03.01.2019

Furchtlose Altstätter

Altstätten Das Thema der Neujahrsbegrüssung reicht in die Zeit zurück, in der die zum Ausschank des Forstweins verwendeten Zinnkrüge entstanden. Der anders als sonst gestaltete Anlass war eine Einladung zur Furchtlosigkeit.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
 Gert BrudererStadtpräsident Ruedi Mattle und der evangelische Pfarrer Marcel Ammann bezogen sich als Redner beide auf das biblische Zitat «Fürchtet euch nicht», das in der Heiligen Schrift 365-mal zu lesen ist. Wie Franklin Roosevelt schon sagte: «Das einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.» Wolfgang Kessler, der dieses Zitat als Präsident des organisierenden Verkehrsvereins verwendete, hatte es sich selbst zu Herzen genommen und mit Blend Friction eine Band der Musikschule zur Programmbereicherung verpflichtet.Ruedi Mattle skizzierte mit Berufung auf zwei Bücher, die ihm Eindruck machen, eine segensreiche Entwicklung. Das in Brechts «Mutter Courage» beschriebene, mit furchtbarem Leiden verbundene Leben während des Dreissigjährigen Krieges habe den Liberalismus als Weltanschauung hervorgebracht, also die Möglichkeit des Menschen zur freien Entfaltung.Mit Bezug auf das Buch «Liberalismus der Furcht» beklagte Mattle, dass Liberalismus zum Schimpfwort verkommen sei. Seiner eigentlichen Bedeutung sei der Begriff weitgehend beraubt worden, indem er heute vornehmlich für die Bezeichnung einer kapitalistischen Wirtschaftsform verwendet werde. Liberalismus sei jedoch eine politische Haltung.Wo immer sich auf der Welt Destabilisierungstendenzen erkennen liessen, sei Furcht gesät worden, sagte Mattle, und selbst hierzulande beruhten alle politischen Richtungen auf Furcht, zum Beispiel auf Furcht vor Veränderung oder vor Ungleichheit. Die Altstätterinnen und Altstätter indes hätten sich in jüngerer Vergangenheit durch ein hohes Mass an Furchtlosigkeit ausgezeichnet, indem sie Wegweisendem zugestimmt hätten.Auch sagen, was nicht mehrheitsfähig istDass Überwindung nötig sein kann, beschrieb der evangelische Pfarrer Marcel Ammann. Er bedauert, dass vieles nicht mehr gesagt werde aus Angst, es sei nicht mehrheitsfähig. Zugunsten unserer Gesellschaft wünscht der Pfarrer sich mehr Mut – und als Grundvoraussetzung die Bereitschaft jedes Menschen, den anderen wertzuschätzen, unabhängig von dessen Ansichten und Haltung.Die Neujahrsbegrüssung war vom Verkehrsverein zum elften Mal organisiert worden. Wie immer wurde Forstwein ausgeschenkt, wofür grosse Zinnkrüge bereitgestellt waren. Zinngiesser Lucas Walt hat sie vor 300 Jahren gefertigt.Indem die Band Blend Friction die erste Feier des Jahres musikalisch bereicherte, sollten Junge und Junggebliebene angesprochen werden, wie Wolfgang Kessler sagte. Schon das erste Stück – «House of Gold» – passte perfekt zum prächtigen Göttersaal des Museums Prestegg, wo die etwa sechzig Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich eingefunden hatten. Auch bezüglich dieses Hauses bewiesen die Einwohner der Stadt sich letztes Jahr als mutig und gestaltungsfreudig: dem grossen Ausbauprojekt haben sie deutlich zugestimmt.