03.10.2019

Musikerin mit zwei rechten Händen

Die Musikerin Manuela Oesch Olowu arbeitet ab und zu fürs weltbekannte Maskentheater Mummenschanz.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererZwei Jahrzehnte ist es her, dass die 49-Jährige in der Spedition des damaligen Tobler Verlags tätig war. Irgendwann lernte sie Floriana Frassetto kennen, die Lebenspartnerin des 2010 verstorbenen Verlegers Hans Jörg Tobler. Frassetto gründete mit zwei Kollegen 1972 Mummenschanz und hat seither das Repertoire der Gruppe miterfunden. Seit 17 Jahren lebt sie in Altstätten, 2015 wurde sie mit dem Goldiga Törgga ausgezeichnet.Mummenschanzvor neuer TourneeWie es zur Zusammenarbeit mit der in Rebstein aufgewachsenen und auch dort lebenden Manuela Oesch gekommen war? Floriana Frassetto schweift zuerst kurz ab, mit anerkennenden Worten für den Journalisten, weil er «noch von Hand» schreibt. Das tue sie auch, aber wir seien wahrscheinlich schon fast eine Rarität.An Manuela Oesch gerichtet, fährt sie fort: «Ich wusste, du hast zwei rechte Hände.» Also bat sie sie um Hilfe, als sie überlastet war.Seither sind die beiden sporadisch ein Team.Zur verstärkten Mitarbeit der Musikerin und Sängerin, die bis vor einem Jahrzehnt während zehn Jahren eine Ledermanufaktur betrieb, kam es vor zwei Jahren. Mal arbeitet man ein, zwei Tage zusammen, dann vielleicht eine Woche, und «dann wieder sechs Monate gar nicht, wenn ich auf Tournee bin», sagt Floriana Frassetto. Eine solche begann am 3. Oktober in Turin und wird am 5. Oktober in Thun fortgesetzt. Auf der letzten Schweizer Tournee wurden über 100000 Eintrittskarten verkauft.Nervenaufreibende«Gegelete»Mit ihren grossen Figuren und Requisiten bringen Mummenschanz wortlose, poetische Kunst auf die Bühne. Stücke wie das legendäre grüne Maul oder Figuren aus Schläuchen und Röhren sind gelegentlich zu reparieren oder zu erneuern, und bei solcher Arbeit ist die Künstlerin in ihrem grossen Altstätter Atelier auf Hilfe angewiesen. Eine grosse Stoffhand, hinter der die Künstlerin fast ganz verschwindet, wurde zu zweit bezogen, und bei der Herstellung eines Kokons bedurfte Manuela Oesch jener enormen Geduld, die auch die Mummenschanz-Theaterleute aufzubringen haben. Dem Kokon entspringt auf der Bühne ein Schmetterling, der verschiedene Farben und Formen annimmt.Doch bis es so weit war, hat Manuela Oesch einen starken schwarzen Stoff mit anderem, feinmaschigem Stoff umwickelt, der dem Verpacken von Käse dient. Das war eine nervenaufreibende «Gegelete»; an einer der vielen winzigen Maschen hängenzubleiben, bedeutete, dass der Kokon kaputt und wieder von vorn zu beginnen war. Erst mit neuem, nicht mehr ganz so filigranen, synthetischen Material aus Paris klappte es. Auch die Schmetterlingsflügel herzustellen, sei eine Arbeit von mehreren Tagen gewesen.Haare und Tabletsaus WasserleitungenAm liebsten besorgt Floriana Frassetto die Stoffe in Südkorea. Dort imponiert ihr ein sechs Stockwerke hohes Haus mit je einer anderen Art von Stoff auf jeder Etage. Überhaupt findet die Künstlerin einen ansehnlichen Teil des benötigten Materials auf Reisen.Jetzt gerade stehen Hufe einer doppelschwänzigen Kuh auf dem Tisch, die zu erneuern sind. Und Arbeiten zu einer ganz neuen Nummer sind streng geheim, so dass dazu weder die Künstlerin noch ihre Helferin auch nur ein Wort verlieren.Dafür erzählt Floriana Frassetto davon, wie Menschen im Zug, jeder aufs Handy starrend, sie zu einer Nummer inspirierten. Als Material dafür fand sie Filter für Klimaanlagen.Feuer und Flamme fürs neue Projekt, rief sie sogleich Manuela Oesch an, die das Schnittmuster anfertigte und beim Leimen half. Weil das Material kratze, wurde es mit dünnem, elastischem Stoff aus China überzogen, «leider nicht aus Südkorea», fügt die Künstlerin verschmitzt hinzu. Als Floriana ein Muster bringt, ein schwarzes, steifes T-Shirt-artiges Gebilde, fasst Manuela Oesch an den Ärmel, lächelt und bemerkt: «Das habe ich schon tausend Mal geflickt.»Die Tablets entstanden aus einer speziellen Art von Wasserleitung aus Amerika. Auch Haare wurden schon aus ihr gemacht.Neues von einerneuen BandManuela Oeschs Dienste werden immer gebraucht, wenn grosse Stücke zu bearbeiten sind. Schaumgummi zum Beispiel wird als ein Stück von 2 × 1,2 m geliefert. Auch wenn Masken zu entwerfen sind, ist sie zur Stelle, denn einer allein kann nicht die Augen anzeichnen, den Ort von Halterungen bestimmen, die Atemlöcher festlegen. Die Mitarbeit im Mummenschanz-Atelier ist zwar eine alles in allem nur kleine Nebenbeschäftigung, die aber viel Freude bereitet.Bedeutend mehr Zeit wendet die Musikerin auch in Zukunft für ihre Mitwirkung im Duo Peat, in der siebenköpfigen Funkband Organic Stuff, für Mama’s Jukebox und für Liaison auf.Jawohl, richtig gelesen: Liaison.Diese von vier Frauen extra für Altstättens Kulturwoche Staablueme gegründete Band bereitet allen so viel Spass, dass das Projekt fortbesteht. Zur Freude auch von Floriana Frassetto. Das wirklich hochstehende Staablueme-Konzert unter Mitwirkung ihrer ihr freundschaftlich verbundenen Atelier-Hilfe hat sie sich natürlich nicht entgehen lassen.HinweiseMummenschanz am TV: So, 6. Oktober (11.55 Uhr, SRF 1), Sternstunde Kunst: Erstausstrahlung des neuen Films «Floriana Frassetto: Mummenschanz ist mein Leben»; Wiederholungen: Di, 8. Oktober (13 Uhr, SRF info), Sa, 12. Oktober (9.40, SRF 1), So, 20. Oktober (23.25, SRF 1).Mummenschanz auf Tournee: Sa, 12. Oktober (Schaan, Saal am Lindenplatz), Wil (30. und 31. Oktober)