15.12.2018

Entgleister Waggon als Feuertaufe

Der nun pensionierte Hans-Ruedi Kuhn hatte vor drei Jahrzehnten kaum als Bus-Betriebsdisponent angefangen, als in Au ein Zisternenwagen entgleiste und in Brand geriet.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererSchon vor seiner Tätigkeit bei den Rheintalischen Verkehrsbetrieben (heute: Rheintal Bus) hatte Kuhn Spektakuläres erlebt. Als Stellvertreter von Rebsteins Bahnhofsvorstand wurde der gelernte Bahnbetriebsdisponent innerhalb eines halben Jahres zweimal überfallen. Beide Male waren es drei Maskierte und beide Male konnte Kuhn zur Ermittlung der Täter beitragen. Sowohl von der Polizei als auch von den SBB erhielt er zweimal eine Belohnung.Chaotischen Zustand bravourös gemeistert1979, vier Jahre nach dem Lehrabschluss, war der in St. Margrethen aufgewachsene Hans-Ruedi Kuhn nach Rebstein gezogen. Hier präsidierte er ein paar Jahre den Verkehrsverein, und 16 Jahre lang gehörte er dem Gemeinderat an. Beruflich wechselte er Anfang der Achtzigerjahre als Fahrdienstleiter nach St. Margrethen, ehe er ab 1985 zwei Jahre am Bahnhof Heerbrugg als Betriebsdisponent tätig war, wie Kuhns Beruf damals hiess.Zusammen mit der Zeit bei der Bahn hat der heute in Widnau lebende Vater dreier erwachsener Kinder 46 Jahre für den öffentlichen Verkehr gewirkt. Beim Rheintaler Busbetrieb war Kuhn als Betriebsdisponent für einen reibungslosen Busbetrieb verantwortlich.Eine Art Feuertaufe erlebte er mit der Meisterung eines chaotischen Zustandes. Der spektakuläre Unfall in Au, der Brand des entgleisten Zisternenwagens, hatte den Ausfall aller Züge zwischen Au und Heerbrugg während zwei Wochen zur Folge. Hans-Ruedi Kuhn musste bewerkstelligen, dass alle Zugreisenden von frühmorgens bis spätnachts in beide Richtungen zuverlässig mit Bussen vom einen Bahnhof zum andern gebracht wurden. Viele Cars seien in Windeseile zu mieten und Chauffeure sogar aus den Ferien herbeizurufen gewesen.Die Unberechenbarkeit sei besonders anforderungsreich gewesen, sagt Kuhn: Bis zu 500 Reisende kamen pro Zug, die Zahlen schwankten stark. Dass die Aufgabe sich gut habe erfüllen lassen, sei dem ausserordentlichen Einsatz auch der Chauffeure zu verdanken, auf die der Betrieb in ausserordentlichen Situationen bis heute zählen könne.Wie auf Nadeln, weil Tickets nicht kamenDas Angebot des öffentlichen Verkehrs war zu jener Zeit viel kleiner, ebenso die Zahl der Buslinien, für die Hans-Ruedi Kuhn zuständig war. Statt sieben sind es heute vierzig, denn das Unternehmen RTB Rheintal Bus ist – nach dem Zusammenschluss mit anderen Busbetrieben (2004: Wil Mobil, 2007: Bus Sarganserland Werdenberg) zu Bus Ostschweiz geworden.Bei Kuhns Stellenantritt vor drei Jahrzehnten war es zunächst darum gegangen, mit Extrafahrten mehr Umsatz zu machen. Angeboten wurden Fahrten wie jene nach München, zu einem Fussballspiel. Kuhn sass lange wie auf Nadeln, denn am Abend vor der Abfahrt der 120 Teilnehmer waren die rechtzeitig angeforderten Eintrittskarten noch immer nicht eingetroffen. Erst am Tag der Reise, morgens um fünf, konnten sie bei der Post in Altstätten abgeholt werden.Einen gewaltigen Schub brachte der Rex in den Neunzigerjahren. Der Rheintal Express. Auf der Linie Altstätten–Buchs wurden alle Regionalzüge durch Busse ersetzt. «Auf einen Chlapf», sagt Kuhn, sei die Zahl der Fahrgäste markant gestiegen.Über Nacht zum Betriebschef gewordenEinen Karriereschritt ohne Brimborium brachte ein Tag im Jahr 1995. Der bis dahin dem Unternehmen angegliederte Elektro-Betrieb (der noch heute die Abkürzung RhV im Firmennamen führt) wurde vom Verkehrsbetrieb getrennt und verselbstständigt. Hans-Ruedi Kuhn erinnert sich, wie der damalige Chef, Hermann Soller, zu ihm gekommen sei und gemeint habe, ab morgen sei er, Kuhn, der Betriebschef.Die grafischen Fahrpläne zum internen Gebrauch wurden von Hans-Ruedi Kuhn noch mit Tusche gezeichnet. Feinsäuberlich, mit Hilfe des Lineals, auf Pergamentpapier, ehe die Blätter vervielfältigt wurden. War ein Fehler auszumerzen, nahm Kuhn die Rasierklinge zur Hand. Erst seit der Jahrtausendwende gibt es ein Fahrplanprogramm, das keine mühselige Handarbeit mehr erfordert.Mit dem Zusammenschluss einzelner Verkehrsbetriebe zu Bus Ostschweiz wurde aus Rheintal Bus ein sehr viel grösserer Betrieb. Hatte Kuhn die einst 50 Chauffeure beim Vor- und Nachnamen nennen können, inklusive ihre Partnerinnen, musste er am Ende passen; bei über 200 Chauffeuren ist das selbst beim besten Willen nicht mehr möglich.Auch die Arbeitsmenge stieg zu stark, als dass Hans-Ruedi Kuhn noch alles hätte machen können. Dann kam, 2013, auch noch die Einführung der S-Bahn. Der Fahrplan war von Grund auf zu erneuern.Kuhn stand vor der Alternative: entweder Betriebschef bleiben oder sich als Leiter Angebot betätigen. Er wurde letzteres.Den Ernst des Rentner- Arbeitslebens kennenlernenZur Arbeit sei er immer gern gegangen, sagt der 64-Jährige, der seit zehn Jahren in Widnau zu Hause ist. In Rebstein spielt er seit jeher im Tennisclub, im gleich gebliebenen Interclub-Kernteam. Er sei für alles offen, sagt der Rentner, der erwägt, auch eine gemeinnützige Arbeit anzunehmen.Doch seit knapp zwei Wochen lernt er erst einmal den Ernst des Rentner-Arbeitslebens kennen: Für eine chemische Reinigungsfirma sitzt Hans-Ruedi Kuhn im Rahmen eines kleinen Teilzeitjobs als Auslieferer am Steuer.