zu sehen. Es war das einzige Mal. Im Jahr darauf bestand Martin Kurath beim Altenrheiner Betrieb die Prüfung zur Aufnahme in eine vierjährige Lehre.«Zerscht hät’s eim grad mol abglöscht»Die Freude war gross, der Arbeitsstart aber enttäuschend. Nach kühlem Empfang, Administrativem und dem Werkzeugfassen waren die ersten zwei Tage ganz dem Feilen vorbehalten. An einer Werkbank hatte jeder der wohl etwa 15 Erstjahrstifte seinen Platz, und hier begann die Ausbildung auf eine Weise, bei der es «eim zerscht grad mol abglöscht hät», erinnert sich der Diepoldsauer.Als Mechaniker-Lehrling hatte er angefangen, unkompliziert konnte er nach eineinhalb Jahren die Richtung wechseln und als Maschinenzeichner-Lehrling (heute -konstrukteur) mit der Ausbildung fortfahren. Zwei Jahre verbrachte er in der Lehrwerkstatt, bevor er ins technische Büro zügeln konnte und Einblick in verschiedene Bereiche wie den Waggonbau und den Flugzeugbau erhielt.Lehrlinge wurden bedarfsweise hier und da eingesetzt, «früher war das gang und gäbe», so dass Martin Kurath ein paar Monate Arbeiten für einen ETH-Ingenieur verrichtete, einen Aerodynamiker. Der Lehrling stellte Leistungsdaten und das Flugverhalten unter bestimmten Bedingungen zeichnerisch dar. Auch dem Chef des Lehrenmagazins wurde er für eine Weile zugeteilt: Nach dem Aus für das ehrgeizige P-16-Projekt der FFA war es die Aufgabe Kuraths, viele teure, hochpräzise Teile zu entsorgen und jene Vorrichtungen (so genannte Lehren) beiseite zu legen, für die man noch Verwendung hatte.Als Lehrling die Flugprüfung gemachtBereits in der Ausbildung lernte der strebsame Stift fliegen. Dank der Werkfluggruppe (die er später vier, fünf Jahre präsidierte) legte er noch vor dem Lehrabschluss mit einer Piper die Flugprüfung ab. Für diesen Erfolg hatte der Stift nicht nur viel Freizeit, sondern auch einen grossen Teil seines Lehrlingslohns eingesetzt. Der anfängliche Lohn hatte für zwei Wochen 50 Franken betragen, eine Flugstunde kostete 30. «Ohne Funk konnte man damals nach Kloten fliegen», sagt Martin Kurath. Ein elektrisches System hatte das Flugzeug noch nicht, und vor dem Start musste jemand den Propeller anwerfen. In Kloten bestand, parallel zur Westpiste, eine Rasenpiste für Kleinflugzeuge.Nach der Lehre setzte der Konstrukteur die fliegerische Laufbahn fort, indem er sich zum Berufspiloten ausbilden liess. Zu diesem Zweck fuhr man während eines Wintersemesters zu viert fünfmal wöchentlich nach Kloten, wohlgemerkt nach Feierabend, um bei der Motorfluggruppe Zürich den Abendkurs zu besuchen und sich das theoretische Rüstzeug anzueignen. Die Autobahn war damals weitgehend inexistent. In Bern folgte anschliessend die Ausbildung zum Fluglehrer, die zwei Wochen dauerte.FFA-Firmenpilot, dann 22 Jahre bei der RegaDie neu erworbenen Fähigkeiten liessen Martin Kurath nach dreijährigem Wirken im technischen Büro einen Wechsel vollziehen. Zehn Jahre lang, bis 1979, war er FFA-Firmenpilot. Zu diesem Vollzeitjob gehörten vor allem Geschäftsflüge, zudem Kontrollflüge mit den gewarteten Flugzeugen, Testflüge oder das Schleppen von Segelflugzeugen hoch hinauf, damit Erprobungsflüge möglich waren oder die Segelflieger sich Kunden vorführen liessen. Dass es hierbei auch zu Situationen kam, die nicht ganz ungefährlich waren, lässt Kurath nicht unerwähnt.Von den FFA wechselte Martin Kurath zur Rega, die zu jener Zeit zwei Lear-Jets hatte und später zwei Hawker-Maschinen. 22 Jahre blieb der leidenschaftliche Pilot bei der Rettungsflugwacht. Durch die Heirat mit der Diepoldsauerin Priska Weder 1981 kam es dazu, dass Martin Kurath ab 1986 auch hier lebte und als Vater einer Tochter nur noch zu 50 Prozent für die Rega arbeitete. Das gleiche Pensum hatte er nun in der mechanischen Werkstätte von Gattin und Schwager, der ehemaligen Weder + Kurath AG. Seine guten EDV-Kentnisse verdankte er der Rega-Tätigkeit.Dass Martin Kurath an einem denkwürdigen Tag letztmals ein Flugzeug steuerte, war reiner Zufall. Seine letzte Landung war vorüber, als jene schlimme Nachricht um die Welt ging, die als «Nine-Eleven» im Gedächtnis bleibt. Es war der 11. September 2001.Abgestürzten Piloten sogleich in warme Decken gehülltDen Piloten Jean Brunner, der im Jahr 1958 über dem Bodensee mit einer P-16 abstürzte, kannte Martin Kurath noch persönlich. Der Mann, der sich mit dem Schleudersitz retten konnte, wurde von zwei Buben auf ihr Pedalo geholt und zum Ufer gebracht. Hier wartete bereits ein Taxi. Als der Flugdienstleiter den Piloten hinten drin im Fahrzeug liegen sah, meldete er dessen Gattin vorschnell, ihr Mann sei ums Leben gekommen. Tatsächlich hatte er das Unglück überlebt.Im Spital in Rorschach wurde der abgestürzte Pilot von der Krankenschwester unverzüglich in warme Tücher gehüllt. Martin Kurath weiss das vom Piloten, der einmal in einem Vortrag über seinen Absturz sprach. Als der Pilot die Krankenschwester später fragte, weshalb sie denn die warmen Tücher schon bereitgehalten habe, zeugte die Antwort von vorbildlicher Weitsicht. Sie habe das Flugzeug am Himmel beobachtet, das sei ja nicht allzu oft möglich gewesen, und als sie die Maschine gegen Boden stürzen und den Fallschirm des Piloten sah, zog sie die richtigen Schlüsse: Demnächst werde ein nasser, un­terkühler Mann ihrer Pflege bedürfen.