Klaus Brammertz, Präsident des Arbeitgeberverbandes Rheintal, ist mit vielen Unternehmen in Kontakt. Er spricht im Interview von Abhängigkeiten, die grösser sind, als viele denken und sagt, wer besonders leidet. Und er erklärt, weshalb der Wettbewerbsgeist im St. Galler Rheintal besonders ausgeprägt ist.
Herr Brammertz, an der Hauptversammlung des Arbeitgeberverbandes Rheintal haben Sie gesagt, die aktuelle Situation der Rheintaler Unternehmen sei vielschichtig. Sagen Sie uns doch, was alles auf die Stimmung drückt.
Klaus Brammertz: Am meisten die Unsicherheit. Für Gewerbetreibende ist sie Gift. Gerade heutzutage ist Planbarkeit sehr wichtig.
Ihre Bedeutung hat zugenommen?
Ja, das hat sie. Denken wir nur an die Industrie, deren Fokus stark auf Quartalsergebnisse ausgerichtet ist. Weil die Erwartungen gegenüber früher klar gestiegen sind, kommt heute schon Nervosität auf, wenn einmal ein Monat schlechter läuft. Selbst langfristig orientierte Unternehmen können sich dieser Entwicklung nicht entziehen.
Gibt es neben der derzeit quälenden geopolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheit auch Gewissheiten, die ebenso schlimm sind?
Leider ja. Der Krieg in Europa, die Ohnmacht, weil er sich nicht beenden lässt. Oder der Konfliktherd in Nahost, die Spannungen zwischen China und Taiwan, die speziell die Industrie beunruhigen.
Wegen grosser Abhängigkeiten?
Ja, sie sind stärker als gemeinhin angenommen wird. China ist mit Abstand der grösste Produktionsstandort – und auf Chinas seltene Erden sowie viele andere Rohstoffe und vorgefertigtes Rohmaterial sind wir angewiesen.
Zu Trumps Zöllen sagten Sie, es hätte diese «nicht auch noch gebraucht». Angenommen, es kommt knüppeldick: Wie können Rheintaler Unternehmen dagegenhalten, ausser die Preise zu erhöhen oder in den USA zu produzieren?
Zunächst drei Zahlen. Im Jahr 2023 exportierte die Ostschweiz Waren für 2,3 Milliarden Franken in die USA. 51 Prozent entfallen auf die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, also die sogenannten MEM-Unternehmen, weitere 35,7 Prozent auf Chemie- und Pharmaunternehmen. Angesichts solcher Dimensionen ist die Diploma-tie, sind Verhandlungen wahrscheinlich matchentscheidend.
Ausweichen geht also nicht?
Es gibt kaum eine Alternative zu den USA. Europa schwächelt, besonders unser Hauptexportmarkt Deutschland.
Welche Unternehmen leiden derzeit besonders?
Viele, an die wahrscheinlich die wenigsten denken, also kleine und mittlere Betriebe mit einer hohen Abhängigkeit von der Autoindustrie und dem Maschinenbau. Manche Grosse wie SFS haben aufgrund vieler Standbeine gewisse Ausgleichsmöglichkeiten, aber es trifft nun auch die Hersteller von hochwertigen Investitionsgütern, zum Beispiel Leica Geosystems.
Also ist es nicht tröstlich, dass der Grossteil der Exporte in die EU und nicht in die USA gehen?
Leider nein.
Wie stark spürt die Rheintaler Wirtschaft das Schwächeln der Automobilbranche?
Relativ stark, vor allem im Verborgenen. Es gibt viele Hersteller von Spezialteilen, von kleinen, aber wichtigen Komponenten. Neben bekannten Firmen wie Heule, Hemag oder Brusa sind viele kleinere Betriebe negativ betroffen.
Wir haben die neue amerikanische Unberechenbarkeit und die schwächelnde Autoindustrie erwähnt. Welches sind sonst die grössten Herausforderungen?
Die Frankenstärke, nach wie vor. In Krisenzeiten wird das Problem für die Exportwirtschaft stark verschärft. In den letzten zwölf Monaten haben sich die hier produzierten, exportierten Waren wegen der Frankenstärke wiederum um fünf bis sechs Prozent verteuert.
Wie steht es mit dem Fachkräftemangel?
Auch er bleibt ein Problem, speziell in der IT-Branche und im MEM-Bereich. Wer eine entsprechende Stelle sucht, hat sofort einen Job. Eine gewisse Entspannung gibt es im administrativen Bereich. Herausfordernd sind zudem gesetzliche Vorgaben und Genehmigungsverfahren, die leidige Bürokratisierung, wenn es um Bauten, Betriebsgenehmigungen oder neue Anlagen geht.
Den Frankenschock gab es 2015, Corona ab 2020 – und nun wütet Trump. Wie bereiten sich Unternehmen am besten auf solche negativen Überraschungen vor?
Grundsätzlich gilt es, in Szenarien zu denken. Was wäre, wenn? Darum sagte ich, das grösste Problem sei die Unsicherheit. Heute dies, morgen das. Auf Veränderungen, die sich abzeichnen, kann man sich einstellen, auf Trends mit Produktumstellungen reagieren. Aber die Sprunghaftigkeit Trumps? Dagegen ist mir kein Mittel bekannt.
«Manche Unternehmen machen in guten Zeiten
die grössten Fehler», haben Sie kürzlich gesagt. Welche Fehler sollte man sich keinesfalls erlauben?
Man sollte nie davon ausgehen, dass eine gute Zeit Bestand hat. Es wäre deshalb fatal, die Fixkosten aufzublähen. Ein Unternehmer hat eine grosse Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitenden und sollte deshalb nur nachhaltig nötige Stellen besetzen und eine robuste Kostenstruktur wahren. Aufgrund persönlicher Erfahrungen und aus der Literatur weiss ich, dass Unternehmen in einer Krise kaum grosse Fehler begehen. Stattdessen wird dann oft Versäumtes nachgeholt.
Sie waren während eines Jahrzehnts der CEO des Parkettherstellers Bauwerk in St. Margrethen. Ich nehme an, um gegen unvorhersehbare Widrigkeiten gerüstet zu sein, war die Produktivität ein Dauerthema.
So ist es. Produktivität und Effizienz sind Schlüsselthemen.
Wo liegt die Grenze gegen unten? Sprich: Wann ist Effizienz beim besten Willen nicht mehr steigerbar?
Unternehmertum, wie ich es verstehe, hat das Ziel, mit Menschen langfristigen Erfolg anzustreben und eine gesunde Entwicklung der Finanzen zu gewährleisten. Die Grenze, von der Sie sprechen, ist somit der Mensch, sein Wohlergehen.
Sie reden von moralischer Verpflichtung.
Ja. Ich wäre nie bereit, den Menschen durch die Maschine zu ersetzen, falls es nicht um eine Arbeit geht, für die einen Menschen zu finden ich Mühe hätte, oder der Grad der Automatisierung ohnehin den «Stand der Technik» darstellt.
Im europäischen Vergleich schlagen sich die Rheintaler Unternehmen passabel. Stimmen Sie dem zu oder untertreibe ich?
Sie untertreiben. Die Rheintaler Unternehmen schlagen sich gut, ich kann auch sagen: viel besser als die meisten.
Sie als gebürtiger Deutscher können uns sicher aufklären: Machen unsere Unternehmen etwas besser oder haben sie nur das Glück, die besseren Rahmenbedingungen als in der EU zu haben?
Das Zweite trifft zwar zu. Wir machen es jedoch auch besser. Das hat viel mit der Nähe des St. Galler Rheintals zu Österreich und Deutschland zu tun. Wir schauen nach drüben, vergleichen, wollen uns ständig verbessern und abheben.
Der Wettbewerbsgedanke treibt uns an?
Richtig. Es ist der Rheintaler Wirtschaft gelungen, viele Talente herzuholen, aus der ganzen Schweiz und aus dem Ausland. Eine Sache, die mich fasziniert, seit ich hier zu Hause bin, ist das Netzwerken. Das funktioniert im St. Galler Rheintal hervorragend und kannte ich von Deutschland her überhaupt nicht. Die Verbundenheit zwischen den Unternehmerinnen und Unternehmern äussert sich in Gesprächen und gegenseitiger Unterstützung auf so vielfältige Weise, wie man es nicht für möglich hielte, erlebte man es nicht selbst.
Welche Branchen haben aktuell die besten Karten?
Die Medizinaltechnik und alles, was mit Wehrtechnik zu tun hat, hier herrscht ein Boom ohnegleichen. Auch die Flugzeugindustrie und ihre Zulieferer sind im Hoch, und Banken und Versicherungen haben mittelfristig Grund zu Zuversicht.
Wo läuft es weniger gut?
In der Gastronomie und im Baugewerbe. Hier herrscht ein Fachkräftemangel ohne Ende. Das Baugewerbe leidet unter dem Problem, in guten Zeiten nicht ertragreich geworden zu sein.
Es dürfte deshalb zu Fusionen oder Geschäftsschliessungen kommen.
Wie schätzen Sie die Beschäftigungsaussichten ein?
Im Moment sind sie noch gut. Die grossen Rheintaler Unternehmen sind solide aufgestellt, sodass auch angesichts eines gewissen Gegenwindes nicht gleich eine Entlassungswelle zu befürchten ist. Gewisse Anpassungen sind aber möglich. Das Problem des Fachkräftemangels wird sich ein wenig entschärfen, was aber angesichts der Umstände kein Grund zur Freude sein kann.
Sie selbst sind seit 2001 in der Schweiz und gehören seit 2010 dem Vorstand des Arbeitgeberverbandes an, den Sie seit 2022 präsidieren. Welches war in all der Zeit Ihr schönstes Erlebnis?
Spontan fällt mir dieses ein:
Die Ehrung der St. Margrether Lütolf AG mit dem Preis der Rheintaler Wirtschaft. Eine Freude, wie die Preisträger sie ausgestrahlt haben, hatte ich bis dahin kaum je erlebt.
AGV-Präsident Brammertz spricht über die Herausforderungen der Rheintaler Wirtschaft in Krisenzeiten