11.07.2019

Das Feuerwerk der Mountainbikerinnen

Eine Betrachtung zwischen den zwei Sommer-Weltcuprennen: Die Cross-Country-Frauen bieten hoch spannende 90-Minuten-Shows.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Yves SolenthalerDie frühere Mountainbikerin Nathalie Schneitter, die vor neun Jahren einmal ein Weltcuprennen gewonnen hatte, ist inzwischen Co-Kommentatorin bei Red Bull TV, das wie MySports die Rennen live überträgt.Als sich am letzten Sonntag auf fast 2000 m ü. M. im Kleinstaat Andorra die Ereignisse überschlugen, stellte sie fest: «Seit zwei Jahren sind die Rennen der Frauen interessanter als die der Männer.» Der Wettkampf lieferte eine gute Grundlage für diese Erkenntnis. Denn die Positionen an der Spitze und auch dahinter wechselten dauernd. Es gab grosse Einbrüche und noch grössere Aufbrüche. Bald lieferte Schneitter den passenden Kontrast zu ihren Aktivzeiten: «Früher war es so, dass Gunn-Rita Dahle immer mit zwei Minuten Vorsprung gewann.»Ein Rennen voller dramatischer WendungenDie Norwegerin ist inzwischen zurückgetreten, aber letztes Jahr war die mehrfache Weltmeisterin als 45-Jährige noch Teil der Show: So gewann sie noch 2018 das Rennen im andorranischen Vallnord nach einem packenden Zweikampf mit Jolanda Neff.Die Thalerin ist 20 Jahre jünger als Dahle, die beiden duellierten sich in den vergangenen Saisons oft auf höchster Ebene. Aber zusehends sind jüngere Fahrerinnen in die Weltspitze vorgerückt, darunter mit Alessandra Keller und Sina Frei erfreulicherweise auch zwei Schweizerinnen. Die Niederländerin Anne Tauber ist 24-jährig, sie ist schon mehrmals aufs Podest gefahren und galt als Kandidatin für den ersten Frauen-Weltcupsieg ihres Landes im Cross Country. Die gleichaltrige US-Amerikanerin Kate Courtney gewann in Lenzerheide sehr überraschend WM-Gold und siegte in den ersten zwei Rennen dieser Saison.In Vallnord gehörten Tauber und Courtney zu den Geschlagenen, insofern man bei den Rängen sieben und acht davon reden kann. Beide ereilte dasselbe Schicksal wie viele andere in Andorra: Sie konnten in der dünnen Höhenluft ihr Tempo nicht knapp 90 Minuten lang durchziehen. Auch die 22-jährige Sina Frei machte eine ähnliche Erfahrung, wobei ihr neunter Platz anders zu bewerten ist: Nämlich als zweites Top-10-Ergebnis im dritten Elite-Weltcup ihrer Karriere (nebst einem elften Rang).Dafür fuhren sich andere Fahrerinnen im Verlauf des Rennens in den Vordergrund. Nicht überraschend war dies bei Jana Belomoina (Ukraine). Die 27-Jährige erzielte in Andorra regelmässig Spitzenresultate, diesmal wurde es für sie der dritte Platz. Weniger erwartet worden waren der vierte Platz der Mexikanerin Daniela Campuzano Chavez (33) und der sechste Rang der Belgierin Githa Michiels (36-jährig) – für beide das Karrieren-Bestergebnis.Umso erstaunlicher bei der Fülle an bereits erwähnten Protagonistinnen: Jahrelange Podestanwärterinnen wie die Kanadierinnen Emily Batty und Catharine Pendrel oder Weltmeisterin Annika Langvad (Dänemark) sowie Maja Wloszczowska (Polen) und auch Lea Davison (USA) sind ausser Form oder verletzt.Olympiasiegerin Jenny Rissveds aus Schweden, auch erst 25-jährig, pausierte zwei Jahre wegen Depressionen. Am Sonntag bestritt sie ihr erstes internationales Rennen und fuhr nach einer starken Aufholjagd gleich auf den fünften Platz; im Mountainbike gleichbedeutend mit dem Podium (Top 5).Weitere junge Fahrerinnen wie Haley Smith (Kanada) oder Tomas Litschers Teamkollegin Malene Degn (Dänemark) haben schon aufhorchen lassen, Pauline Ferrand-Prévot, Neffs Dauerrivalin zu Nachwuchszeiten, lauert hinter den absoluten Spitzenplätzen. Auch Annie Last (Grossbritannien) oder die Schweizerin Linda Indergand haben schon gezeigt, dass sie nach vorne fahren können.Diese einmalige Dichte an der Spitze, die zudem noch von vielen verschiedenen Nationen gebildet wird, hat einen Niveauschub bewirkt. Zu sehen ist dies an der 28-jährigen Anne Tauber: Sie konterte am Sonntag einen Angriff von Neff mit einer klugen Gegenattacke und fuhr überraschend zu ihrem ersten Weltcupsieg, dem ersten einer Niederländerin – jetzt ist die jüngere und zuletzt erfolgreichere Anne Tauber am Zug.Der Druck von unten macht alle Fahrerinnen besserKonstant ist über Jahre hinaus aber nur Jolanda Neff. Die dreifache Gesamtweltcupsiegerin hat sich durch die grosse Konkurrenz taktisch gesteigert: Die Vollgas-Fahrerin hat gelernt, ihre Rennen einzuteilen. Die Wandlung deutete sich schon 2018 an, wirklich sichtbar geworden ist sie in Andorra.Neff hatte zwar nicht die Idee, sich auf den 23. Rang zurückfallen zu lassen, ein verhaltener Start war aber durchaus ihr Plan. Sie kam aber schlecht ins Rennen und verlor im Verkehr auf diesen Positionen fast eine Minute.Aber schon in der zweiten Runde war die 26-Jährige wieder nahe an der Spitze. Sie blieb geduldig und schloss erst im vorletzten Umgang zu Terpstra auf. Dass es nicht zum Sieg reichte, lag an Terpstras Stärke und auch daran, dass Neff für ihre Aufholjagd Tribut zollen musste.Doch ihre Vorfahrt vom 23. auf den zweiten Platz war das Hauptereignis eines ohnehin turbulenten Rennens. Nun freuen sich alle auf das Rennen in Les Gets (Frankreich), und darauf, dass die Mountainbikerinnen am Sonntag ab 12 Uhr wieder ein 90-Minuten-Feuerwerk zünden.