Buchs 16.04.2024

Schwere Vorwürfe erschüttern LGBT+-Verein: Queerer Jugendtreff geschlossen

Die Staatsanwaltschaft St. Gallen führt ein Strafverfahren gegen zwei Verantwortliche des queeren Jugendtreffs in Buchs. Offenbar ist es zu intimen Kontakten zwischen minderjährigen Besuchern und Mitarbeitern gekommen.

Von Corinne Hanselmann
aktualisiert am 16.04.2024

«Infolge personellen Engpasses fallen die Jugend- und Erwachsenenangebote bis auf weiteres aus», heisst es aktuell auf der Website des Vereins Sozialwerk LGBT+, der an der Churerstrasse 12 in Buchs und in Chur je ein queeres Jugendzentrum betreibt. Der Verein wird unter anderem von den Kantonen St. Gallen und Graubünden, von der Stadt Chur und von Stiftungen finanziell unterstützt. Die LGBT+-Treffs galten als Vorzeigeprojekt, die es jungen queeren Menschen ermöglichten, im geschützten Rahmen ­zusammenzukommen, andere queere Menschen kennenzulernen oder Beratungen in Anspruch zu nehmen.

Schwere Vorwürfe gegen zwei Personen

Nun also sind die Jugendtreffs «bis auf weiteres» geschlossen. Gemäss Website des Vereins führten «vereinsinterne Machtkämpfe und Streitigkeiten zu Schwierigkeiten» und zum Erliegen der Jugendarbeit und der Erwachsenenangebote.

Wie Recherchen der Zeitung «Tages-Anzeiger» zeigen, gibt es schwere Vorwürfe gegen zwei Personen, die den Verein 2020 mitbegründet haben und seither zentrale Positionen bekleideten. Die beiden miteinander verheirateten Männer sollen sexuelle Kontakte zu Jugendlichen gepflegt haben, die beim Verein Zuflucht gesucht haben. Auch von einer sexuellen Dreierbe­ziehung mit einem 17-Jährigen ist die Rede.

Die beiden Mittvierziger haben sich für die Anliegen des Vereins wie auch für queere Menschen in der Ostschweiz eingesetzt und waren regelmässig in der Öffentlichkeit präsent.

Ob die Beziehungen strafrechtliche Konsequenzen haben, ist unklar. Wie der «Tages-Anzeiger» schreibt, führt die Staatsanwaltschaft St. Gallen derzeit ein Strafverfahren gegen beide wegen Verdachts auf strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität. Es gilt die Unschuldsvermutung.

«Das Verhalten ist ein totaler Machtmissbrauch»

Vor einem halben Jahr hat der damalige Präsident des Vereins weitere Mitglieder über die Vorkommnisse informiert und es kam zum Eklat im Vorstand. Kurz danach haben zwei ehe­malige Vorstandsmitglieder das Ehepaar bei der Kantonspolizei St. Gallen angezeigt. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte einer von ihnen:

Das Verhalten der beiden ist für uns ein totaler Machtmissbrauch, das spürten auch die Jugendlichen. Ich habe das immer wieder zur Sprache gebracht. Es ist wichtig, bei solch einem Verhalten nicht wegzuschauen.

Zahlreiche Dokumente wie SMS, E-Mails und Sprachnachrichten belegen, was sich im Verein zugetragen hat. Aufgrund des laufenden Verfahrens nehmen die beiden Beschuldigten derzeit keine Stellung. Auf Anfrage des W&O teilen sie mit, dass sie sich «auf anwaltlichen Ratschlag» derzeit nicht äussern.

«Anschuldigungen wiegen schwer und irritieren»

Die Stadt Buchs habe von den kolportierten Vorwürfen aus den Medien Kenntnis genommen, heisst es auf Anfrage des W&O. «Wir wollen daher, und wegen des offenbar laufenden Strafverfahrens, keine Stellungnahme dazu abgeben, auch wenn die vorgebrachten Anschuldigungen schwer wiegen und irritieren», schreibt Stadtpräsident Rolf Pfeiffer. Finanziell unterstützt hat die Stadt Buchs den Verein Sozialwerk LGBT+ nicht.

Die Stadt Chur, die finan­zielle Unterstützung leistete, forderte gemäss «Tages-Anzeiger» das Sozialwerk LGBT+ auf, die Beschuldigten sofort freizustellen, bis die Vorwürfe geklärt seien. Ob dies mittlerweile geschehen ist, ist nicht bekannt.

Verbände und Vereine distanzieren sich - auch SVP reagiert

Gemäss «Tages-Anzeiger» haben drei nationale Dachverbände der LGBT-Commu­nity dem Verein Sozialwerk LGBT+ die jeweiligen Mitgliedschaften gekündigt. In einem am Dienstag verschickten Statement schreibt der Vorstand von FLay, dem Verein für queere Menschen in Liechtenstein: «Wir sind entsetzt über die am 15. April 2024 im ‹Tages-Anzeiger› veröffentlichten Vorwürfe gegen die ­beiden Leiter des Sozialwerks LGBT+ in Chur und Buchs. Jeden psychischen und physischen Missbrauch verurteilen wir auf das Allerschärfste, dies umso mehr bei einem stets vorhan­denen, potenziell ausnutzba­-
ren Machtgefälle zwischen Vertrauenspersonen und fragilen, hilfesuchenden Jugendlichen in schwierigen Situationen.»

Bei FLay sei man sich der Verantwortung «unseren Schützlingen und insbesondere Jugendlichen gegenüber» sehr bewusst und halte trotz des aufgebauten Vertrauensverhältnisses jederzeit die notwendige professionelle Distanz. «Dazu standen wir in der Vergangenheit, stehen wir jetzt und werden wir auch in Zukunft mit unserem Namen stehen.»

Das Sozialwerk LGBT+ und dessen im Kern tolles Engagement kenne man seit längerem und man habe in der Vergangenheit länderübergreifend auch teilweise zusammengearbeitet, heisst es im Statement weiter. «Bereits 2022 haben wir uns jedoch – unabhängig von den nun im Raum stehenden Vorwürfen (es gilt die Unschuldsvermutung) – aus persönlichen Gründen von den beiden Leitern weitestgehend distanziert und im Sommer 2023 die Zusammenarbeit komplett eingestellt.»

FLay prüft aktuell, ob und wie der Verein den Jugendlichen in der direkten Nachbarschaft am besten helfen kann.

Die Kantonsratsfraktion der SVP hat am Dienstag eine Einfache Anfrage eingereicht unter dem Titel «Steuergelder für zwielichtige LGBT+-Sozialwerke». Sie will von der Regierung beispielsweise wissen, in welchem Umfang der Kanton den Verein Sozialwerk LGBT+ unterstützt, ob es schon vor der Berichterstattung Anzeichen gab, dass der beschriebene Missbrauch stattfindet und falls ja, wie der Kanton darauf reagiert hat. (ch/pd)