24.06.2019

Kokain geschluckt, im Bus gereist, in Kriessern geschnappt

Kokain im Magen hätte eine 29-jährige Nigerianerin fast das Leben gekostet. Sie lebt in Italien, stand aber in Altstätten vor Gericht, weil sie am Kriessner Zoll erwischt und verhaftet wurde.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Was die Frau gemacht hat, ist eine gängige Methode, Kokain und Heroin zu schmuggeln. Oft sind es Menschen aus Nigeria, die sich als Bodypacker betätigen. Das heisst, sie schlucken so genannte Fingerlinge. Das sind kleine, mit Drogen gefüllte Päckchen, die in ein anderes Land gebracht und schliesslich wieder ausgeschieden werden. Natürlich ist diese Transportart gefährlich. Platzt ein Päckchen, hat dies ohne sofortige Operation den Tod zur Folge.Die Frau, die letzte Woche vom Kreisgericht Rheintal zu 28 Monaten Gefängnis verurteilt wurde und die Hälfte dieser Zeit hinter Gitter verbringen muss (der Rest ist auf Bewährung), hat in Amsterdam 58 Fingerlinge geschluckt. Ein weiteres Dutzend, das sie ebenfalls im Magen hätte transportieren sollen, brachte sie nicht mehr hinunter. Also stopfte sie diese restlichen Fingerlinge in eine Socke und diese in ihren Büstenhalter. Insgesamt waren es 820 Gramm teilweise hochwertiges Kokain.Sohn gezeugt durch VergewaltigerEigentlich hatte die Frau in den letzten Jahren kein schlechtes Leben. Doch der Abschied von Nigeria mit 19 Jahren hat im Rückblick einen hohen Preis. Ihr achtjähriger Sohn, der in der Heimat aufwächst, soll in Libyen bei einer Vergewaltigung gezeugt worden sein - gleich «nach der Reise durch die Wüste», und die Reise nach Italien hatte ansehnliche Schulden bei einer Frau zur Folge, die nur als Madame und unter dem Übernamen Que pasa (auf Deutsch: Was ist los) bekannt sein soll.Diese Schulden sind der Grund, weshalb die Frau Anfang November von Mailand nach Amsterdam flog, wo sie die Drogen schluckte. Für die Reise nach Italien benützte sie ab München einen Fernbus.In Kriessern wurde nach der Grenzkontrolle nicht nur die Frau, sondern zudem ein Nigerianer verhaftet, der ebenfalls in seinem Magen Drogen transportierte. Standhaft behauptete die Angeklagte gegenüber der Polizei und vor Gericht, diesen Mann bis dahin nicht gekannt zu haben. Sie habe ihn nur am Düsseldorfer Bahnhof gesehen, wo sie zufällig zur gleichen Zeit am Schalter gewesen seien und der Schalterbeamte vorgeschlagen habe, das Ticket nach München zusammen zu kaufen, dann sei es günstiger.Der Gerichtspräsident wunderte sich: Eine Nigerianerin und ein Nigerianer sind zur gleichen Zeit unterwegs – im gleichen Flugzeug, im gleichen Zug, im gleichen Bus – und kennen sich nicht? Auch dass sie Drogen transportierte, soll der Frau nicht klar gewesen sein, obschon sie eingestand, «weisses Pulver» gesehen zu haben. Immerhin: Von etwas Illegalem war sie ausgegangen. Wie gefährlich es war, weiss sie heute. Nach der Verhaftung kam die Frau, die mit dem Ausscheiden der Drogenpäckchen Mühe hatte, notfallmässig ins Spital.Vorbestraft war sie nicht, das wurde über Interpol geprüft. In Italien, wo sie mit 22 ankam, brtachte sie eineinhalb Jahre im Auffanglager in Lampedusa zu, ehe sie nach Reggio Emilia im Norden Italiens weiterreiste, wo sie seit 2014 mit einer Schwester lebt. Auch ein Cousin lebt in dem Ort, ein anderer in Belgien.Immer gearbeitet und Geld heimgeschicktWiederholt antwortete die Frau vor Gericht auf Fragen des Präsidenten mit einem Nicken, ohne die Englisch-Übersetzung des Dolmetschers abzuwarten. Der Präsident staunte, sie habe offenbar ein besonderes Sprachtalent, was sie bejahte. In Italien habe sie eine Medienschule besucht und die 14-monatige Ausbildung mit einem Diplom abgeschlossen, sagte sie. Ihr erster Job sei eine Art Stage gewesen, sie habe Sekretariats- und Schreibarbeiten erledigt. Weil die Arbeit ihr «nicht gerade zugeflogen» sei, habe sie in einer Fabrik geputzt und aufgeräumt.Die Nigerianerin schickte ihren jüngeren Geschwistern in Nigeria monatlich 100 bis 150 Euro sowie weitere 200 Euro für den achtjährigen Sohn. Pro Monat verdiente sie 800 bis 1200 Euro in der Fabrik, samstags und sonntags betätigte sie sich als Coiffeuse. An einem guten Wochenende konnte es sein, dass sie bis zu 300 Euro einnahm.Zu ihrem Drogenschmuggel will die Angeklagte von Madame Que pasa gezwungen worden sein. In einem Club, dessen Namen die Angeklagte nicht wusste, sollen ihr nicht bekannte Männer sie nach Jahren aufgespürt haben. Madame Que pasa habe ein gutes Netzwerk, einmal fiel vor Gericht das Wort «Mafiatypen». Madame Que pasa habe sie einst zur Arbeit in ein Bordell geschickt, wo man sie aber nicht habe beschäftigen wollen, weil sie schwanger gewesen sei, sagte die Angeklagte. Zeitweise habe Madame sie und ihre Familie mit Vodoo bedroht. Als sie letzten Herbst nach Amsterdam geschickt worden sei, habe sie gedacht, sie würde dort zur Begleichung ihrer Restschuld von 30000 Franken ebenfalls in ein Bordell geschickt.Seit November im GefängnisSeit der Verhaftung in Kriessern sitzt die Nigerianerin im Gefängnis. Allein die Untersuchungshaft erstreckte sich über fast fünf Monate, zusammen mit der anschliessenden Sicherheitshaft sind es mittlerweile über sieben. Im Gerichtssaal in Altstätten hatte die Drogenschmugglerin Fussfesseln zu tragen.Die Verteidigung betrachtete für die «naive Ersttäterin» eine bedingte Gefängnisstrafe von 12 Monaten als angemessen, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Ausserdem sei keine Landesverweisung auszusprechen und habe kein Eintrag im Schengen-Infosystem (SIS) zu erfolgen.Das Gericht folgte weitgehend den Anträgen des Staatsanwalts. Es verurteilte die Nigerianerin zu 28 Monaten Gefängnis (statt der geforderten 30) und beschloss, von diesen seien 14 Monate (statt der geforderten 15) auch tatsächlich abzusitzen, wobei wie gesagt etwa die Hälfte dieser unbedingten Strafe bereits verbüsst ist.Das Kreisgericht sprach einen Landesverweis für sieben Jahre aus, verzichtete aber auf einen Eintrag im SIS. Die Nigerianerin, ein anerkannter Flüchtling in Italien, bekäme dort sonst Probleme, was ihr angesichts ihrer engen Verbindung zum Land erspart bleiben soll. Ein SIS-Eintrag sei unverhältnismässig, findet das Gericht. Unbehelligt durch die Schweiz - und doch erwischtEin grosser Teil der Drogenkuriere, die Kokain oder Heroin schlucken, um es in ihrem Körper über die Grenze schmuggeln, stammt aus Nigeria. Ein halbes Jahr, bevor die nun verurteilte Frau in einem Fernbus am Kriessner Zoll erwischt wurde, konnte hier ein 22-jähriger Nigerianer verhaftet werden, der 92 kleine Päckchen mit Kokain geschluckt hatte.Andere Bodypacker haben Glück und durchqueren auf ihrer Reise von Deutschland nach Italien unbehelligt die Schweiz. Allerdings war von Dezember bis April für insgesamt sechs Bodypacker in der italienischen Provinz Trentino Endstation. Fast alle waren sie im Fernbus unterwegs gewesen. Bei der Überführung der Drogenschmuggler leisteten zwei Drogenhunde wertvolle Hilfe, indem sie die illegalen Betäubungsmittel rochen und dies lautstark bekanntgaben. Einer der Bodypacker hatte 110 Kapseln geschluckt, in denen sich ein Kilo Kokain sowie ein halbes Kilo Heroin von bester Qualität befanden.