16.01.2019

«Baukultur geht uns alle an»

Etwa dreissig Architekten haben das neue kantonale Planungs- und Baugesetz zum Anlass für eine Vereinsgründung genommen. Sie möchten die Ortsplanung nicht den Behörden überlassen, sondern das Bauen als gesellschaftliches Thema stärken.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererJoshua Loher, der sich mit Dominik Hutter das Präsidium teilt, sagt, man wolle nicht abwarten, wie die Gemeinden Reglemente und Zonenpläne anpassen, um dann vielleicht die Faust im Sack zu machen. Vielmehr sei es das Bestreben, die Gemeinden zu unterstützen – nicht als Konkurrenten der Raumplaner, sondern ergänzend. Denn «Raumplaner und Architekten denken in anderen Massstäben», sagt Loher.Der Verein nennt sich zwar Interessengemeinschaft Ortsplanung Rheintal, rückt aber nicht eigene Interessen ins Zentrum. In einer Zeit, die verdichtetes Bauen als unumgänglich erscheinen lässt, solle die Entwicklung einer Gemeinde noch mehr von der Bevölkerung mitbestimmt werden, findet der Verein. Dominik Hutter sagt, man wolle das Bewusstsein dafür wecken, was Bauen bedeute. Denn jedes Bauen, fügt Loher hinzu, sei auch ein öffentlicher Akt.Verdichtung heisst nicht immer mehr VolumenZusammengefasst hat der Verein eine Erörterung und eine öffentliche Diskussion über Baukultur im Sinn. Eine Antwort auf die Frage, welche Chancen und Risiken mit der Anpassung der Baureglemente und Zonenpläne verbunden sind. Verdichtet zu bauen, heisse nicht nur, immer grössere Bauvolumen anzuhäufen oder Häuser zusammenzuschieben, sagt Joshua Loher. Oder einfach einen Stock oben aufzusetzen, ergänzt Thomas Hungerbühler. Was am Ende stimmen soll, das ist der Lebensraum, die Lebensqualität, das sind die Aussen- und Zwischenräume, auch die hiervon mitgeprägten nachbarschaftlichen Beziehungen.Das neue kantonale Baugesetz sieht der Verein als gute Chance jeder Gemeinde, die eigene Entwicklung zu überdenken. Allerdings sei zu befürchten, dass die Chance von den Gemeinden selbst nicht ausnahmslos als gute Möglichkeit gewertet, sondern die nötige Anpassung der eigenen Baureglemente und Zonenpläne als Belastung empfunden werde, als lästige Pflicht.Im Hinblick auf die künftige Entwicklung mitzureden und die Bevölkerung mitdenken und mitreden zu lassen, ist dem Verein ein Anliegen, das durch öffentliche Veranstaltungen zum Ausdruck kommen wird. Ausserdem spricht der Verein sich für Gestaltungsbeiräte in den Gemeinden aus – ein Gremium, das Widnau, Altstätten und Balgach schon haben.Die Aufgabe der Beiräte ist es, bei speziellen Projekten, zum Beispiel in einer sensiblen Umgebung, beratend mitzuwirken. Dass Mitglieder des Vereins in solchen Beiräten vertreten sind, sei nicht die feste Absicht – «uns geht es darum, dass es die Beiträge überhaupt gibt», sagt Dominik Hutter.Er selbst ist Mitglied eines solchen Gremiums, aber nicht im Vereinsgebiet, also nicht zwischen St. Margrethen und Rüthi, sondern in Winterthur. Dort ist Hutter auf Vorschlag eines ausgeschiedenen St. Gallers als einer der vorgeschlagenen Nachfolger in die Fachgruppe Städtebau berufen worden.Gutes Bauen ist «nicht nur Geschmackssache»Natürlich ist Bauen stets auch Geschmackssache. Doch gutes Bauen werde ebenso ausnahmslos von klaren, ortsbezogenen Kriterien mitbestimmt, sind sich die Architekten einig. So bedeute zum Beispiel der neue Altstätter Rathausplatz für die Stadt einen Gewinn, auch weil dank seiner Weitläufigkeit aussergewöhnliche Häuser wie die Reburg oder die katholische Kirche freigestellt worden seien. Eine «interessante Entwicklung» wird zudem Widnau bescheinigt, und Au sei bei der Gestaltung des Zentrums vorbildlich vorgegangen, meint Thomas Hungerbühler.Wer nun das Vorurteil hegt, Architekten brächten wohl nie einen Einwand gegen die Überbaubarkeit eines Gebietes vor, erliegt einem Irrtum. Denn den positiven Äusserungen lässt Dominik Hutter ungefragt ein negatives folgen. Den Rebhang oberhalb von Bernecks Fussballplatz, sagt Hutter – und die kleine Architektenrunde pflichtet unisono bei – «hätte nicht eingezont werden dürfen». Woraus eine klare Haltung des neuen Vereins ableitbar ist: Der gesellschaftliche Nutzen soll stets Vorrang gegenüber Einzelinteressen haben. Oder, leicht pathetisch ausgedrückt: «Die Entwicklung des Rheintals liegt uns am Herzen.»i-g-o-r.ch