Shqipton Rexhaj ist ein autodidaktischer Künstler, der seit 25 Jahren schreibt, Musik produziert und regelmässig auf der Bühne steht. Als er durch eine existenzielle Krise geht, verarbeitet er sie künstlerisch – und schafft daraus ein Werk, das andere berühren und stärken kann. Er sagt:
‹Die Seelenfabrik› ist ein Buch darüber, was bleibt, wenn nichts mehr funktioniert.
Literatur, die ein gesellschaftliches Tabu sichtbar macht.
Rexhaj kam 1986 mit seinen Eltern und seiner älteren Schwester als Flüchtling aus dem Kosovo in die Schweiz. Fünfjährig war er damals. Toni, so nennt ihn selbst seine Mutter, wuchs mit zusätzlich einem in der Schweiz geborenen Bruder in Altstätten auf.
Tonis Vater Kadri Rexhaj ist das Buch gewidmet. Er arbeitete als Literaturprofessor und er ist im Kosovo ein angesehener Schriftsteller. In der Schweiz ernährte er seine Familie als Fabrikarbeiter, die Mutter putzte im Spital.
Das Gefühl, mehr leisten zu müssen als andere Gleichaltrige, hatte ich schon früh verinnerlicht.
Auch seinem Grossvater, an den er frühkindliche Erinnerungen hat, ist im Buch ein Kapitel gewidmet.
«24 Stunden pro Tag waren mir nicht genug»
Toni Rexhaj arbeitete als Teamleiter einer Heimküche. Er zieht mit seiner Frau Marion in Montlingen zwei Buben auf, 15- und 13-jährig. Als 17-Jähriger gab er seinen ersten Gedichtband heraus und arbeitete als Volontär beim «Rheintaler». Mit 24 Jahren erhielt Rexhaj den Kulturförderpreis des Kantons St. Gallen für sein Buch «Heimat der Heimatlosen». Später machte er als Rapper Rexeye Furore. Er produzierte nach eigenen Angaben jeden zweiten Monat einen Song. Von der Aufnahme über die Produktion bis zur Konzertorganisation machte er alles selbst.
«Ich habe ein Leben auf der Überholspur geführt», sagt Toni Rexhaj. «Ich dachte stets, der Tag müsste mehr als 24 Stunden haben.» Hinterfragt habe er seinen Lebensstil nicht. «Bis es nicht mehr ging», erinnert sich Rexhaj. Plötzlich konnte er sich nicht mehr aufraffen, seinen täglichen Verpflichtungen nachzukommen. «Ich war völlig ausgebrannt», sagt er. So lautete auch die Diagnose:
Burnout.
Daheim fand Toni Rexhaj auch nicht zur inneren Ruhe. Er entschloss sich zur Rehabilitation in einer Klinik. Rexhaj nahm sich für seinen sechswöchigen Klinikaufenthalt nebst seiner Genesung vor, das letzte Lied eines geplanten Mini-Albums (EP) zu schreiben. Dazu kam es nicht, beziehungsweise erst später (die EP ist inzwischen erschienen).
Er sagt:
Ich kehrte zu meinen Wurzeln zurück.
Er meint damit das Schreiben, mit dem er als 17-Jähriger seine künstlerische Karriere lancierte. Er zog sich in jeder freien Minute auf sein Zimmer zurück. Fieberhaft schrieb er auf, was er erlebte, wie er sich fühlte und immer wieder blickte er auf sein Leben zurück. Entstanden sind mehr als 40 freie Verse, Gedichte ohne feste Reimform. Es sind feinfühlige Betrachtungen voller Menschlichkeit, in denen Rexhaj viel Persönliches preisgibt.
Schreiben als Form der Therapie
Das Schreiben habe ihm nebst den Therapiesitzungen und langen Spaziergängen dabei geholfen, wieder zu sich zu kommen. Einer Psychiaterin, die seine Umtriebigkeit kritisch sieht, sagt er, das sei für ihn positiver Stress. Das Schreiben habe Glücksgefühle in ihm ausgelöst:
Nach jedem Text habe ich gezittert vor freudiger Erregung.
Dass die Texte in einem Buch erscheinen, war vorerst nicht geplant. Aber je mehr er die Kolleginnen und Kollegen sowie den Alltag in der Klinik kennenlernte, hatte Shqipton Rexhaj den Drang, seine Gedanken zu veröffentlichen. Den Titel des letzten Verses wählte Rexhaj als Buchtitel: «Die Seelenfabrik».
Damit spielt er auf die Klinik an, die, einer Fabrik gleich, 365 Tage im Jahr im Vollbetrieb ist:
Kaum wird ein Zimmer frei, wird es wieder besetzt.
Und daran, dass in diesem speziellen Haus «zwischen Wellness und Weltuntergang» die Seelen von Menschen geheilt werden.
Nicht von Aussenseitern, sondern von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. «Projektleiter, Anwälte, Pöstler – alle Berufe sind von psychischer Erschöpfung betroffen», sagt Rexhaj. Mit der Veröffentlichung der Texte wolle er einen Beitrag leisten, um das Tabu psychische Gesundheit zu brechen. Nicht jeder werde im Laufe seines Lebens ein Burnout erleiden: «Aber jeder kann in eine Phase der Erschöpfung geraten», sagt Shqipton Rexhaj. Mit seinem Buch will der Autor Menschen ermuntern, auf sich und die Signale ihres Körpers zu achten und Schwäche zuzulassen. Anders als er es im Fall einer älteren, piekfein und in edle Gewänder gekleidete Dame erlebte, die selbst gegenüber ihrem nächsten Umfeld ihren Klinikaufenthalt geheim hielt. Die Betrachtung darüber ist im Buch nachzulesen.
Mit dem Buch will Rexhaj ein Tabu brechen
Bevor er einen Verlag suchte, gab Rexhaj seine Texte der Schriftstellerin Jolanda Spirig, die er indes erst danach näher kennenlernte.
Sie hat gesagt: ‹Dieses Buch muss veröffentlicht werden›.
Mit dem Bündner Christian Imhof vom Qultur-Verlag fand Rexhaj einen Verleger, der «Die Seelenfabrik» nachträglich ins jährliche Verlagsprogramm aufnahm. Vor rund einer Woche erschien das Buch, am 30. Juli fand in der Villa im Park in Altstätten die Vernissage mit der Musikerin Manu Oesch statt, die selbst interpretierte Coverversionen von Rexeyes Songs vortrug.
Toni Rexhaj arbeitet inzwischen wieder als Küchenchef.
Koch ist der Beruf, den ich gelernt habe, und der mich weiterhin mit Freude erfüllt.
Als Künstler konzentriert er sich in den nächsten Wochen und Monaten auf die Promotion seines neuesten Buches. An den Arboner Literaturtagen konnte er bereits eine Lesung halten: «Dort habe ich viele positive Feedbacks erhalten.» Weitere Auftritte hat er im Sinn, sei es als klassische Lesung oder auch bei einer Firma, die sich ums Thema «Achtsamkeit» kümmert. Den Rapper Rexeye werde es auch weiterhin geben und der Schriftsteller Shqipton Rexhaj hat seine alte Leidenschaft wieder entdeckt: «Ich werde wieder mehr Texte verfassen, geplant ist derzeit nichts, aber ich würde gern einen Roman schreiben.»
Nicht immer funktionieren. Nicht immer perfekt sein
Toni Rexhaj ist noch immer ein in vielen Bereichen engagierter Mensch. «Ich kenne aber inzwischen die Warnsignale meines Körpers und achte besser darauf, als ich das früher tat», sagt er. Bewusst unternehme er oft lange Spaziergänge mit dem Hund, die Bewegung und die Natur helfen ihm, seinen Kopf zu lüften.
Im Epilog seines neuen Buches schreibt der Autor:
Ich habe in den letzten Monaten vieles losgelassen. Vor allem den Anspruch, immer stark sein zu müssen. Immer zu funktionieren. Immer perfekt zu sein.
«Die Seelenfabrik» von Shqipton Rexhaj ist im Qultur-Verlag erschienen. ISBN: 978-3-9525887-8-9.
«Die Seelenfabrik» von Shqipton Rexhaj – ein Buch über das, was bleibt, wenn nichts mehr funktioniert