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Interview 01.12.2023

«Es ist surreal, wie ein Stein zu fallen»: Marcel Schuster saust mit 200 Sachen durch die Luft

Purer Horror für die einen, Normalität und Spass für Marcel Schuster. Der Fallschirmspringer hat sich schon über 7000-mal aus einem Flugzeug gestürzt.

Von Cassandra Wüst
aktualisiert am 02.12.2023

Klappe auf, Mann raus. Fallschirmspringen ist eine faszinierende Sportart, die nicht nur Mut, sondern auch Hingabe und Leidenschaft erfordert. Marcel Schuster aus Au ist einer dieser Menschen mit diesen Eigenschaften. Der 45-Jährige springt schon mehr als sein halbes Leben aus schwindelerregender Höhe. Er ist seit etlichen Jahren Teil des CISM-Fallschirmkaders der Armee und Swiss Skydive. Nach dem zweiten Platz an der Weltmeisterschaft im Zielspringen vergangenes Jahr in Tschechien, doppelte er und sein Team vor kurzem in der diesjähri­-
gen Weltcupsaison nach. Dort erreichten sie den dritten Platz. Im Interview spricht er über schwierige Sprünge, was ein Sprung in ihm auslöst und Keanu Reeves.

Wie bist du zum Fallschirmspringen gekommen?

Marcel Schuster: Mein älterer Bruder war vor zig Jahren in Hawaii, wo er das Fallschirmspringen erlernte. Er meinte, ich sollte das auch machen. Es wäre nämlich cool, die Insel von oben zu sehen, und schön warm sei es auch noch. Also flog ich als 18-Jähriger kurzum über Weihnachten für zwei Wochen nach Hawaii und hatte nach 25 Sprüngen meine Lizenz zum Selbstspringen in der Tasche.

Und wie kamst du vom Freizeitspringer in Hawaii ins Nationalteam?

Das Fallschirmspringen hatte vor allem die ersten Jahre mein Leben vollständig verändert. In meinen Anfängen habe ich 
jede freie Minute auf dem Flugplatz verbracht. Mein ganzes Leben organisierte ich ums Fallschirmspringen. Später folgte der Wech­sel zum semiprofessionellen Zielspringen beim Militär. Finanziell sehr attraktiv, aber auch zeitlich sehr aufwendig, aber sehr gut planbar. Mittlerweile bin ich nun doch schon über 20 Jahre dem Zielspringen verschrieben und auch als Militärsportler in der Armee tätig.

Marcel Schuster (rechts) mit seinem Team am letzten Wettkampf diess Jahres in Dubai.
Marcel Schuster (rechts) mit seinem Team am letzten Wettkampf diess Jahres in Dubai.
Bild: pd

Du arbeitest hauptberuflich als Architekt. Wie gelingt es dir, dies mit deinem Hobby zu managen?

Es ist nicht immer einfach, alles unter einen Hut zu bringen: Familie mit zwei Kindern und Ar­beitgeber. Da braucht es immer etwas Flexibilität.

Als Leader des Schweizer CISM-Teams trägst du eine verantwortungsvolle Rolle. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Team?

Wichtig ist, dass wir uns ge­genseitig völlig vertrauen. Jeder weiss, was der andere kann und was erwartet wird. Wir kennen uns nun schon einige Jahre und springen meistens zusammen, das verbindet ungemein und gibt einen guten Flow.

Du blickst auf ein reiches Palmarés an Auszeichnungen. Was bedeuten solche Erfolge für dich persönlich und für das Team?

Ich bin sehr stolz darauf, dass wir unser Potenzial beim letzten Wettkampf dieses Jahres zeigen konnten und den dritten Platz erreicht haben. Es ist wichtig, den anderen Nationen zu zeigen, dass nicht nur Profiteams das Potenzial dazu haben, erfolgreich zu sein. Auch mit unserer Semi-professional-Struktur mit normaler Arbeitstätigkeit und Milizarmee als Sportsoldat ist dies möglich. Wir haben dies immer wieder mit guten Resultaten bestätigt. Es ist auch sehr motivierend für die jüngere Generation zu sehen, wohin sie selbst gelangen kann.

Das Schweizer Team auf dem dritten Platz am Wettkampf in Dubai.
Das Schweizer Team auf dem dritten Platz am Wettkampf in Dubai.
Bild: pd

Wie bereitest du dich mental und körperlich auf  Wettkämpfe vor?

Körperliche Fitness ist ein guter Grundstein für Erfolge, um auch bei langen Wettkämpfen durchhalten zu können und immer wieder die Konzentration zum richtigen Zeitpunkt erreichen zu können. Vor jedem Wettkampf wird das Zielgelände vorab mit Google Maps von oben betrachtet. So kann man sich schon einmal zurechtfinden und mental schon einige Sprünge im Kopf durchgehen. Wichtig ist immer, dass man ausgeruht und entspannt ist und eine Portion Gelassenheit hat sowie dass man es kann.

Gibt es einen Fallschirmsprung, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Es gibt sehr viele schöne Fallschirmsprünge, die sich über 
die Jahre angesammelt haben. Einer davon ist sicher der Demo-Sprung bei der Olma in St. Gallen. Einmal über der Stadt abspringen zu können, was sonst nicht möglich wäre, und im Gelände in der Olma-Arena zu landen, war einfach nur grandios.

Welcher war der schwierigste Sprung, den du je gemacht hast?

In meinen rund 7000 Fallschirmsprüngen gab es im­-
mer wieder schwierige Sprünge. Es gibt so gesehen aber kei­-
nen schwierigsten Sprung. Das Wich­tigste war und ist immer, die Situation vorab gut zu analysieren, die Windverhältnisse nicht zu unterschätzen – und auch mal nicht aus dem Flugzeug zu springen, wenn man sich nicht sicher war oder es die Verhältnisse nicht zugelassen haben.

«Es ist surreal, wie ein Stein zu fallen»: Marcel Schuster saust mit 200 Sachen durch die Luft

Gibt es einen bestimmten Moment während eines Sprungs, der dir besonders surreal oder ungewöhnlich erscheint?

Eigentlich nicht. Es fühlt sich für mich mittlerweile völlig normal an, aus einem Flugzeug zu springen und wie ein Stein mit 200 km/h dem Boden entgegenzurasen. Surreal ist es, wenn man darüber nachdenkt, weshalb man sich aus einem funktionierenden Flugzeug stürzt, um darauf zu vertrauen, dass dich der Fallschirm rettet.

Wie kannst du dich trotzdem überwinden?

Ich denke gar nicht darüber nach, was schieflaufen könnte, sondern freue mich auf den freien Fall. Und dann ist beim Zielanflug wieder hohe Konzentration und Präzision gefragt.

Welche Ziele hast du dir für die Zukunft gesetzt?

Einen Podestplatz mit dem Team bei einer militärischen Weltmeisterschaft zu erreichen. Was auch noch auf meiner Liste steht, wäre ein Sieg in der Einzelwertung bei einer Weltmeisterschaft oder einem Weltcup. Das wäre bombastisch.

Falls du die Möglichkeit hättest, mit einem Promi zu springen, wen würdest du wählen?

Keanu Reeves. Ich habe ihn ­damals im Film «Gefährliche Brandung» gesehen und als Held gefeiert – und bin immer noch ein totaler Fan.