07.06.2019

Die Fans standen in Mexiko Schlange

Jahrelang sass Enrico Lenzin im Keller, übte, übte, übte. Zwangsläufig keimten auch Zweifel auf. «Und zmol chasch uf dä ganze Welt spiele, wa’d’kreiert häsch – und d’Lüt händ mega Freud.»

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Im Gespräch mit Enrico Lenzin lautet sein erster Satz so: «I dem Johr hät’s richtig aagfange.»Das heisst: Eine Tournee folgt der nächsten.Die erste führte nach Sibirien (an die Weltsportspiele der Studenten), nach Mexiko und nach Guatemala, das war im März.Vier weitere Konzerte gab der in Altstätten aufgewachsene Rebsteiner in Peru, je zwei in Lima und in Cusco, im April war das.Bald folgen zwei weitere Wochen mit Auftritten in Costa Rica, Panama, El Salvador. Auf dieser Reise begleitet den Perkussionisten die ältere, 14-jährige Tochter. Der Schlagzeuger, Alphornspieler und Talerschwinger hat das Vergnügen, mit seiner ungewöhnlichen musikalischen Symbiose mehrere 1.-August-Feiern im Auftrag der Schweizer Botschaft mitzugestalten, ehe er Ende August eine besonders anstrengende Woche erlebt: In Malaysia, Indonesien und Vietnam stehen insgesamt acht Konzerte auf dem Programm.Die TV-Sternstunde ist drei Jahre herIn Mittel- und Südamerika stand Enrico Lenzin mit Andi Pupato auf der Bühne, der seit zwei Jahrzehnten als Perkussionist bei der Hard-Rock-Band Gotthard spielt. Pupato kennt den Kontinent seit langem und gab Lenzin den Tipp, unbedingt Autogrammkarten mitzunehmen.Tatsächlich: Die Schlange der Fans dürfte sich an einem Konzert in Mexiko über hundert Meter erstreckt haben, sicher eine halbe Stunde war der Rheintaler mit Signieren beschäftigt, nachdem die 3000 Konzertbesucher den Auftritt überschwänglich genossen und «fast die Bühne gestürmt» hätten, wie Lenzin sagt.Die Gattin Pele Mathys, die es hört, bemerkt verschmitzt: «Da hät der gfalle…»Gut drei Jahre ist Lenzins TV-Sternstunde schon her. In der Sendung «Die grössten Schweizer Talente» erhielt der Musiker für seine aussergewöhnliche Darbietung stehenden Beifall, die Jury war einhellig begeistert. Drei Monate lang hatte er für den dreiminütigen Auftritt geübt. Denn «du chasch nöd is Fernseh mit ere schlechte Idee».Lenzins Gattin ergänzt: «Er hät güebt wie’n’en Gschtörte.»Der 48-Jährige spielte im Laufe der Jahre in mehreren Bands. Als Schlagzeuger war er von anderen Musikern abhängig, ein Schlagzeuger spielt nicht allein. Jedenfalls nicht den herkömmlichen Sound.Doch Enrico Lenzin ist einer, der experimentierte, sodass er vor elf Jahren zum ersten Mal mit einem Soloprojekt auf der Bühne stand – damals mit Schlagzeug und anderen Schlaginstrumenten. Erst viel später kam das Talerschwingen dazu, vor fünf Jahren das Alphorn.TV kam auf Lenzin zu, nicht umgekehrtFür die Fernsehsendung hatte er sich nicht beworben. Vielmehr kam man auf ihn zu, die TV-Macher hatten Lenzins Youtoube-Video gesehen, jenes mit dem Talerschwingen und den drei hierbei verwendeten Becken. Die Einladung zum Casting schlug er aus, erst ein Jahr später, als er wieder eingeladen wurde, nahm er die Offerte an. Er sagte sich: «Na gut, probiersch’s halt eifach mol.»Wie er heute die ferne Welt erlebt, begeistert ihn. «Chunnsch irgendwo ane, kennsch niemer und bisch überall extrem willkomme.»Sergio, ein Kunstmaler, der Lenzin in Mexiko im Auftrag des Jazzfestivals vom Flughafen abholte, hatte sogar eine grössere Tafel mit Lenzins Namen gemalt. Nicht beschriftet, sondern akkurat Buchstaben um Buchstaben leuchtend blau zu Papier gebracht.In Guatemala bekam der Rheintaler vor dem Konzert vom Bügermeister ein fein säuberlich gestaltetes Diplom überreicht, und am Zoll in Peru hatten die Beamten an der Kondorfeder, die Lenzin einem musizierenden Schamanen abgekauft hatte, eine solche Freude, dass sie sich für nichts als diese Feder interessierten. Diese Kondorfeder gedenkt der Musiker in künftige Konzerte genauso einzubauen und als Instrument zu benützen wie die Muschel, die er ebenfalls erworben hat.Geburt auf der MeglisalpDass kürzlich Schweiz Tourismus auf ihn zukam, freut Enrico Lenzin speziell.Seine Musik hat zwar durchaus traditionelle Elemente, geht aber weit über das typisch Urchige hinaus und mündet in moderne, unvergleichliche Klanggebilde.Lenzin erfand eine besondere Art von Musik, die es zuvor nicht gegeben hatte.Vielleicht hätte daran auch die Urgrossmutter Freude gehabt, die von Lenzins Gattin ins Spiel gebracht wird.Das Leben jener Vorfahrin zeugt von einer genauso urchigen wie länderübergreifenden Wurzel in Lenzins Familiengeschichte: Die gute Frau, eine Tschechoslowakin, servierte auf der Meglisalp und brachte dort einen gesunden Buben zur Welt: Lenzins Grossvater mütterlicherseits.