Christlich 25.12.2022

Spirituelle Poesie, die das Christliche ins Heute schreibt

Christoph Gellner ist Fachmann für Theologie und Literatur. Als solcher sucht er spirituelle Poesie, die das Christentum ins Heute übersetzt.

Von Christoph Gellner
aktualisiert am 26.12.2022

Für viele Zeitgeniessende ist die überkommene Sprache kirchlicher Verkündigung eine Fremdsprache geworden, ich bin immer auf der Suche nach spiritueller Poesie, die das Christliche ins Heute schreibt.
So sprach Meister Eckhart überraschend neu von der «Gottesgeburt in der Seele des Menschen», heute deutet Andreas Knapp Weihnachten als «des höchsten niederkunft».

«ganz knapp» buchstabiert der Priester-Poet dies in seinen «Gedichten an der Schwelle zu Gott» (2020) so aus: «nicht als wort / kamer zurwelt / nicht als fixierter text / oder blutleeres buch // sondern fleischlich /
schmerzempfindsam / in jeder faser / eingeschriebene / sterblichkeit / ein einziger schrei /
nach liebe // und sein testament /nichts schriftliches / hat er hinterlassen / nicht papieren / sein vermächtnis / sondern hingabe / mit fleisch und blut».

Dass wir Gottes wahres Gesicht im neugeborenen Krippenkind erkennen können (Lk 2,12), rückte der Berner Pfarrerdichter Kurt Marti neu ins Zentrum: «damals / als gott / im schrei der geburt /die gottesbilder zerschlug / und / zwischen marias schenkeln / runzlig rot / das kind lag». Hat Gott an Weihnachten nicht die überkommenen Gottesbilder, unsere selbstfabrizierten Wunschschablonen zertrümmert? Dieser Bildersturm ist zugleich dieBefreiung zu einem neuen Bild, das in der Geburt Jesu als der Fleischwerdung des Wortes Gottes (Joh 1,14) Gestalt gewinnt: schmerzempfindsam und verwundbar – doch gerade darum heilsam, lebens- und menschenfreundlich.

Jesus ist das Gleichnis Gottes

Was in unseren menschlich-allzumenschlichen Allmachtsfantasien kaum zusammengeht – gerade im Schreien setzen wir uns wie nirgends sonst unserer Ohnmacht und Verletzlichkeit aus –, damit will Gott zusammengebracht werden, für dieses «und» steht Weihnachten, die Menschwerdung Gottes. Gerade so ist Jesus das Bild und Gleichnis Gottes in Person: in «krippe und kreuz» verdichtet Andreas Knapp sein Leben und Wirken, das ganz offen war für Gott: «arm geboren / nackt gestorben / dazwischen ein leben / für das reich gottes / in dem die armen selig sind / und der himmel sich öffnet / wenn man nackte bekleidet // krippe und kreuz / aus demselben holz geschnitzt / baumaterial demzimmermann / für die grosse himmelsleiter».

Assoziativ wird die biblische Jakobsleiter (Gen 28) aufgerufen, auf der Engel auf und abwandeln und so Himmel und Erde verbinden. Für Christinnen und Christen ist Jesus die Himmelsleiter zu einem nach oben offenen Leben in Fülle (Joh 10,10).