09.09.2019

Steinchen des Anstosses

Ein Kantonsrat will wissen, wie sehr Kunstrasen-Granulat die Umwelt belastet. Das betrifft Gemeinden und Clubs.

Von Remo Zollinger
aktualisiert am 03.11.2022
Remo ZollingerDas Rheintal, ja die Schweiz allgemein, liegt in einer Klimazone, die den ganzjährigen Betrieb von Rasenfussballplätzen nicht zulässt. Darum gibt es vielerorts Kunstrasenfelder, auf denen die Sportler auch im Winter trainieren können. Diese Plätze brauchen – ausser gelegentlichem Schneeschaufeln – kaum Unterhalt und halten auch extremes Wetter aus.Funktionäre und Trainer im Rheintaler Fussball sind sich einig: Wer einen Kunstrasen hat, ist im Vorteil. Wer keinen hat, muss im Winter Alternativen suchen, trainiert weniger mit dem Ball, geht mehr laufen oder muss sich (für Geld) auf einem fremden Kunstrasenplatz einmieten. Bei den Spielern ist Fussball auf Kunstrasen unterschiedlich beliebt, der Nutzen des Wintertrainings und des Ausweichens bei schlechtem Wetter ist jedoch zweifelsohne erwiesen.Es geht um Eigenschaften des kleinen GranulatsDoch so praktisch die Kunstrasen für Vereine und Gemeinden sind (es finden auch andere Anlässe als Fussball darauf statt), so umstritten sind sie. In der Junisession des St. Galler Kantonsrats reichte SP-Politiker Marco Fäh aus Kaltbrunn eine Interpellation mit dem Titel «Kunstrasenplätze – Mikroplastik in Wiesen und Gewässern» ein. Er schreibt, in jedem Kunstrasenplatz habe es viel Granulat, das durch Wind und Wetter «tonnenweise als Mikroplastik in unsere Bäche und Seen verfrachtet wird, von wo es in die Nahrungskette gelangt».Fäh stellt der Regierung fünf Fragen. So etwa, wie viele Kunstrasenplätze mit welchem Granulat es gibt, wie viel solches jährlich in die Umwelt gelangt oder welche Massnahmen dagegen existieren. Er fragt auch, welche Möglichkeiten es punk-to «unbedenklichem Material» zum Verfüllen der Plätze gibt und ob die Regierung bereit sei, via Sport-Toto nur noch Gelder für Plätze «mit unbedenklicher Verfüllung» zu gewähren.Die Stossrichtung der Interpellation, die auch Meinrad Gschwend (Grüne, Altstätten), Remo Maurer (SP, Altstätten) und Laura Bucher (SP, St. Margrethen) unterzeichnet haben, ist eindeutig: Schädliches Granulat soll es auf bestehenden und neuen Kunstrasenplätzen nicht mehr geben. Der Kanton soll die Aufgabe bekommen, bei der Finanzierung der Plätze genau auf die Beschaffenheit des Füllgranulats zu achten.Alte Pneus, Quarzsandund GummigranulatEs gibt verschiedene Arten Granulat. Eine heisst SBR. Dieses Granulat besteht aus rezyklierten alten Pneus. Das Bundesamt für Gesundheit warnt auf einem Faktenblatt aus 2017: SBR-Granulate enthalten Weichmacheröle mit «polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, von denen einige krebserzeugend, erbgutverändernd und/oder fortpflanzungsgefährdend sind. In Fasern und Füllgranulat wurden ausserdem bei einigen Untersuchungen auch Spuren von Schwermetallen nachgewiesen.» Gesetzlich ist SBR jedoch ebenso erlaubt wie die anderen Arten. Es gibt Granulat aus Plastik (EPDM), das etwa bei Leichtathletik-Tartanbahnen eingesetzt wird. Dann gibt es Granulat, das aus Quarzsand besteht – und solches aus Kork, das natürlichste und damit ungefährlichste von allen.Im Rheintal gibt es fünf Kunstrasen, die den Gemeinden bzw. Städten gehören: In Altstätten, Widnau, Au, Rheineck und Staad. Sie sind unterschiedlich alt und unterschiedlich verfüllt. Eine Umfrage bei den Eigentümern zeigt: Nur der älteste, 2007 in Rheineck in Betrieb genommen, ist mit SBR verfüllt. Im Altstätter Grüntal gab es lange einen Sandplatz, der 2008 durch Kunstrasen ersetzt wurde. Sein Granulat besteht aus Quarzsand und Gummi der Kategorie EPDM. Mit EPDM ist auch der gleichen Jahres erstellte Widnauer Kunstrasen verfüllt – und der seit 2014 bestehende Platz auf der Auer Degern.Au hatte ab 1996 den ersten Rheintaler Kunstrasenplatz, damals war er noch pragmatisch «Allwetterplatz» genannt worden. Die Lebensdauer von diesem betrug nur 18 Jahre.Es gibt auch Plätze, die kein Granulat habenDer Kunstrasenplatz in Staad ist der einzige in der Region, der ohne Granulat auskommt. Es ist kein Zufall, ist er mit Baujahr 2015 der jüngste: Die Technik hat sich weiterentwickelt, es gibt jetzt ökologischere Möglichkeiten. Die Firma Tisca Tiara aus Bühler, von der der Staader Kunstrasen stammt, hat sich darauf spezialisiert.Der nächste Club, der einen Kunstrasen baut, ist der FC Rebstein. «Wir planen einen umweltfreundlichen Kunstrasen, der kein Granulat enthält und sich eher wie ein richtiger Rasen anfühlt», sagt Präsident Pascal Roth. Auch Rebstein wird sich wohl mit dem Bühlerer Unternehmen in Verbindung setzen.Hier noch kein Thema sind Winterrasen, für die der Unternehmer Eric Hardman wirbt. Er sagte gegenüber der «Basellandschaftlichen Zeitung2, der Bau von Kunstrasen ergebe meistens keinen Sinn, Granulatplätze seien für ihn «gestorben». Ob ein Winterrasen auf dem Rheintaler Schollenboden möglich wäre, ist nicht bekannt.Granulat-Eigenschaften sind ein neues ThemaDie Beschaffenheit des Granulats wurde erst kürzlich auch in der Schweiz ein Thema. Beim Bau der Rheintaler Plätze war es das nicht, alle galten als unbedenklich. Die Eigentümer müssen sich nichts vorwerfen lassen – von einem rückwirkenden Problem, wie früher beim Asbest, könnten sie aber betroffen sein. Kunstrasen sind im Gespräch, vor allem, weil die EU angekündigt hat, Mikroplastik bis 2022 verbieten zu wollen. Es folgte, besonders in Deutschland, ein Aufschrei. Bis zu 6000 Sportanlagen seien bedroht, schrieben verschiedene Quellen.Die Regierung des Kantons St. Gallen hat die Interpellation noch nicht beantwortet. Darauf wartet nicht nur Fäh: «Wir warten die Antwort der Regierung ab und gehen davon aus, dass auf der Basis dieser Antwort das weitere Vorgehen zielführend erörtert werden kann», sagt Altstättens Stadtpräsident Ruedi Mattle auf Anfrage.