22.02.2018

Ein grosses H für das Rheintal

Damit das Rheintal sich zum Vorteil der Menschen entwickelt, ist ein guter Plan nötig. Einen solchen setzt der Bund voraus, damit Geld ins Rheintal fliesst. Was im ersten Anlauf nicht gelang, soll nun klappen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererDas Leben spielt sich nicht innerhalb von Gemeindegrenzen ab. Menschen wohnen nicht unbedingt dort, wo sie leben, sie kaufen nicht nur in ihrem Wohnort ein. Sie bewegen sich frei. Im Fachjargon führt das zu Aussagen wie dieser: «Wir müssen unser Denken auf funktionale Räume ausrichten, die mit den politischen nicht identisch sind.»Leben viele Menschen auf engem Raum, wird es zwangsläufig ungemütlich. Was dies zur Folge haben kann, weiss jeder. Der Autofahrer braucht mehr Geduld, der Fussgänger und Velofahrer fühlt sich weniger sicher und erlebt den Alltag als weniger angenehm.Jenseits der Grenze ist das Problem deutlich grösser als diesseits des Rheins. Einer Verschärfung vorzubeugen heisst, schon jetzt vorauszuschauen und grenzüberschreitend zu planen.Nicht schöne Papiere seien das Ziel, sondern umsetzungsreife Projekte, sagt St. Margrethens Gemeindepräsident Reto Fried­auer, der dem Verein Agglomeration Rheintal vorsteht. Ein erstes Agglomerationsprogramm hatte den Bund nicht überzeugt, das zweite ist sich derzeit am Entfalten wie eine Papierrose im Wasser. In drei Jahren wird es eingereicht. Sein Erfolg setzt umsetzungsreife Massnahmen für die Jahre 2024 bis 2027 voraus.Wohngebiete vom Verkehr entlastenZwar geht es um sehr viel mehr als um Verkehr, auch um den ­Zersiedlungsstopp und die Wahrung der Landschaft. Aber die Mobilität ist ein Hauptaspekt und die Mobilitätsstrategie eine zentrale Grundlage des Agglo-Programms. Diese Mobilitätsstrategie, ein Leitfaden für die Verkehrs- und Raumplanung, erstreckt sich über 148 Seiten.Ein Kernanliegen, wie man weiss, ist die Zusammenführung der Autobahnen beidseits des Rheins – im Norden mit einer neuen Verbindung St. Margrethen – Lustenau, im Süden mit einer neuen Verbindung südlich von Diepoldsau. Zugleich soll der Verkehr aus den Siedlungsge­bieten dank neuer Verbindungen besser zur Autobahn rollen können, was Wohngebiete entlastet. Für solche Entlastungen ist der Blick im St. Galler Rheintal auf drei Schwerpunkte gerichtet.Immer auch an die Industrie denkenIm oberen Rheintal ist die Alt­stätter Ostumfahrung ein wichtiges Projekt: Sie soll vom Kreisel an der Kriessernstrasse bis zum Lidl in Lüchingen führen. Die Absicht ist es, das grosse SFS-Logistikzentrum in Rebstein mit einer Verbindungsstrasse an die Altstätter Ostumfahrung anzuhängen.Im Raum Balgach-Widnau-Diepoldsau geht es darum, die viel befahrende Heerbrugger Entenbad-Kreuzung zu entlasten. Das Leica-Areal wäre an eine Umfahrungsstrasse anzubinden; als geeignet für eine Umfahrung erscheint Balgachs Rietstrasse, doch Balgachs Ortskern soll freilich nicht stärker belastet werden. Vom Grenzübergang bei Au soll eine Verbindung zur Espenstrasse entstehen, die (noch nicht durchgehend) parallel zur Autobahn verläuft.In Oberriet könnte der Schwerverkehr vom Zoll direkt via Eichaustrasse ins Industrie­gebiet Ost gelenkt werden.Hauptstrassen und Ortskerne aufwertenAll dies helfe, die Hauptstrassen, die durch die Ortszentren führen, als Lebensadern aufzuwerten und hier den öffentlichen Verkehr sowie den Fuss- und Veloverkehr zu stärken, sagt Altstättens Stadtpräsident Ruedi Mattle, Vorsitzender der Fachgruppe Verkehr im Verein St. Galler Rheintal. Vorgesehen sind alltagstaugliche ­Velowege, ausgebaute wie neue Verbindungen, auch grenzüberschreitende.Das Agglo-Programm sagt Nein zu isoliert entstehenden Arbeitsgebieten, die schlecht erschlossen wären. Es sagt stattdessen deutlich Ja zu dichten Wohn- und Mischgebieten bei Zentren des öffentlichen Verkehrs, unter Einbezug intelligenter Mobilitätsformen und gewisser Freiräume. Überhaupt, der öffentliche Verkehr. Der hinkt gewaltig hinterher: Nur 11 Prozent beträgt sein Anteil im St. Galler Rheintal, was nicht einmal der Hälfte des kantonalen Durchschnitts von 23 Prozent entspricht.Hier kommt nun ein Buch­stabe ins Spiel, ein grosses T. Es symbolisiert die Hauptachsen St. Margrethen – Altstätten sowie Heerbrugg – Hohenems. Allein auf Schweizer Seite sind entlang diesem T rund 51000 Menschen zu Hause, also 76 Prozent der Rheintaler Bevölkerung. Vier Fünftel aller im Rheintal Arbeitenden tun dies in diesem T, rund 30000 Beschäftigte.Viel Potenzial im urbanen RaumIn diesem urbanen Raum sind nicht nur die Verkehrsprobleme am grössten, sondern steckt auch viel Potenzial. Gerade auch, was den öffentlichen Verkehr betrifft. Denn die räumliche Ausdehnung entspricht der eines städtischen öV-Systems. Es kommt deshalb ein weiterer Buchstabe ins Spiel, ein grosses H. Es symbolisiert zwei Buslinien, die sich zu die-sem Buchstaben zusammenfügen. Die eine Linie führt von St. Margrethen über Heerbrugg und Hohenems nach Götzis, die andere verbindet Altstätten via Heerbrugg und Hohenems mit Dornbirn. Umsteigefrei. Ein Erfolg dieser Idee setzt aber nicht nur die Entlastung der künftigen öV-Achsen vom Verkehr voraus, sondern ebenso ein einheitliches Tarifsystem oder eine Tarifstruktur beidseits der Landesgrenze. Dieses Thema steht daher ganz oben auf der Liste.Nächster grosser Schritt im FrühjahrWas die geplanten Entwicklungen zur Folge haben, ist zwar bereits untersucht worden. Um gerade bei Strassenprojekten von keinen unerwünschten Nebenwirkungen überrascht zu werden und einen grösstmöglichen Nutzen zu erzielen, folgen vertiefte Klärungen, werden Simulationen durchgeführt und Zahlen erhoben. Für die Vertiefungsstudie werden überdies die anstossenden Regionen in die Überlegungen einbezogen.Ein nächster grosser Moment folgt im Frühjahr. Dann wird an der Delegiertenversammlung des Vereins Agglomeration Rheintal das so genannte Zukunftsleitbild verabschiedet.Die Mobilitätsstrategie St. Galler Rheintal ist als Kurz- und als Gesamtbericht auf der Webseite des Vereins St. Galler Rheintal als Download abrufbar: www.regionrheintal.ch