01.08.2019

«Wir wollen keine alten Zeiten glorifizieren»

«Wir sollten unseren Politkern danken für einen Kompromiss», sagte Reinhard Paulzen an der Bundesfeier.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Er sei überwältigt von dem grossen Aufmarsch, sagte Markus Waser an der Bundesfeier im Pavillon der Primarschule. Es war das zweite Mal, dass ProHeerbrugg vom angestammten Zeitpunkt der regionalen Bundesfeier abgewichen war. «Ich habe lieber am Vorabend einen vollen Pavillon, als dass wir am Morgen des 1. August vor leeren Bänken stehen», sagte der Präsident. Denn immer häufiger feiere man am 1. August lieber im Kreise der Familie oder im Quartier.Die Bänke waren definitiv nicht leer. An die dreihundert Leute waren aus Au, Berneck und Heerbrugg gekommen, um die Schweiz zu feiern. «Schweiz – Deine Geschichte», hiess das Motto des Festes. «Wir wollen alte Zeiten nicht glorifizieren, sondern nach vorne schauen. Auch blicken wir auf die Probleme, die es zu lösen gilt», sagte Markus Waser.Die Geschichte der Schweiz ist nicht nur Historie. Sie kann Anstoss geben für die Gegenwart und Zukunft des Lan-des. «Die Auswirkungen eines scheinbar banalen Ereignisses reichen bis in die Gegenwart», sagte der reformierte Pfarrer Ronald Kasper. Vor 490 Jahren wurde in Kappel am Albis eine Milchsuppe gekocht und gegessen. Die Kappeler Milchsuppe markierte das Ende des Konfliktes darüber, in welche konfessionelle Richtung sich das Land entwickeln sollte. Während Politiker den drohenden Religionskrieg durch Verhandlung abwendeten, kochten die Soldaten beider Truppen die Milchsuppe und assen aus einem Topf.«Letztlich gehören beide Konfessionen zusammen»Es folgten weitere konfessionelle Konflikte. «Während dieser Bürgerkriege erlosch nie der Gedanke, dass beide Konfessionen letztlich zusammengehören», sagte Ronald Kasper. Die Erinnerung an das Ereignis bei Kappel solle heute ein Anstoss sein, die Herausforderung der Integration rund einer Million Migranten und Flüchtlinge im Land anzunehmen und sich mit ihnen auszutauschen.An hiesigen Arbeitsplätzen, Schulen, Vereinen werde viel geleistet und weiter angestrebt, sagte Ronald Kasper. Als positives Beispiel für Integration nannte er das Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft, wie es seit vielen Jahren auf den Fussballplätzen von Au und Berneck praktiziert wird.Der katholische Seelsorger Reinhard Paulzen erinnerte an das Stanser Verkommnis 1481. Es drohte damals ein Bürgerkrieg. Die Verhandlungen über die Aufteilung der Beute nach den Burgunderkriegen waren abgebrochen worden. Als Vermittler schaltete man Bruder Klaus ein. Diesem gelang es, einen Kompromiss zu finden.«Wir können von Bruder Klaus lernen, nicht auf unsere Politiker zu schimpfen, wenn sie von Verhandlungen einen Kompromiss mitbringen», sagte Reinhard Paulzen. «Wir sollten ihnen danken für den Kompromiss, den sie erreicht haben. Auf ihm können Frieden und Wohlstand wachsen.»Miteinander zu sprechen und den Alltag vergessen, dazu nahmen sich die Feiernden ebenso Zeit, wie den anregenden Gedanken der Geistlichkeit zu lauschen. «Das sind unsere zwei anderen Ziele», sagte Markus Waser. Ihren Teil dazu trugen Sänger und Musikanten bei. Aus den drei Dörfern hatten sie sich jeweils zu einem grossen Männerchor und einem grossen Musikverein zusammengeschlossen. Ein Geschichtsquiz rundete das Fest ab.Monika von der Linden