10.08.2020

Spiegel des gesellschaftlichen Wandels

Die klassische Verwaltungskarriere, die über den Gemeindeschreiber zum -präsidenten führt, wird seltener.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
Reto WälterShaleen Frei hat ihre Stelle als Gemeindeschreiberin von Berneck am 1. August antreten. Seit dann gibt es in diesem Beruf zwischen Thal und Rüthi einen 50-prozentigen Frauenanteil – je sieben Frauen und Männer. Noch vor wenigen Jahren übten diese Tätigkeit fast ausschliesslich Männer aus – und es war der vorletzte Sprung einer beständigen Karriere in einer Gemeindeverwaltung: Es war ein klassischer Weg, dass Mann sich hocharbeitete, im Alter um die 40 eine Weiterbildung besuchte und irgendwann den scheidenden Gemeindepräsidenten beerbte.Es fällt auf, dass die Schreiber in den letzten Jahren ihre Stelle schneller wechseln und oft sehr jung übernehmen. In einem Beruf, in dem sie spartenübergreifend in die Geschäfte einer Gemeinde hineinsehen, Verantwortung tragen, den Chef vertreten können und wie Bruno Seelos, Gemeindepräsident von Berneck, sagt, das rechtliche Gewissen seien. Sprich, bei heiklen Sachlagen die Beteiligten auf die Rechtslage hinweisen müssen.Früher einen hohen AusbildungsstandardBei einer Umfrage ergab sich ein Bild, das sich im Beruf des Gemeindeschreibers der gesellschaftliche Wandel gut widerspiegelt. War früher das Ende der Lehre oft auch der Ausbildungsabschluss, wird diese inzwischen eher als Karrierebasis angesehen. «Entsprechend schnell bilden sich die jungen Leute weiter», sagt Urs Graber, Gemeindeschreiber von Rebstein.Nach einer Verwaltungslehre biete sich die Gemeindefachschule oder die Ausbildung zum Rechtsagenten an. «Damit haben die Absolventen schon in einem jungen Alter eine Ausbildung mit einem guten Renommee», sagt der Mittvierziger und meint weiter, sie seien aber noch nicht so teuer wie ältere und erfahrenere Berufsleute mit demselben Ausbildungsstand. Graber weiter, die Arbeit auf einer Gemeinde bringe Wissen mit sich, das in der Privatwirtschaft gefragt sei, wie etwa das öffentliche oder das Steuerrecht.Den Lebensjob gibt es heutzutage jobübergreifend kaum mehr. Schneller gewechselt wird auch, weil die Verwurzelung in der Gemeinde nicht mehr so entscheidend und der Wohnsitz keine Pflicht mehr ist. Weil die Gemeindeschreiberinnen in viele Geschäfte involviert sind, ist es schwierig, Teilzeit zu arbeiten. Kommt das erste Kind, steigen viele Kaderfrauen aus. «Daran müssen wir noch arbeiten, denn das ist ein aktuelles Thema. Teilzeitarbeit wird allgemein immer mehr zum Bedürfnis», sagt Gemeindepräsident Seelos.«Mehr Schreiberinnen ist eine logische Konsequenz»Immer mehr Frauen machen eine Lehre auf der Verwaltung. «Wir hätten beispielsweise gerne einen KV-Lehrling eingestellt», sagt Gemeindeschreiberin Martina Benz aus Rüthi. Aber sie hätten schlicht und einfach keinen finden können. Andere Gemeinden machen dieselben Erfahrungen. «Deshalb ist es für mich keine Genderfrage, dass es mehr Schreiberinnen gibt, sondern schlicht und einfach die logische Folge des hohen Anteils an Frauen, die ei-ne KV-Lehre in der Verwaltung abschliessen.» Auch hier ein Wandel, früher war der klassische Verwaltungsangestellte ein Mann. «Dazu gibt es geschlechtsspezifisch aber eigentlich keinen Grund. Frauen mögen Büroarbeit», sagt die Marbacher Gemeindeschreiberin Gianna Fiorelli. Nun komme sicher dazu, dass junge Frauen mehr Wert auf eine gute Ausbildung legen, was schon auch mit einem veränderten Frauenbild zu tun habe, meint die 30-Jährige.«Im Jobprofil des Schreibers steht sicher im Vordergrund, dass er generalistisch arbeiten kann und einen guten Umgang mit Menschen pflegt.» Eigenschaften, die auch ein Gemeindepräsident braucht, der früher oft zuerst Gemeindeschreiber war. Mittvierziger Bruno Seelos verbindet dabei zwei Generationen. Bereits mit 28 Jahren wurde er Stadtschreiber von Rorschach und machte schon 2016 den nächsten Karriereschritt zum Gemeindepräsidenten von Berneck.«Das war auch damals noch der klassische Weg. Heute sind diese Gemeindepräsidenten schon in der Minderheit», sagt er. Im Rheintal gehören noch Roland Wälter, Diepoldsau, Rolf Huber, Oberriet, und Alexander Breu, Marbach, dieser Garde an. «Das hat natürlich auch mit dem starken Wandel des Berufsbildes zu tun. Gemeindepräsidenten sind heute oft Manager», sagt Bruno Seelos.Bald mehr Gemeindepräsidentinnen?Sicher sei, dass man mit dem klassischen Weg und den entsprechenden Ausbildungen einen guten Rucksack für die Aufgabe mitbringe. Damit dürfte es auch weiter Schreiber oder eben Schreiberinnen geben, die das Präsidentenamt anstreben. Zu erwarten wäre deshalb, dass die Frauenquote eher steigt. Zurzeit stehen mit Christa Köppel, Widnau, Silvia Troxler, Balgach, und Monika Eggenberger (ad interim), Rüthi, drei Frauen einer Gemeinde vor – von 14 in dieser Region.