22.08.2018

Was blüht und krabbelt denn da?

Immer wieder sind Mitarbeiter des Forschungsinstituts Agroscope im Rheintaler Riet anzutreffen, wo sie Flora und Fauna untersuchen. Viele Böden sind Feuchtäcker, die anders bewirtschaftet werden könnten.

Von Remo Zollinger
aktualisiert am 03.11.2022
Remo ZollingerKonzentriert schreiten Anja Gramlich und Thomas Walter die Ränder eines Maisfelds im Riet bei Kriessern ab. Immer wieder halten sie an, weil sie etwas entdeckt haben: eine Pflanze, einen Käfer. Nicht immer sehen die beiden etwas Besonderes.«Ackerbegleiter wie die Hühnerhirse sind auf diesen Feldern häufig», sagt Anja Gramlich. Thomas Walter bezeichnet den Gewöhnlichen Buntgrabläufer (Poecilus Cupreus) scherzhaft als Wurst-und-Brot-Programm. Das bedeutet, er ist kein seltener Anblick.In mehreren Äckern fand das Team aber auch den Bunten Glanzflachläufer (Agonum viridicupreum). Das ist ein vom Aussterben bedrohter Käfer und die Funde waren Erstfunde für den Kanton St. Gallen.Die Rheintaler Böden sind häufig sehr feuchtAnja Gramlich und Thomas Walter machen das nicht aus Spass, obwohl ihnen die Freude an der Arbeit anzumerken ist. Die Bestimmung der Pflanzen- und Tierarten im Rheintaler Riet (und in neun weiteren Schweizer Regionen) gehört zu einem grossen Projekt, das das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), das Bundesamt für Umwelt (BAFU) und Agroscope, das Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung, gemeinsam durchführen.Der trockene Sommer lässt es nicht erahnen, doch die Forscher sind im Rheintal, weil viele hiesigen Böden Feuchtäcker sind. Ein Feuchtacker ist eine für den Ackerbau nutzbare Fläche, die oft von Grund-, Hang- oder Stauwasser beeinflusst wird und mehrmals im Jahr bis zur Oberfläche durchnässt ist. Bei diesen Gleye-Böden ist es das Grundwasser, das zu einem anderen Verhalten führt. Die Böden «leben» anders als trockene Flächen, das zeigt die Untersuchung solcher als Kontrollfelder.Das Feuchtackerprojekt hat das Ziel, den Bewirtschaftern der Flächen Entscheidungsgrundlagen bereitzustellen und ihnen Möglichkeiten zum Umgang mit dem Acker zu zeigen. Es geht um konkrete, forschungsbasierte Lösungsansätze, nicht um Polemik oder gar Vorschriften. Der Bund könne und wolle niemandem vorschreiben, was jemand anzubauen habe. Aber er kann Inputs geben. Und eine andere Bewirtschaftung als bisher wäre auf vielen Feldern möglich, teils sogar nützlich und damit wünschenswert.In Grenchen SO (siehe Text rechts) hat Agroscope 2017 einen Versuch mit Reis durchgeführt, was auch im Rheintal mittelfristig interessant sein könnte.Jeder kann einen Beitrag zur Artenvielfalt leistenDas Projekt ist sehr komplex, hat viele verschiedene Zweige und dauert bis im Juni 2020. Es geht primär um die Produktivität der Landwirtschaft (und damit direkt um Geld), um Artenschutz und um Klimaschutz. Das ist ein empfindliches Spannungsfeld, denn allem ganz gerecht zu werden, ist eine grosse Herausforderung.Um die aktuelle Vielfalt der Arten zu dokumentieren sind Anja Gramlich und Thomas Walter im Rheintal. Sie notieren jede Gefässpflanze und jeden Laufkäfer, den sie bei den Feldern sehen. Sie werden daraus ableiten, welche bestehenden Praktiken seltene Arten fördern und Empfehlungen für weitere Fördermöglichkeiten für besonders gefährdete Arten abgeben. Eine sowohl für die Landwirtschaft wie auch die Artenförderung interessante Möglichkeit könnte die Produktion von Reis auf temporär vernässten Flächen sein. Auch Private können der Artenvielfalt helfen – indem sie einen Teil ihres Gartens «verwildern» lassen und so vielen Tieren und Pflanzen Unterschlupf bieten. Viele Gemeinden haben darauf immer wieder hingewiesen.Erfolgreiche Reisanbauversuche zeigen auch für das Rheintal ChancenEin Ziel des Feuchtackerprojekts ist, alternative Produktionsmöglichkeiten nicht nur theoretisch, sondern auch in Fallstudien zu untersuchen. Aus diesem Grund hat Agroscope 2017 in Grenchen Reis auf einer von Mai bis Mitte Juli gefluteten Fläche angebaut. Dabei wurden verschiedene Verfahren geprüft. Den besten Erfolg ergaben die gepflanzten Setzlinge. Das war ein Novum, bis dahin wurde Reis in der Schweiz nur im Tessiner Maggiadelta angebaut. Dieses Jahr laufen solche Versuche auf einer grösseren Fläche in Schwadernau und es ist absehbar, dass auch dieses Jahr erfolgreich geerntet werden kann.Zeitgleich ist das Feld Lebensraum stark gefährdeter Arten und trägt zum Schutz der Biodiversität bei. Dies, weil es von April bis Juli permanent unter Wasser stand. «Nasse Reisfelder haben ein grosses Potenzial zur Förderung der Arten», sagt Projektleiter Thomas Walter. So seien auf dem Testfeld in Grenchen Laiche von Kreuzkröten gefunden worden, ebenso andere Amphibienarten wie der bedrohte Laubfrosch.«Der Anbau von Reis scheint eine vielversprechende Produktionsmöglichkeit mit einer hohen Wertschöpfung auf Feuchtackerböden zu sein», ist ein Fazit des Pilotversuchs. Trotzdem seien weitere Untersuchungen zwingend nötig, um den Anbau zu optimieren. Besonders, weil der Methanausstoss bei permanent gefluteten Reisfeldern sehr hoch sein kann und bei nicht sachgemässem Anbau das Klima stark belastet wird. Der Anbau auf nur temporär vernässten Flächen hat aber das Potenzial, den Treibhausgas-Ausstoss von Böden zu reduzieren und könnte so zu einer Reduktion der Klimabelastung beitragen.Thomas Walter sagt, auch auf Rheintaler Feuchtackerböden sei Reisanbau denkbar. «Reisanbau ist mit den angepassten Maschinen und der entsprechenden Erfahrung, die weltweit besteht, wohl kaum arbeitsintensiver als herkömmliches Getreide. Da gilt es, die für die Schweiz besten Praktiken zu finden», sagt er. Deutschschweizer Reis wäre eine Marktlücke und für Produzenten als Nischenprodukt ökonomisch interessant. Trotzdem sei es ein Thema, das frühestens mittelfristig wirklich aktuell werde. (rez)