20.06.2019

«Gut, seid ihr da»

Sie sind keine Sicherheitsangestellten und noch weniger Polizisten. Vielmehr dienen Bahnhofpaten als Ansprechpartner auf dem Perron. Der Gemeinderat Au und die SBB suchen weitere Freiwillige für das Patenteam.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Hildegard BickelEs gibt Leute, die sich am Abend kaum alleine auf den Bahnhof trauen. Die Unterführung zu benutzen fordert Überwindung, Menschen in Gruppen lösen Unbehagen aus. «Deshalb ist es wichtig, dass jemand vor Ort ist, an den man sich wenden kann. Besonders in den Abendstunden, wenn der bediente Billettschalter geschlossen ist», sagt Walter Schwendener, Koordinator der Bahnhofpaten in Heerbrugg. Immer zu zweit beaufsichtigen die Bahnhofpaten das Geschehen der ein- und ausfahrenden Züge und die Ströme der Reisenden. Zwei Freiwillige, die seit Beginn des Projekts 2012 regelmässig im Einsatz stehen, sind Marcel Adolf aus Berneck und Harald Grimme aus Oberriet.«Den Fahrplan haben wir intus»Harald Grimme ist es wichtig, sich in seiner Pension zu enga­gieren. Der 67-jährige ehemalige Justizbeamte erzählt von einer Frau, die ihm eine Tafel Schokolade in die Hand drückte, einfach dafür, dass er durch seine An­wesenheit auf dem Bahnhofareal ein sicheres Gefühl vermittelte.Für Marcel Adolf, den 28-jährigen Mechaniker in der Textilindustrie, ist die Aufgabe als Bahnhofpate ein Ausgleich zur Arbeit, der interessante Begegnungen mit Passanten ermöglicht. Ein älterer Herr stand kürzlich fragend vor dem Billettautomaten. Die Bahnhofpaten halfen beim Billettlösen, gaben Auskunft zum Fahrplan und wurden zum Dank spontan auf einen Kaffee eingeladen.Es sind solche Wertschätzungen, die den Einsatz von Marcel Adolf und Harald Grimme belohnen. Offiziell erhalten die Freiwilligen eine Spesenentschädigung pro Einsatz, ein Halbtax-Abo, sowie eine Einladung von der Gemeinde zu einem Essen. Auch ein Teamausflug wird durchgeführt.Begegnungen sind nicht immer einfachWährend eines Einführungskurses lernen die Bahnhofpaten, wie sie sich in schwierigen Situationen verhalten sollen. Es kam vor, dass Marcel Adolf eine Gruppe streitender Jugendlicher ermahnen musste, ihr Problem nicht auf dem Bahnhof zu lösen. Dabei gilt es, die eigene Sicherheit zu wahren, sich nicht in Streit einzumischen und dennoch Zivilcourage zu zeigen.Bahnhofpaten dürfen und sollen handeln, indem sie auf Fehlverhalten aufmerksam machen oder Vandalismus und Verschmutzungen melden. In vielen Fällen genügt ihre Präsenz. «Die Leute lassen weniger auf den Boden fallen, wenn jemand hinschaut», sagt Harald Grimme.Spitzt sich eine Situation kritisch zu, können Bahnhofpaten jederzeit Hilfe anfordern bei der Bahnpolizei als erstem Ansprechpartner. Die Paten tragen dieselben Kleider wie die Bahnangestellten. Auf eine polizeiähnliche Uniform wird bewusst verzichtet, da dies provozieren könnte. Der Anstoss, Bahnhofpaten einzusetzen, muss von Seite der Gemeinden kommen. Im Rheintal ist Heerbrugg der einzige Bahnhof mit Paten, der nächste befindet sich in Buchs. Eine gewisse Grösse und ein entsprechendes Einzugsgebiet müssen vorhanden sein, was bei der Zentrumsfunktion in Heerbrugg mit rund 4500 Reisenden gegeben ist.Es braucht Zeit, Sicherheit zu vermittelnAuch die Alkohol- und Drogenszene in Bahnhofsnähe bewog die Gemeinde Au vor sieben Jahren dazu, das Präventionsprogramm RailFair der SBB mit den Bahnhofpaten in Anspruch zu nehmen. «Uns ist es wichtig, dass der Bahnhof als sicherer Ort wahrgenommen wird», sagt Marcel Fürer, Gemeinderatsschreiber in Au. Sobald eine Tätlichkeit vorfällt, sei das Gefühl der Sicherheit hingegen wieder eingeschränkt. «Es braucht Zeit, ein gutes Sicherheitsempfinden aufzubauen.»Der Gemeinderat Au zählt auf Polizeipatrouillen, die Beschallung mit klassischer Musik und den Einsatz der Bahnhof­paten. Acht Freiwillige sind derzeit in Heerbrugg tätig. Walter Schwendener wünscht sich mehr: «Mindestens fünf weitere Bahnhofpaten wären willkommen.» Die Freiwilligen können momentan nur etwa die Hälfte der Wochentage abdecken. Ein Einsatz dauert drei Stunden und kann frei am Abend eingeteilt werden. Am Morgen, wenn die Pendlerströme unterwegs sind, besteht kaum ein Bedürfnis nach Hilfestellungen.Bahnhofpate können all je­- ne werden, die sich in ihrer Freizeit einer sinnvollen Sache widmen möchten. Sie besitzen gesunden Menschenverstand, sind gut zu Fuss unterwegs, teamfähig und beherrschen die deutsche Sprache.HinweisInteressierte Personen melden sich beim Koordinator der Bahnhofpaten, Walter Schwendener, Telefon 079 432 04 88 oder per E-Mail bahnhofpaten@au.ch