06.07.2018

Mehr Regeln braucht es nicht

Hält der Sommer Einzug, dauert es nicht lange, bis in den Medien über passende und unpassende Schulkleidung debattiert wird. An Rheintaler Schulen müssen sich nicht nur Schüler überlegen, was sie anziehen.

Von Andrea C. Plüss
aktualisiert am 03.11.2022
Andrea C. PlüssDas Gymnasium Oberaargau in Langenthal erlangte kürzlich mediale Aufmerksamkeit. Die Schulleitung hatte den Schülerinnen (und nur diesen) per E-Mail Kleiderempfehlungen für die sommerliche Jahreszeit übermittelt und sah sich daraufhin mit Sexismus-Vorwürfen konfrontiert.Das Bedürfnis, durch Bekleidungsrichtlinien einen Minimalkonsens zwischen dem Selbst­bestimmungsrecht der Schüle­rinnen und Schüler in Klei­- dungsfragen einerseits und dem Wunsch nach angemessener Kleidung im öffentlichen Raum, also während der Schulzeit zu erzielen, besteht auch bei Schulträgern im Rheintal. Zu definieren, was als passende Kleidung zu gelten hat, erweist sich hingegen als kompliziert. Einfacher ist die Benennung dessen, was als unpassend angesehen wird.Benannt wird, was unerwünscht istZu den «No-Gos» gehören: bauchfreie T-Shirts, sichtbare Un­terwäsche, sichtbarer Poansatz (das schliesst Hotpants ein). Das gilt an der Oberstufe Rebstein/Marbach, der Oberstufe St. Margrethen, der Oberstufe Widnau wie auch der Oberstufe Mittelrheintal (OMR). Damit erschöpfen sich bereits die Gemeinsamkeiten im Unerwünschten. Schon beim Spaghettitop heisst es einmal: ja, erlaubt (St. Margrethen) oder nein, nicht erlaubt (Rebstein/Marbach) oder, wie in Widnau: jein; erlaubt nur, «wenn der Brustansatz nicht sichtbar ist».«Ab und an» käme es im Oberstufenzentrum St. Margrethen vor, dass Schülerinnen oder Schüler «zu freizügig» bekleidet in den Unterricht kämen, sagt Schulpräsident Roger Trösch. Die Lehrperson bitte in solchen Fällen die Schülerin oder den Schüler darum, sich zu Hause umzuziehen. Einen Bedarf an strikteren Kleidervorschriften kann Roger Trösch nicht ausmachen; eine Kleiderordnung besteht für das Oberstufenzentrum bereits seit geraumer Zeit.«In seltenen Fällen» habe man Schülerinnen oder Schüler auf unpassende Kleidung hinweisen müssen, gibt Schulleiter Jürg Germann Auskunft. Es habe jedoch an der Oberstufe Rebstein/Marbach «nie einen Anlass gegeben, das Thema formell anzugehen». Vor fünf Jahren hatte dort das Schülerparlament mit Unterstützung der Schulleitung eine Bekleidungsrichtlinie für Schülerschaft und Lehrerschaft zusammengestellt.Auch an der Oberstufe Gäs­seli in Widnau existiert seit gut zehn Jahren eine Kleiderrichtlinie. Entspricht die Kleidung einzelner Schülerinnen oder Schü­-ler einmal nicht den Richtlinien, sprechen Lehrkräfte eine «Ermahnung» aus. Auch könne es vorkommen, dass Schüler nach Hause geschickt würden, um sich umzukleiden, gibt Schulpräsident Hugo Fehr Auskunft. Striktere Kleidervorschriften hält Fehr «grundsätzlich nicht» für nötig.Sanktionen wären ohnehin an der Volksschule schwer umsetzbar. Das Volksschulgesetz gibt den Schulen keinerlei Handhabe, was die Kleidung der Schülerinnen und Schüler angeht. Die Fachstelle Schulrecht weist auf den Grundsatz hin, dass für die Kleidung «die Schülerinnen und Schüler selbst und die Eltern» verantwortlich sind. Es bestehe «kein Weisungsrecht an die Schüler über Kleidung, Schminke oder Haartracht». Die psychische Integrität dürfe nicht verletzt werden. Faktisch befinden sich Volksschulen also in einem Dilemma, was die Kleiderfrage angeht.Mittelschulen setzen auf Mitverantwortung«Wir vertrauen unseren Schülerinnen und Schülern im Allgemeinen und trauen ihnen auch im Besonderen die Einschätzung zu, was angemessene Kleidung bedeutet», teilt Marc Caduff, Prorektor der Kantonsschule Heerbrugg (KSH), zum Thema mit. In der Hausordnung werden Schülerinnen und Schüler der KSH in Art. 1 unter anderem auf das Einhalten von Verhaltensregeln, zu denen auch «angemessene Kleidung» zählt, hingewiesen. Schulordnungen an Mittelschulen können sich generell auf Art. 44 des Mittelschulgesetzes stützen, in dem festgelegt ist, dass den Vorschriften in den jeweiligen Schulordnungen Folge zu leisten ist.Die Frage, ob Schülerinnen oder Schüler auf unschickliche Kleidung hingewiesen werden mussten, umschifft Caduff elegant: «Sollte sich eine Schülerin oder ein Schüler einmal unsicher fühlen (bei der Kleiderfrage), klären wir das gern im persön­lichen Gespräch». Einen sol­-chen Austausch von Argumenten beschreibt Caduff als «frucht­- bar und sinnvoll». Tatsächlich scheint die Frage nach der «passenden» Kleidung an der hiesigen Kanti wenig Kontroverses hervorzubringen. Mehrere Absolventinnen der KSH versicherten, auf mögliche Bekleidungsprobleme angesprochen, ihnen seien solche nicht in Erinnerung.Nun ist es aber nicht so, dass es allein auf Seiten der Schülerschaft in Sachen Kleiderwahl gelegentlich «zu freizügig» oder «zu lässig» zugeht. Auch Lehrpersonen haben anscheinend ab und an Mühe, das Passende für den Schultag aus dem Kleiderschrank zu greifen. Den «einen oder anderen Grenzfall» habe es gegeben, äussert sich dazu der Widnauer Schulpräsident. Diese Fälle habe man angesprochen. Markus Waser, Schulleiter der OMR, räumt ein, es habe auch schon mal zu lässig gekleidete Lehrpersonen gegeben, mit de­nen das Gespräch gesucht worden sei.«In einem Fall habe ich ein ausserordentliches Gespräch geführt», gibt Waser an. Seit dem gerade zu Ende gegangenen Schuljahr gibt es eine «Dress-Code Empfehlung» an der OMR, die gut demokratisch in der Vernehmlassung im Schulleitungsteam erstellt wurde. Deutlicher wird da Patrick Spirig, Schulratspräsident aus Diepoldsau: «Badelatschen oder Schlabberlook geht für Lehrpersonen gar nicht.» Weiter hält er fest, dass eini­- gen, sehr wenigen «einfach «das Flair» fehle.Mit dieser Ansicht steht Spirig nicht allein. Immer mehr Schulen buchen Stil-Experten für die Lehrerschaft, was von Bildungsvertretern durchaus befürwortet wird. Schliesslich würden Schülerinnen und Schüler auch immer stilbewusster.Schaut man sich dieser Tage die Fotos der Abschlussklassen an, kommt man um die Erkenntnis nicht umhin: Das stimmt! Wobei sich über Geschmack natürlich nicht streiten lässt.