15.06.2020

«Plötzlich Kurzarbeit beantragen müssen»

Die Kunstturner des Trainingszentrums Rheintal in Widnau kommen mit Schrammen über die Coronakrise hinweg.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Yves Solenthaler Kunstturnen Wenn der Rollladen nicht ganz unten ist, sieht man beim Betreten des Sport- und Eiszentrums Aegeten stets die Turner des TZ Rheintal. Sie drehen sich um den Turnpilz, schwingen am Reck oder stemmen sich am Barren in die Höhe. Die Ältesten, Elf- und Zwölfjährige, sind jeden Tag während dreieinhalb Stunden in der kleinen Halle am östlichen Ende der Anlage.Allein daran hätte sich von Mitte März bis zum 11. Mai verlässlich der Lockdown ablesen lassen: Wenn die Kunstturner nicht in der Halle sind, muss das Leben stillstehen.Ein ganzes Jahr ohne einen Wettkampf Den Talenten, die in Widnau das Rüstzeug für eine Spitzensportkarriere erhalten, fiel das Stillsitzen während des Lockdown besonders schwer. Sie durften zwar Kleingeräte nach Hause nehmen und erhielten vom neuen Trainer Martin Weibel Wochenaufgaben über Video zugetragen, so gab es einen kleinen Wettkampf. Aber das war höchstens ein notdürftiger Ersatz fürs Hallentraining.«Die Kinder sind sich viel Bewegung gewohnt», sagt Nathalie Akkir, Vizepräsidentin und Mutter des achtjährigen Turners Sinan. Umso grösser war die Freude, als am 11. Mai das Training wieder los ging, wenn auch – ohne Hilfestellung – noch nicht alles möglich war. Seit Mitte Juni trainieren die Kunstturner wieder weitgehend normal. Die Wettkämpfe werden ihnen in diesem Jahr aber unwiederbringlich fehlen: Ihre Saison dauert von Ende März bis Sommer, genau die Zeit der pandemischen Pause.Es gibt noch Testtage im Herbst, aber richtige Wettkämpfe stehen erst 2021 wieder in der Agenda. Für Trainer Weibel bedeutet das, dass er Zwischenziele setzt, um die Moral hochzuhalten. Etwas Gutes hat die Wettkampfpause: Der neue Cheftrainer bekommt durch die lange Startphase ohne Wettkampf viel Zeit, um seine Ideen zu verwirklichen.Für den Verein schwerwiegend ist aber die Absage des Rheintalcups, ausgerechnet die Jubiläumsausgabe (die 25.) fiel aus. «Das Schweizer Nationalteam wäre zu uns gekommen», ärgert sich Nathalie Akkir. Der Jubiläumsanlass soll nun 2021 über die Bühne gehen. Dass der Wettkampf in Widnau dem Nationalteam wieder ins dicht gedrängte Programm passt, ist unwahrscheinlich.Sponsoren federn Absage des Rheintalcups abDas ist die emotionale Seite, bedrohlicher ist das finanzielle Szenario: Mit dem Rheintalcup holt das TZ Rheintal einen Grossteil seiner Einnahmen. «Ein paar schon gemachte Ausgaben müssen wir abschreiben», sagt Nicolas Thiébaud, Präsident des TZ Rheintal, zum Beispiel 2000 Franken für Medaillen. Andere Bestellungen konnten storniert werden.Dass der Ausfall des Heimwettkampfs nicht dramatisch wird, liegt am Entgegenkommen der Sponsoren. «Viele haben ihren Beitrag dennoch bezahlt», sagt Thiébaud, «dank ihnen können wir uns über Wasser halten.» Das TZ Rheintal hat ein rührendes Video mit dem Einsatz seiner Turner gedreht, um sich zu bedanken.Der von Präsident Nicolas Thiébaud angeführte Vorstand wurde erst im letzten September gewählt. «Das erste Jahr war als Eingewöhnungszeit geplant», sagt Thiébaud. Doch damit war nichts: Zuerst musste ziemlich überstürzt der Trainer ersetzt werden, was mit Martin Weibel gelang. Die schwerere Prüfung folgte durch Corona.Das TZ Rheintal beschäftigt professionelle Trainer, sie fül-len insgesamt 150 Stellenprozent aus. «Plötzlich musst du Kurzarbeit beantragen», erklärt Thiébaud die aufreibende Zeit, die seine Vorstandskollegen und er hinter sich haben. Die Trainer konnten bezahlt werden, in vollem Umfang. Der Antrag auf Kurzarbeit wurde vom Seco aber abgelehnt. «Wir sind aber überzeugt, dass uns die Leistungen zustehen», sagt Nicolas Thiébaud, «wir haben daher Rekurs eingelegt.»Finanzieller Verlust im ersten AmtsjahrDas TZ Rheintal schliesst sein Geschäftsjahr am 30. Juni ab. «Wahrscheinlich wird ein Verlust resultieren», sagt Thiébaud. Nicht zum ersten und auch nicht zum letzten Mal. Aber gerade im ersten Amtsjahr hätte er gerne ein besseres Ergebnis präsentiert.Das Wichtigste ist aber: Dank des Einsatzes seiner Mitglieder und der Grosszügigkeit der Gönner sieht man beim Betreten des Sportzentrums Aegeten jetzt wieder die eifrigen Kunstturner des TZ Rheintal an ihren Geräten.