18.02.2019

Schlichten, bevor es Scherben gibt

Da hilft jemand, bevor das Gesetz eingreift. Die Ombudsstelle Alter und Behinderung (Osab) unterstützt bei Konflikten im Alter oder bei einer Behinderung. Heime brauchen die Hilfe kaum. Das ist erfreulich.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Hildegard BickelSie liegen prominent neben den Zeitungen zum Mitnehmen bereit. Die Infoblätter zur Schlichtungsstelle. Sie machen im Alters- und Pflegeheim Fahr in St. Margrethen auf die kostenlose juristische Beratung im Konfliktfall aufmerksam. «Doch meist liegen etwa gleich viele Blätter auf», sagt die Heimleiterin Martina Künzler. Sie wertet es als positives Zeichen. Seit sie 2015 die Heimleitung übernommen hat, erlebte sie noch keine Fälle, in denen die Ombudsstelle gefragt war. Dennoch ist sie vom Angebot der Osab überzeugt. «Mir ist es lieber, wenn sich Angehörige an die Osab wenden und beraten lassen, als dass sich Konflikte verhärten.» Altersheim wollte den Vertrag kündigenIn einem Fall, den die Ombudsstelle Alter und Behinderung der Kantone St. Gallen, Appenzell Ausserhoden und Appenzell Innerhoden betreute, stand die Kündigung des Heimvertrages auf dem Spiel. Eine Frau betreute ihren an Parkinson erkrankten Mann über Jahre zu Hause. Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf musste sie ihn immer mehr auch pflegen. Es kam der Zeitpunkt, da die Kräfte der Ehefrau aus Altersgründen nachliessen und sich die Pflege zu aufwendig gestaltete. Ungern fällte die Ehefrau zusammen mit den Kindern den Entscheid, den Ehemann in einem Alters- und Pflegeheim zu platzieren. Nach dem Umzug verbrachte die Frau jeden Tag mehrere Stunden bei ihrem Ehemann im Heim und brachte sich dabei aktiv in seine Betreuung und Pflege ein. In ihrer Wahrnehmung war sie die Spezialistin im Umgang mit ihrem Mann. Zu Beginn duldete dies das Heim und das Pflegepersonal und sah es auch als durchaus willkommene Unterstützung an. Mit der Zeit häuften sich aber Differenzen. Es kam teilweise zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen der Ehefrau und dem Pflegepersonal betreffend Fragen der angemessenen Pflege. Das Heim teilte schliesslich mit, den Heimvertrag kündigen zu wollen. Unter diesem Druck gelangten die Kinder des betroffenen Ehepaares an die Ombudsfrau Susanne Vincenz. Das Heim erklärte sich mit einem Ombudsverfahren einverstanden. Unangenehmes offen aussprechen Im Rahmen von zwei «runden Tischen» legten die beiden Par­teien unter der Leitung der Ombudsfrau die gegenseitigen Erwartungen dar. «Während die Pflegefachpersonen sich in ihrer Kompetenz und Fachlichkeit infrage gestellt fühlten, erlebte die Ehefrau die Zusammenstösse als Zurückweisung und mangelnde Wertschätzung ihr und ihrem Engagement gegenüber», sagt Susanne Vincenz. Nach der Aussprache konnten sich die Ehefrau und die Verantwortlichen des Heims auf eine schriftliche Vereinbarung einigen, in der die gegenseitigen Kompetenzen detailliert geregelt wurden. Die Ombudsstelle hilft mit dem Ziel, teure, belastende und langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. «Idealerweise ist der Konflikt in einem Anfangsstadium, die Si­tuation also noch nicht allzu verfahren», sagt Susanne Vincenz. «Dies ist aber leider nicht die Regel. In der Mehrheit der Fälle schwelt der Konflikt schon lange.» Hohe Erfolgsquote dank raschen LösungenVoraussetzung ist, dass noch kein Rechtsverfahren eingeleitet wurde. Ist dies der Fall, besteht keine Zuständigkeit mehr für die Osab. Der bisher zeitintensivste Fall nahm rund zwölf Stunden in Anspruch. «Manchmal reicht aber auch ein Telefongespräch, in dem eine konkrete Frage mündlich beantwortet und eine Situation sofort geklärt werden kann», sagt Susanne Vincenz. In anderen Fällen finden mehrere Schriftwechsel und Besprechungen statt. Die Erfolgsquote der Ombudsstelle Alter und Behinderung ist seit der Gründung 2014 ungebrochen hoch. Betroffene nehmen in rund 90 Prozent der Fälle einen Vermittlungsvorschlag an. Wenn keine Einigung erzielt werden kann, schliesst Susanne Vincenz das Verfahren als unvermittelt ab. Die erfahrene Rechtsanwältin arbeitet in ei­-nem Pensum von 10 bis 15 Prozent als Ombudsfrau. Ihr fällt auf, dass sich nach einem anfäng­- lich ausgeglichenen Verhältnis von Fragestellungen aus den beiden Bereichen Alter und Be­hinderung in den letzten zwei Jahren mehr Altersfälle ergeben haben. Nützt wie eine VersicherungNachgefragt in einigen Alters­heimen der Region, ist das Angebot der Schlichtungsstelle vielen bekannt, kam aber bisher nicht zum Tragen. Bernhard Handke, Heimleitung Alters- und Pflegeheim Städtli in Berneck, hält die Osab für eine gute Sache, die verfahrene Situationen lösen könne. In der Regel entschärfen aber Gespräche mit der Heimleitung bereits in einem früheren Stadium allfällige Probleme. Prävention sei wichtig, sagt Martina Künzler. Der Fokus liegt dabei auf der Arbeit mit Angehörigen: «Im gegenseitigen Austausch können wir viel auffangen, damit Konflikte erst gar nicht entstehen.» Sie bezeichnet die Osab auch als eine Sicherheit für Heime, wenn eine neutrale Beratung gefragt sei. Christoph Zoller, Regionalstellenleiter der Pro Senectute Altstätten, bestätigt, dass sich Reklamationen meist intern bereinigen lassen. Die Ombudsstelle, die als Verein auch von der Pro Senectute getragen wird, sieht er als eine Art von Versicherung. «Es ist wichtig, dass wir sie haben, doch wir sind froh, wenn wir sie nicht brauchen.» Hinweiswww.osab.ch.