Der Präsident des dreiköpfigen Richtergremiums fand in Altstätten deutliche Worte. «Das war nun wirklich eine Kamikazefahrt», sagte er und sprach, entgegen seiner sonst üblichen Ausdrucksweise, von «verdammtem Glück», dass nichts passierte. Der Staatsanwalt hatte die Fahrt als «völlig verantwortungslos» bezeichnet, und selbst der Verteidiger des Angeklagten widersprach nicht. Sein Mandant ist «froh, dass niemandem etwas passierte». Er wiederholte es in seinem Schlusswort, sagte, er wolle nichts schönreden, es tue ihm leid.
Im Mercedes davongebraust
Die Verfolgungsjagd begann am Mittwoch, 2. März vor drei Jahren auf der Autobahn A13, Höhe Au. Eine Equipe des Bundesamts für Zoll- und Grenzsicherheit wollte den Vorarlberger, der Richtung Widnau unterwegs war, zur Kontrolle von der Autobahn leiten, aber der Mann im Mercedes brauste davon, ignorierte Blaulicht und Wechselklanghorn, und verliess in Widnau die A13.
Mit überhöhtem Tempo fuhr er zunächst Richtung Kriessern und dann Richtung Zentrum Widnau. Dort, auf der Bahnhofstrasse, wurde es ein erstes Mal sehr gefährlich. Kurz vor dem Metropol-Kreisel wechselte der Mann abrupt auf die linke Fahrspur, wo eine Autofahrerin ausweichen musste. Er kollidierte mit mehreren Metallstangen in der Strassenmitte und befuhr den Kreisel in falscher Richtung.
Ein Baumstamm beendete die Verfolgungsjagd
Auf seiner Verfolgungsfahrt via Heerbrugg, Lüchingen, Rebstein, Diepoldsau und Kriessern gelangte der Vorarlberger nach Montlingen, wo er die Grenze überqueren wollte, aber Mitarbeitende des Bundesamts für Zoll- und Grenzsicherheit hatten das Zollamt abgesperrt. Nun lenkte der Mann seinen Mercedes auf den Rad- und Fussweg des Rheindamms. Obwohl sich Fussgänger und Velofahrende auf dem Weg befanden, raste der Mann in Richtung Haag. Ein Polizist, der wegen des Flüchtenden auf der parallel verlaufenden Autobahn unterwegs war, schätzte das Tempo des Angeklagten auf 160 km/h. Erst in Haag konnte der Mann verhaftet werden, nachdem er auf einem Forstweg einen Baumstamm gerammt hatte.

Ohne Führerschein und unter Drogeneinfluss
Es zeigte sich, dass der Verhaftete, der über keinen Führerschein verfügte, Kokain konsumiert und einen recht hohen Kokaingehalt von 350 mg/l im Blut hatte. In der Schweiz ist der Mann zwar nicht vorbestraft, in Österreich hingegen mehrfach, wegen des Verkaufs und Konsums von Heroin.
Die eindrücklichste Strafe des seit 2016 (bis zur Verfolgungsjagd) nicht mehr straffällig gewordenen Vorarlbergers waren 20 Monate Gefängnis. Heute sei er clean und beteilige sich an einem Programm, versicherte er. Beruflich ist der Vater zweier Töchter im Primarschulalter in der Produktion tätig, wo er monatlich gegen 2200 Euro netto (Steuern und Krankenkasse schon abgezogen) verdient. Bei der Bank und der Bezirkshauptmannschaft hat er Schulden, insgesamt knapp 17’000 Euro. Nun kommen die Kosten für das Verfahren wegen der Verfolgungsjagd hinzu, womit sich der Schuldenberg praktisch verdoppelt.

Gefängnisstrafe bedingt, Geldstrafe unbedingt
Für den Mann spricht: Er kooperierte von Anfang an und ermöglichte die Durchführung eines sogenannt abgekürzten Verfahrens. Ein solches ist möglich, wenn der vorgeworfene Sachverhalt anerkannt ist, keine Zivilforderungen bestehen und das Strafmass deutlich unter fünf Jahren liegt. Im abgekürzten Verfahren macht die Staatsanwaltschaft einen Urteilsvorschlag.
n diesem Fall lautete er auf 20 Monate Gefängnis bedingt, bei einer Probezeit von drei Jahren, sowie eine Geldstrafe von 3300 Franken. Der Beschuldigte stimmte zu, und das Gericht hiess das vorgeschlagene Urteil gut. Die unbedingte (zu bezahlende) Geldstrafe soll gewährleisten, dass die Strafe, zusammen mit den zu tragenden Verfahrenskosten, eine «ausreichende Warnfunktion» erfüllt, wie der Staatsanwalt vor Gericht meinte.
Interessant ist in Gerichtsverhandlungen jeweils auch, wie ein Strafmass festgelegt wird. In diesem Fall ging der Staatsanwalt von 36 Monaten (Einsatzstrafe) aus, wobei er folgende Zuschläge und Abzüge vornahm: minus neun Monate wegen eingeschränkter Schuldfähigkeit (Kokainkonsum), minus sechs Monate für Geständnis und Kooperation, minus vier Monate wegen der eher langen Verfahrensdauer, plus drei Monate wegen der zahlreichen, aber recht lange zurückliegenden Vorstrafen in Österreich – ergibt unter dem Strich: 20 Monate.
«Das war eine Kamikazefahrt»: Mann liefert sich Verfolgungsjagd mit Grenzbeamten