21.03.2022

«Als ich seinen Fuss sah, war fertig»

Ein Autofahrer musste sich vor Kreisgericht für einen schweren Unfall verantworten, den er bekifft verursacht hatte.

Von Andrea C. Plüss
aktualisiert am 02.11.2022
Teile der silberfarbenen Vespa flogen nach dem Unfall meterweit durch die Luft. Das war im Juli 2019 auf der Rietstrasse in Balgach. Der Vespafahrer, damals 81-jährig, blieb schwer verletzt liegen. Nun stand der Autolenker, ein heute 29-jähriger Mittelrheintaler, in Altstätten vor Gericht.Die Staatsanwaltschaft warf ihm fahrlässige, schwere Körperverletzung sowie eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln vor. Fahrunfähig sei er gewesen. In seinem Blut wurde ein THC-Gehalt von 2,8 Mikrogramm/l festgestellt, fast doppelt so viel wie der erlaubte Grenzwert. Mit dem THC-Wert lässt sich der Konsum von Marihuana nachweisen. Das Unfallopfer hat seine Zivilklage inzwischen zurückgezogen.Erinnerungen an den Unfalltag sind lückenhaft«Ich war mit den Gedanken woanders», sagte der Beschuldigte zum Richter, der ihn zum Unfall befragte. Sein Anwalt unterstützte ihn juristisch, sein Vater stand ihm moralisch zur Seite. Wie das Verkehrsaufkommen gewesen sei. Wie das Wetter am Unfalltag. War am vorausfahrenden Fahrzeug der Blinker gesetzt? Der 29-Jährige, ein Logistiker, erklärte, er könne sich nicht erinnern. Während der Befragung wippte er fast unablässig nervös mit den Beinen, ganz gleich, ob er sie unter dem Sitz verschränkte oder lang ausstreckte.Am Unfalltag befuhr er um die Mittagszeit die Rietstrasse in Balgach in Richtung Diepoldsau. Zu spät bemerkte er, dass ein vorausfahrendes Fahrzeug bremste, um abzubiegen. Im Bemühen, einen Auffahrunfall abzuwenden, riss der Mann das Steuer nach links und stiess mit dem entgegenkommenden 81-jährigen Vespafahrer zusammen. Schliesslich rammte er am Strassenrand noch eine Tafel.Beide, Vespafahrer und Unfallverursacher, waren etwa mit den erlaubten 80 km/h unterwegs. Das fand die Polizei heraus. Der Angeklagte erklärte, den Vespafahrer erst im Moment des Zusammenstosses wahrgenommen zu haben. Er sei aus dem Auto ausgestiegen und zu dem am Boden liegenden Verletzten gegangen.«Als ich den Fuss gesehen habe, war fertig», erinnert er sich, dann habe der Schock bei ihm eingesetzt. Irgendjemand habe den Rettungsdienst gerufen. Das Opfer erlitt laut Anklageschrift «diverse schwere innere wie äussere Verletzungen». Am schwersten wog eine offene Fraktur am rechten Unterschenkel, die eine Gefässverletzung nach sich zog, sodass der Unterschenkel amputiert werden musste. Es habe konkrete Lebensgefahr bestanden, ist der Anklageschrift zu entnehmen. Zudem erlitt der 81-Jährige, der zum Zeitpunkt des Unfalls einen Helm trug, Unterblutungen im Schläfenbereich, Riss-Quetsch-Wunden im Mundbereich und am rechten Unterarm, eine Sprengung der Schambeinfuge und des Kreuzbeingelenks sowie mehrere Brüche der Mittelfussknochen am rechten Fuss.Staatsanwältin fordert zwölf Monate bedingtDie Staatsanwältin, sie war nicht bei Gericht erschienen, forderte in der Anklageschrift eine bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, eine Busse in Höhe von 3200 Franken sowie die Übernahme der Verfahrens- und Untersuchungskosten (knapp 8000 Franken).«Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen.» Mehr als einmal griff der Angeklagte auf diesen Satz zurück. Gedacht haben dürfte er damit wohl einerseits an das heute 83-jährige Unfallopfer. Möglicherweise aber auch an sein eigenes Leben, in dem seit seinem 14. Lebensjahr abendliche Joints mit Kollegen einen festen Platz hatten. Damit sei Schluss: «Ich nehme nichts mehr». Den letzten Joint habe er am Abend vor dem Unfall geraucht. Nach dem Unfall musste der 29-Jährige ein Jahr lang regelmässig zur Abstinenzkontrolle den Hausarzt aufsuchen.Sein Mandant habe sich «vorbildhaft und kooperativ» verhalten und sei von Beginn an geständig gewesen, meinte der Verteidiger. Die geforderte Gefängnisstrafe sei «in jedem Fall zu hoch», der Vorwurf der schweren Körperverletzung fallenzulassen.Gericht bleibt unter AnklageforderungenMit acht Monaten Freiheitsstrafe bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren blieb das Gericht unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmass. Die Busse wurde auf 1300 Franken herabgesetzt. Die Verfahrenskosten in Höhe von rund 5500 Franken hat der Angeklagte zu bezahlen.