17.12.2018

Der Sonderfall über dem Rheintal

Der äussere Landesteil Innerrhodens wird zum ersten Mal überhaupt umfassend in einem Buch gewürdigt. Die «Oberegger Geschichte» macht deutlich, dass die Vielfältigkeit des Bezirks seine Identität ausmacht.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Max TinnerEs gibt kaum eine Gemeinde oder eine Region, über die es kein Buch gäbe, das ihre Geschichte beleuchtet und sie porträtiert. Oberegg ist da eine Ausnahme – oder war es bis vor Kurzem. Während andere Ortsgeschichten bereits mehrfach für Neuauflagen überarbeitet worden sind, gibt es erst jetzt ein Buch über Oberegg und seine Geschichte.Die späte Würdigung liegt nicht zuletzt daran, dass Oberegg zum Kanton Appenzell Innerrhoden gehört, in diesem aber vom Inneren Land relativ weit weg ist, sich darum in vielem vom restlichen Kantonsgebiet unterscheidet und in ebenso vielen Belangen ein Sonderfall ist. Die Geschichtsforschung widmete sich deshalb bislang der Einfachheit halber hauptsächlich dem Inneren Land rund um Appenzell.«Dort hat man darum auch nur wenig Ahnung von Oberegg und von den Obereggern», gab Landammann Roland Inauen an der Präsentation der «Oberegger Geschichte» im Vereinssaal dem «Appenzeller Volksfreund» gegenüber freimütig zu. Er freue sich darum aber umso mehr, als sich dies mit dem Buch nun ändere. Erschienen ist die «Ober­egger Geschichte» denn auch in der Reihe der vom Kanton selbst herausgegebenen «Inner­rhoder Schriften».Das Werk hat allerdings eine längere Vorgeschichte. Der Bezirksrat hatte das Buchprojekt schon vor rund 20 Jahren angestossen, fand aber zunächst niemanden, der sich der Aufgabe stellen wollte. An die Hand genommen wurde sie dann doch, nämlich vor zehn Jahren vom Herisauer Historiker Thomas Fuchs. Von ihm stammen denn auch drei Kapitel im Buch. Fuchs gab das Projekt aber wieder auf, weil ihm wegen anderer Arbeiten bald die Zeit dafür fehlte.Oberegg hatte aber Glück: Mit David Hänggi-Aragai, der in Oberegg aufgewachsen ist und gerade 2014 sein Geschichtsstudium abgeschlossen hatte, fand man vor drei Jahren den idealen Nachfolger, der auf Fuchs’ Vorarbeit zurückgreifen, auf jener aufbauen und das Werk vollenden konnte.Weitläufig, verzettelt und darum vielfältigOberegg ist weitläufig, verzettelt und damit vielfältig. Die «Oberegger Geschichte» spiegelt dies, indem sie keiner strengen Chronologie folgt, sondern thematisch gegliedert ist. Natürlich fehlt die Geschichte in ihrer engeren Definition nicht. Sie steht sogar am Anfang des Buchs. Darin ist etwa zu lesen, wie Oberegg überhaupt appenzellisch wurde, warum sich die Grenzen Obereggs über die Jahre immer wieder verändert haben oder auch weshalb der Bezirk bis fast nach Altstätten und Berneck hinab reicht, gleichzeitig aber vom ausserrhodischen Reute auseinanderdividiert ist und mit dem Areal des Klosters Grimmen­stein bei Walzenhausen noch einen dritten Flecken auf der Landkarte einnimmt.David Hänggi-Aragai beleuchtet in seiner «Oberegger Geschichte» in grosszügigen Abschnitten, wie sich über die Jahre der gesellschaftliche Alltag, die Arbeitswelt, das Gemeinwesen, die Schule und das kirchliche Leben verändert haben. Immer wieder werden auch spezielle Aspekte vertiefter betrachtet; dabei werden Besonderheiten Obereggs herausgehoben, etwa die zu früheren Zeiten hier gehäuft vorkommende Kleinwüchsigkeit. Verschiedene Oberegger Persönlichkeiten, verstorbene ebenso wie noch lebende, werden gleichfalls in solchen Fenstern gewürdigt. Selbst das Vereinsleben Obereggs hat seinen Platz im Buch gefunden.Beleuchtet werden auch die früheren und teils heute noch bestehenden Verflechtungen Obereggs mit den angrenzenden Gebieten, etwa im Beitrag über die archäologischen Grabungen auf jenem Hügel, auf dem einst die Burg Hoch-Altstätten stand, oder in den Kapiteln, in denen es um die Zusammenarbeit mit den benachbarten Gemeinden im sozialen Bereich, in der Feuerwehr oder zur Versorgung der Bevölkerung in den fern vom Dorf, zum Rheintal hinab, gelegenen Weiler und Gehöfte geht.Konvergenzzone zwischen Rheintal und AppenzellSolches macht nach Ansicht des Autors deutlich, dass Oberegg eben nicht nur in vielen Belangen ein Sonderfall ist, sondern eine eigentliche Konvergenzzone zwischen dem Rheintal und den beiden Appenzell darstellt.Angesichts der Vielfältigkeit Obereggs dürfte es kaum möglich sein, jedes geschichtliche Detail in einem einzigen Buch abzubilden. Die «Oberegger Geschichte» ist mit über 370 Seiten ohnehin schon ein stattliches Werk geworden. Reich bebildert – sowohl mit Fotografien als auch mit Illustrationen der Oberegger Malerin Silvia Sonderegger-Inauen, von der auch das Titelbild stammt – eignet sich das Buch aber auch bestens, um es nicht Seite um Seite zu lesen, sondern auch nur darin blätternd auf Entdeckungsreise zu gehen.HinweisDavid Hänggi-Aragai: «Oberegger Geschichte. Der äussere Landesteil von Appenzell Innerrhodern», erschienen in der Buchreihe «Innerrhoder Schriften» als Band 18, ISBN 978-3-9524790-8-7. Erhältlich bei der Druckerei Appenzeller Volksfreund (online www.shop.dav.ch) und über den Buchhandel.