08.07.2022

Lebensretterin: "In solchen Momenten funktioniere ich einfach"

Eine Frau reanimierte kürzlich einen Velofahrer in Rüthi. Er überlebte, weil sie einen kühlen Kopf bewahrte – und das nicht zum ersten Mal. «Den Nothelferkurs aufzufrischen ist ein Muss», sagt sie.

Von Cassandra Wüst
aktualisiert am 02.11.2022
D. Mayer* ist am Sonntag, 26. Juni, kurz nach 18 Uhr mit ihrem Hund und einer Freundin am Kanal in Rüthi unterwegs. Die Sonne scheint, es ist heiss. Eine Gruppe von sechs Velofahrern überholt sie. Ein ganz normaler Sonntag, bis Mayer auffällt, dass der ältere Herr auf dem E-Bike in Schlangenlinien fährt. «Ich dachte schon, da stimmt was nicht», sagt sie. Auf einmal stürzte er das Bachbett hinunter. Ohne zu zögern, rannte sie zur Unfallstelle und sah, dass der Mann sich kaum noch bewegte, nach Luft rang und seine Lippen blau angelaufen waren.Während die Angehörigen des Mannes unter Schock standen, begann Mayer sofort mit der Wiederbelebung. «Ich fühlte keinen Puls, also begann ich mit der Herzdruckmassage.» Währenddessen gab sie den Passanten und Angehörigen Anweisungen. «Ich wies eine Frau an, den Notruf zu wählen. Eine andere beatmete ihn auf meinen Befehl hin. Ein Herr wies die Ambulanz und die Rega an den Ort des Geschehens», sagt sie. Der 67-jährige Mann überlebte – dank Mayer, die einen kühlen Kopf bewahrte und wusste, was zu tun war. «In solchen Momenten funktioniere ich einfach.»Schon mehreren Personen das Leben gerettetEs ist nicht das erste Mal, dass Mayer einem Menschen das Leben gerettet hat. Die gebürtige Deutsche, die seit einem Jahr in Rüthi lebt, war bereits bei vier Unfällen als Ersthelferin im Einsatz. Im Alter von 17 Jahren rettete sie einen Mann aus einem brennenden Auto. Ein Jahr später war sie dabei, als sich ihr damaliger Lehrmeister bei der Arbeit eine offene Schienbeinfraktur zuzog. «Ich werde das Geräusch und den Geruch nie vergessen», sagt sie. Auch bei einem anderen Verkehrsunfall war sie als Erste vor Ort.Beängstigend fand sie bei all diesen Vorfällen, dass keiner der Anwesenden wusste, was zu tun war, oder Angst hatte, zu helfen. «Der Vorfall in Rüthi hat mich wieder aufgerüttelt», sagt Mayer und fügt hinzu: «Obwohl es in Rüthi anders war. Die Leute waren super hilfsbereit.» Trotzdem: In sozialen Netzwerken ruft sie dazu auf, einen Auffrischungskurs zu besuchen. Sie selbst hat bereits fünf absolviert, und ein nächster soll bald folgen. «Man fühlt sich einfach sicherer. Die meisten Leute haben wahrscheinlich Angst, etwas falsch zu machen.»Nur jeder Zweite leistet Erste Hilfe in der SchweizEine Studie des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) und der Krankenkasse Helsana im Jahr 2020 zeigt: Nur jede zweite Person traut sich zu, im Notfall zu helfen. Die Bereitschaft der Bevölkerung ist gross, aber das Wissen ist bei jeder zwei-ten befragten Person nicht ausreichend. Dies ist wohl auf die Unsicherheit zurückzuführen, dass der letzte Nothilfekurs oft schon viele Jahre zurückliegt. Im Durchschnitt sind es rund 15 Jahre.«Nur den für Fahrschüler obligatorischen Nothilfekurs zu besuchen, reicht nicht aus», bestätigt auch Norbert Segmüller, Präsident des Samaritervereins Widnau und Vizepräsident des Samariterverbands St. Gallen und Fürstentum Liechtenstein. Er sagt aber auch: «Eigentlich kann man nichts falsch machen, ausser man macht nichts.»Wiederbelebungs- und Auffrischungskurse für Privatpersonen oder Firmen werden zwar von jedem Samariterverein im Rheintal angeboten, jene für Privatpersonen werden aber nur spärlich besucht. Dass dies am Preis liegt (ein Kurs kostet zwischen 100 und 200 Franken), bezweifelt Segmüller. Der Samariterverein Widnau hat kürzlich in Zusammenarbeit mit der Gemeinde einen kompakten Wiederbelebungskurs für 20 Franken organisiert. Von den geplanten zehn Kursen konnten aufgrund der Teilnehmerzahl nur zwei durchgeführt werden. Für wahrscheinlicher hält Segmüller daher, dass es am mangelnden Interesse der Bevölkerung liegt. «Viele Menschen wachen erst auf, wenn sie direkt oder eng betroffen sind», sagt er. Auch D. Mayer ist durch den Vorfall aufgerüttelt worden. «Jeder kann einen Unfall haben. Und dann ist man froh, wenn man Hilfe bekommt», sagt sie.Hinweis* Die Helferin, D. Mayer, wollte aus persönlichen Gründen nicht mit vollem Namen und Foto erwähnt werden. So leistet man Erste HilfeBevor Sie in einem Notfall konkret Erste Hilfe leisten, sollten Sie zuerst einen Schritt zurücktreten, durchatmen und Ruhe bewahren. Ganz nach dem Motto «Schauen, Denken, Handeln». Wenn Sie helfen, ist es wichtig, dass Sie sich nicht selbst in Gefahr bringen. Schauen Sie sich sowohl die grossräumige Umgebung des Unfalls wie auch die direkte Umgebung bei der verletzten Person genau an. Besteht zum Beispiel Gefahr durch nachfolgenden Verkehr oder könnte es beim Unfallopfer zu brennen beginnen? Erst wenn Sie allfällige Risiken minimiert und mögliche Gefahren entschärft haben, sollten Sie sich der Person nähern und Erste Hilfe leisten. Bei der Patientenbeurteilung geht es noch nicht darum, einzuschätzen, was der betroffenen Person genau fehlt. Vielmehr ist es eine grundlegende Einschätzung ihres Zustandes:Ist die betroffene Person ansprechbar? Prüfen Sie, ob sie Wünsche hat, blutet oder Schmerzen hat und kontaktieren Sie, wenn nötig, den Notruf 144.Ist die betroffene Person bewusstlos, atmet aber erkennbar? Bringen Sie sie in eine stabile Seitenlage und wählen Sie den Notruf 144. Prüfen Sie die Atmung bis die Sanität eingetroffen ist.Ist die betroffene Person bewusstlos und atmet nicht? Rufen Sie unverzüglich den Notruf 144 und beginnen Sie anschliessend mit der Wiederbelebung. Drücken Sie 30-mal jeweils 5 bis 6 cm tief mit einer Frequenz von 100 bis 120-mal pro Minute fest und schnell in die Brustkorbmitte, gefolgt von zwei Beatmungsstössen. Achten Sie auf sichtbare Brustkorbbewegungen! Sie können auch nur die Herzdruckmassage ohne Beatmung durchführen. Falls ein Defibrillator (AED) vorhanden ist, schalten Sie das Gerät ein und befolgen Sie die Anweisungen bis Hilfe eingetroffen ist. (Quelle: samariter.ch)HinweisInfos zu Kursen und Angeboten der Samaritervereine sind unter www.samariter-sgfl.ch zu finden.