14.05.2020

Not macht Rennpferde erfinderisch

Velorennen finden nicht statt, trotzdem finden Radrennfahrer Herausforderungen, die einem Wettkampf ähneln.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Die Challenge «everest.cc» ist unter Bikern und Velofahrern beliebt: 8848 Höhenmeter an einem Tag. Nicht im Himalaya, sondern auf dem Hügel des Vertrauens. Der inzwischen 17-jährige Noé Dürr aus Eichberg hatte den Hölzlisberg gewählt, der Rheinecker Weltcup-Mountainbiker Simon Vitzthum fuhr am letzten Samstag 25-mal vom Nagelstein in Thal über Wienacht-Tobel bis zum Reservoir Sack in Unterbilchen.«Das ist mein Trainingsberg für Intervalls», erklärt der 25-jährige Halbprofi diese Wahl. Beim Start um 7.10 Uhr war es nach einem kurzen Regen angenehm kühl. Aber während im Verlauf des Tages Vitzthums Beine müde wurden, stieg die Temperatur. Er überwand aber auch die Momente, in denen er viel Biss benötigte: «In den letzten drei, vier Anstiegen musste ich stark leiden.»Vitzthum benötigte für die auf 230 Kilometer verteil-ten 8848 Bergauf-Höhenmeter 10:30 Stunden – entsprechend seinem Ziel, das lautete: Plusminus 10 Stunden.Der Biker trainiert mit voller Intensität. Daneben ist er als Mechaniker (mit Halbpensum) bei Bischibikes in Rorschach tätig – für das Unternehmen des früheren Rheintaler Profis Christof Bischof bestritt er bis letzte Saison auch Rennen. Seit diesem Jahr fährt Vitzthum für jb-Brunex-Felt – wenn überhaupt noch Rennen stattfinden. «Das Gute ist, dass ich vor dem Lockdown schon sieben Rennen bestritten habe», sagt Vitzthum. Noch besser ist, dass zwei Etappensiege an der Mediterranean Epic darunter waren.Allerdings sammelte er im Vorjahr mehr als 100 Renneinsätze. Dieses Jahr muss er andere Formen des Wettkampfkitzels finden. Viele Rad- und Mountainbike-Profis zieht der «King of Mountain» in ihren Bann. Auf Strava, der Onlineplattform für Ausdauersportler, können Segmente festgelegt werden, um sich mit anderen Velocracks zu messen. Vitzthum sieht diese Rekordjagd differenziert: «Auf der Fläche oder gar abwärts ist das sehr gefährlich, aber bei Bergfahrten kann’s interessant sein.» Vor einem Aufstieg, schaut er oft, ob es schon eine Richtzeit gibt – und attackiert diese dann.Es kann vorkommen, dass Thomas Litscher, kürzlich nach Lutzenberg umgezogener Mountainbike-Profi aus Thal, und Vitzthum um eine Bestzeit buhlen. «Aber ich bin nicht bewusst auf bestimmte Bestzeiten aus», sagt Vitzthum. Sein Kollege Litscher schätzt diese Vergleiche auch. Neulich hat er dem Radprofi Michael Albasini aus Gais eine Bestzeit abgenommen: «Am Ruppen und am Stoss resultierten aber nur der dritte und vierte Platz.»Der Hotspot des «King of Mountain» ist aber die Sattelegg: Über die 700 Höhenmeter von Siebnen SZ hat sich eine irrwitzige Rekordjagd entfacht. Florian Vogel, Litschers zurückgetretener Teamkollege (KMC Ekoi Orbea) erhielt am 21. April eine Mail, dass seine Bestzeit unterboten worden sei – von Olympiasieger Nino Schurter. Der St. Galler Radprofi Patrick Schelling unterbot Schurters Zeit nochmals, ehe Vogel mit 27:57 Minuten die Bestzeit zurückholte.Mit Vogel fuhr ein Kollege auf einem E-Bike die Anfahrt an, für Schurter machte Albin Vital zu Beginn das Tempo.Litscher sagt: «Das ist etwas für Spezialisten.» Der Schweizer Bergmeister Vitzthum nimmt die Sattelegg aber in Angriff. Er hat ein Team zusammengestellt. Nun ist aber die Strasse wegen des Unwetters gesperrt, der Angriff muss verschoben werden. Zeit dafür ist ja vorhanden.