Christlich 18.02.2024

Mit 120 auf der Überholspur: Das Leben als Narr in der Schweiz

Nun ist sie schon wieder vorbei – die Narrenzeit mit ausgelas­sener Stimmung. Zugegeben: Mich Nordländer, der ohne Fasnachtstradition aufgewachsen ist, holt man damit nicht hinter dem Ofen hervor. Und doch: Die Guggenmusik beeindruckt auch mich. Aber zum Fasnachtsnarren werde ich dadurch noch lange nicht.

Von Matthias Damaschke,
Pfarrer
aktualisiert am 18.02.2024

Vielmehr fühle ich mich das ganze Jahr über als Narr, weil 
ich mich stur an die schweizerische Strassenverkehrsordnung zu halten versuche und zum Beispiel auf der Autobahn nicht schneller als 120 km/h fahre. Denn damit mache ich mich zum Verkehrshindernis – habe ich das Gefühl. Oder ist mein Tempomat defekt?

Als ich vor mehr als 20 Jahren zum ersten Mal in die Schweiz zu Besuch kam, empfand ich es als ausgesprochen entspannend, bei diesem Höchsttempo auf der Autobahn dahinzurollen.

Sogar mein roter Kleinstwagen mit seinen 45 PS war dafür ausreichend motorisiert. Jedenfalls musste er nicht ächzen wie auf der deutschen Autobahn, wenn ich öfter alles aus ihm herausholen musste, um von an­deren Autofahrern nicht abgedrängt zu werden.

Heute scheint es mir, dass auch auf hiesigen Strassen – je nach Grösse des Autos – die Ellbogen gebraucht werden.

Das fängt schon bei der Autobahneinfahrt an, wo ich Mühe habe, in den Verkehr einzufädeln, weil niemand auf die linke Seite wechseln kann oder will. Das setzt sich fort, will ich ein Fahrzeug überholen, das langsamer unterwegs ist.

Auf der linken Seite sind so viele Fahrzeuge mit überhöhter Geschwindigkeit in einer Kolonne ohne Mindestabstand unterwegs, dass ich nicht überholen kann, ohne andere und mich zu gefährden. Sollte sich die Gelegenheit dann doch einmal bieten, sitzt mir alsbald jemand mit der Lichthupe im Heck. Setze ich den Überholvorgang trotzdem fort, werde ich rechts überholt.

Sollte bei mir tatsächlich 
das Gefühl des Dahingleitens aufkommen, muss ich plötzlich eine Vollbremsung machen, weil jemand unmittelbar vor mir einschert, um noch die Autobahnausfahrt zu erwischen.

Dass es auch anders ginge, merke ich daran, wie vernünftig alle fahren, wenn die Polizei zu sehen ist. Anscheinend ist mein Tempomat doch nicht defekt.

Ich fühle mich als ein Narr, weil ich versuche, mich an das zu halten, was gilt.

Das erinnert mich besonders in der Passionszeit, in den sechs Wochen vor Ostern, daran, was Paulus über das Leiden und den Tod Jesu schrieb: Den Heiden sei dies eine Torheit.

Heute muss ich nicht einmal mehr zu meinem christlichen Glauben stehen, bewusst Nächstenliebe üben und Rücksicht nehmen, um ein Narr zu sein. Es reicht schon, wenn ich mich an Vorschriften halte.