17.10.2019

Schwerverletzte zählen doppelt

Obschon es an der Kreuzung Kesselbach-/Industriestrasse immer wieder kracht, ist sie kein Unfallschwerpunkt.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererSeit 5. Juni 2016 haben sich auf der Kreuzung mindestens drei Unfälle ereignet. Zweimal gab es «nur» Blechschaden, aber am 6. Oktober musste ein E-Bike- Fahrer von der Rega ins Spital geflogen werden.Der Altstätter Stadtrat sprach noch gleichentags an seiner ordentlichen Stadtratssitzung über die Kreuzung, an der es auch vor dem 5. Juni 2016 wiederholt zu Unfällen kam.Blechschäden zählen nichtUm zu klären, ob es sich um einen Unfallschwerpunkt handelt, wendet die Polizei eine Formel an.Die massgebende Grösse in dieser Formel ist die Zahl der Menschen, die bei Unfällen in einem Zeitraum von drei Jahren zu Schaden kamen: Getötete, Schwerverletzte, Leichtverletzte.Sachschäden bleiben hingegen unberücksichtigt. Sie haben keinerlei Einfluss darauf, ob es sich bei einer bestimmten Stelle um einen Unfallschwerpunkt handelt.Die Formel lautet für Unfälle innerorts so:2 × U (G+SV) + 1 × U (LV) ≥ 5.Übersetzt bedeutet dies: Getötete (G) und Schwerverletzte (SV) zählen doppelt, Leichtverletzte (LV) bloss einmal.Angenommen, innerorts finden in drei Jahren vier Unfälle statt, bei denen sich jedes Mal jemand leicht verletzt, ergibt sich folgende «Rechnung»: 2 × 0 (weil niemand ums Leben kam oder schwer verletzt ist) + 1 × 4 (weil vier Menschen leicht verletzt wurden und Leichtverletzte einfach zählen) = 4.Weil dieses Ergebnis den vorgegebenen Mindestwert 5 nicht erreicht, handelt es sich beim Unfallort um keinen Schwerpunkt.Für Altstätter Kreuzung den Wert 2 ermitteltFür Altstättens Kreuzung an der Kesselbach-/Industriestrasse, wo immer wieder das Stopp-Schild missachtet wird und sich wie eingangs erwähnt seit 5. Juni 2016 mindestens drei Unfälle zutrugen, beträgt der ermittelte Wert 2 – wenn davon ausgegangen wird, dass der zuletzt angefahrene E-Biker eine schwere Verletzung davontrug. (Die Sachschäden zählen wie gesagt nicht.)Aufgefallen ist die Stelle natürlich trotzdemObwohl die jüngst einmal mehr in die Schlagzeilen geratene Altstätter Kreuzung nicht als Unfallschwerpunkt gilt, ist sie der Polizei sehr wohl aufgefallen, wie diese schreibt. Denn unabhängig von der Ermittlung von Unfallschwerpunkten führe man ein Monitoring durch. Dieses ermögliche es, auch Auffälligkeiten zu erkennen, mit denen nur Sachschaden verbunden ist.Das Monitoring hat den Zweck, dem Eigentümer der Strasse Hinweise auf seine Infrastruktur geben zu können. Die Polizei nennt ein Beispiel: Fahren in einer bestimmten Kurve immer wieder Fahrzeuge geradeaus, gilt es, die Signalisation (Kurvenblenden), Radius oder Quergefälle zu prüfen. Solche Arbeiten obliegen dem Eigentümer der Strasse.Was die Kreuzung Kesselbach-/Industriestrasse betrifft, hat die Verkehrstechnik der Kantonspolizei St. Gallen die Stadt Altstätten am 22. Dezember 2016 kontaktiert und darauf hingewiesen, was ihr aufgefallen war.Stadtpräsident Ruedi Mattle bestätigt: Nach einer Begehung der Industriestrasse sei der Stadt von der Kantonspolizei eine Aktennotiz geschickt worden. In dieser sei es um die Möglichkeit einer Rechtsvortritt-Regelung für die ganze Industriestrasse gegangen. Verwal-tungsintern habe man sich für die Beibehaltung der Stopp-Regelung entschieden, weil die Strasse mit Rechtsvortritten (statt Stopp-Signalen) nach Einschätzung der Stadt nicht sicherer, sondern eher gefährlicher würde.Der Stadtpräsident meint hierzu: Wer ein «Stop» überfahre, werde kaum wegen eines Rechtsvortritts halten. Dennoch werde das Thema nochmals erörtert.Den technischen Anforderungen entspricht die Kreuzung Kesselbach-/Industriestrasse in jeder Beziehung. Die Stopp-Regelung gilt schon seit 40 Jahren. Seit fünf Jahren ist die Höchstgeschwindigkeit auf der Schachenstrasse (die nördlich der Kreuzung verläuft) von 80 auf 60 km/h gesenkt worden, was einer höheren Sicherheit dienlich ist.Auf Autobahn gilt ein Wert von 8Geht es darum, einen ausserorts liegenden Verkehrsknoten zu beurteilen, wird mit der gleichen Formel ermittelt, ob es sich um einen Unfallschwerpunkt handelt, allerdings beträgt der sogenannte Suchperimeter ausserorts 150 Meter (und nicht 50). Das bedeutet, der Knoten wird angesichts der ausserorts höheren Geschwindigkeit etwas weiter gefasst.Auf Autobahnen und Autostrassen lautet die Formel, bei einem Suchperimeter von 250 Metern, so: 2 × U (G + SV) + 1 × U (LV) ≥ 8. Auch hierzu ein Beispiel: Ereignen sich an der gleichen Stelle in drei Jahren vier Unfälle mit drei Schwerverletzten und einem Leichtverletzten, ergibt sich ein Wert von 7. Erst eine weitere leicht verletzte Person würde bedeuten, dass es sich um einen Unfallschwerpunkt handelt.