10.09.2019

Britschgi tritt zurück – «Betrieb geht vor»

Gemüseproduzent Stefan Britschgi tritt per Ende Jahr als Gemeinderat zurück, um seinen Interessenkonflikt zu beseitigen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Für den 57-jährigen Unternehmer, die Familie und mehr noch für die hundert festen Mitarbeiter (45 in Diepoldsau, 56 in Rebstein) wird der Widerstand gegen den Bau einer Rüsthalle zunehmend zur Belastung. Die geplante Halle, sagt Britschgi, sei «nicht nice to have», sondern Voraussetzung für den Fortbestand des Betriebs. Konkurrenz und Partner hätten die Strukturen angepasst, der eigene Betrieb steckt hingegen in Provisorien fest.Seit fünf Jahren ist Britschgi am Planen. Der eigene Hof ist als Standort kein Thema mehr, aber Balgach (Rietmühle), Diepoldsau (Werkstrasse, beim Zoll) und jede andere sich allenfalls bietende Möglichkeit sind aktuelle Varianten. In Diepoldsau setzte der Bau einer Halle eine umstrittene Einzonung voraus.Der Leidensdruck hat zugenommenGegenüber dem Zürcher «Tagesanzeiger» hatte Britschgi Anfang Juni noch ausgeführt, er könne ja nicht gut als Gemeinderat zurücktreten, nur weil er eine neue Halle bauen wolle. Doch der Leidensdruck hat zugenommen, und der Zeitpunkt, um den Abschied als Gemeinderat nach 19 Jahren anzukündigen, erscheint dem Unternehmer jetzt als ideal.Die seit drei Jahren bekannte, demnächst in Kraft tretende Nachfolgeregelung im eigenen Betrieb, die gegenwärtige Verfahrenspause sowie die neu gewonnene Erkenntnis, unabhängig vom letztlich gewählten Standort fürs Bauprojekt kämpfen zu müssen, haben den Sinneswandel herbeigeführt. Auch die zermürbende Notwendigkeit, als Gemeinderat «dauernd im Ausstand zu sein» und die Erfahrung, dass einem die saubere Trennung von Amt und Privatinteressen «sowieso niamer globt», haben wesentlich mitgespielt.Unter dem Titel «Ein Dorf stellt sich gegen seinen Gemüsekönig» hat der «Tagesanzeiger» am 4. Juni schön beschrieben, wie das Milizsystem an seine Grenzen stösst. Bauernpräsident Markus Ritter, einst Stadtrat in Altstätten, nennt im Artikel das Misstrauen aus der Bevölkerung als so gross, dass viele Gewerbler, Unternehmer und Bauern abgeschreckt würden, sich für Gemeinde-Milizämter zur Verfügung zu stellen.Britschgi übergibt das Unternehmen baldDie mehr und mehr in den Vordergrund rückenden Interessen seines Betriebes kann Britschgi «nicht mit zwei Hüten vertreten». Ab nächstem Jahr wird er dies als Verwaltungsratspräsident der Fahrmaad AG tun, einer längst gegründeten, aber erst per 1. Januar aktiv werdenden Firma. Geschäftsführer wird Simon Lässer sein, den Britschgis Sohn Daniel unterstützt. Schon heute führten praktisch diese beiden Nachwuchskräfte den Betrieb, sagt Britschgi, und sie sollten damit unbehelligt von dem Bauproblem fortfahren können.Britschgi sagt, er hege keinen Groll. In seinem Wohnort Diepoldsau, wo gut 400 Unterschriften gegen sein Projekt bei der Gemeinde liegen, nähmen die Dinge korrekt ihren Lauf. Die Beziehung zum Dorf, wenn man so will, ist intakt, aber vielleicht etwas weniger herzlich als früher. Und im «Alpenblick», den Britschgis seit einigen Jahren besitzen, hüllt sich der Hausherr zwangsläufig in Schweigen, wann immer jemand die Halle zur Sprache bringt. Er sagt, erst wenn er kein Gemeinderat mehr sei, könne er offener kommunizieren.Derweil der Unternehmer sich aus dem Gemeinderat zurückzieht, kandidiert er für die FDP als Nationalrat. Sein Wahlkampfleiter ist Reini Frei, als dessen Nachfolger Britschgi seit 2006 dem Kantonsrat angehört. Bereits sein Vater Josef war Kantonsparlamentarier, der aber für die CVP, zudem amtierte er im Dorf als Kirchenpräsident.Die Nationalratskandidatur, sagt der Gemüseproduzent, sei nicht geplant gewesen, im Oktober habe er noch nichts von ihr gewusst, sie habe sich auf Wunsch der FDP ergeben.Wirklich überrascht sein kann er freilich nicht; bei den Wahlen vor vier Jahren fehlte dem Diepoldsauer nicht viel für die Wahl nach Bern, und um den Sitz von Walter Müller zu verteidigen, ist der Gemüseproduzent aus Sicht der FDP ein aussichtsreicher Kandidat. Britschgis Wahlkampfleiter Reini Frei half bei der Umsetzung der Wahlwerbungsidee.«Alpenblick» und Firma rasch gekauftStefan Britschgi ist einer, der schnelle Entscheide nicht scheut. Den «Alpenblick» hat er vor einigen Jahren ohne langes Hin und Her erworben, weil er eine Chance erkannte; heute ist sein Laden hier, und oben wohnen Mitarbeiter.Ebenfalls nur einen Monat brauchte er für den Entschluss, die ProVerda AG als Nachfolge-Firma der ehemaligen Gemüsezentrale Rheintal in Rebstein zu übernehmen. Am 1. Oktober 2012 hatte sich die Frage nach der Übernahme gestellt, schon Ende Monat lautete die Antwort Ja.«Es gab keine Alternative», sagt Britschgi, «nur so ging es weiter.»Heute resümiert er, dass er nichts bereue, dass er es mit dem Neubau allerdings bedeutend schwerer habe als erwartet. Immerhin hat letzte Woche der Gemeinderat von Eggersriet bejaht, dass Britschgis Baugesuch in Diepoldsau sistiert sein könne. Die Ersatzregierung kam zum Einsatz, weil der Rat von Diepoldsau selbst nicht beschlussfähig ist: wegen Befangenheit hatte die Mehrheit des Gemeinderats in den Ausstand zu treten.Keinen falschen Eindruck erweckenAus dem Vorstand der FDP Diepoldsau trat Stefan Britschgi im Frühjahr zurück. Bei den nächsten Gemeinderatswahlen im Herbst 2020 habe er sowieso nicht mehr antreten wollen. Für die Bekanntgabe des vorzeitigen Rücktritts erscheint ihm der jetzige Zeitpunkt auch angesichts seiner Kandidatur fürs Bundesparlament der richtige. Britschgi sagt: «Gäbe ich meinen Gemeinderatsrücktritt erst nach den Nationalratswahlen bekannt, sähe es aus, als würde nun der Bettel hingeworfen.»