23.07.2019

Sie hebt 30 Kilo in den Rollstuhl

Sarah Zingerli aus Widnau pflegt in Pisa einen behinderten Hund. Aragan wurde bei einem Unfall schwer verletzt.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Sarah Zingerli liebt es sehr, mit Tieren zusammen zu sein. War der Hund ihrer Mutter einmal nicht zu Hause, vermisste sie ihn sofort.Einen eigenen Hund hat die 26-jährige Widnauerin nicht. Und doch lebt sie mit vier Hunden in einem Haushalt, in einem Landhaus im italienischen Coltano bei Pisa.Auszeit bei einer TierärztinSeit Anfang Juni besucht Sarah Zingerli ihre Freundin Sabine Anna Klein. Die Tierärztin übersiedelte vor etwa dreissig Jahren von Deutschland nach Italien. Sie nimmt dort kranke und obdachlose Hunde auf. Betreut sie, spielt und trainiert sie auf dem grossen Anwesen. Eine Begegnung an einer Weiterbildung brachte die beiden Frauen zusammen. Der Wunsch, sich eine Auszeit zu nehmen und einige Monate in der Wärme zu verbringen, führte Sarah Zingerli in die Toscana.Einer der vier Hunde heisst Aragon und ist ein acht Monate alter Rüde, ein Rhodesian Ridgeback. «Er wurde gesund geboren», sagt Sarah Zingerli im Interview via Skype. Die Widnauerin dreht die Webkamera in Richtung Aragon. Auf dem Bildschirm erscheint der junge Hund. Er blickt neugierig in die Kamera und strahlt Lebensfreude aus.Beim Unfall wäre Aragon fast gestorbenAragon benötigt eine spezielle Betreuung. Als 24 Tage alter Welpe verletzte er sich bei einem Unfall die Hinterbeine und die Wirbelsäule. Er wäre fast gestorben und war beinahe gelähmt. Anstatt den Welpen einzuschläfern, wie man ihr geraten hatte, pflegte und trainierte Sabine Anna Klein den leidenden Hund liebevoll. Aragons immenser Lebenswille und seine Kraft unterstützten die Heilung, sodass er im Alter von sieben Monaten am Bein operiert wurde. Die Operation war die Voraussetzung dafür, einmal normal laufen zu können. Aargaon wird Physiotherapie und Schwimmtraining zuteil.Sarah Zingerli hilft Aragon, das Ziel zu erreichen. Sie versorgte seine Wunde nach der Operation, spielt mit dem Welpen und geht fünfmal am Tag mit ihm Gassi. Aragon läuft nicht, er rutscht auf den Hinterbeinen. Deshalb hebt die 26-Jährige das 30 Kilogramm schwere Tier hoch, setzt es in den Rollstuhl und schnallt es an.So wird Aragon gestützt, übt laufen und trainiert seine Muskeln. «Auf die Art verrichtet er sein Geschäft. Er kann ja nicht alleine aufstehen», sagt Sarah Zingerli. «Es ist schön zu sehen, wie er im Wagen mit seiner Mutter, Oma und seiner Schwester Diana spielt. Trotz seiner Behinderung ist Aragon ein aufgestellter Hund. Er liebt es, unter Menschen zu sein. Aaragon hat Lust aufs Leben.»Zwischen Sarah Zingerli und dem Welpen hat sich früh eine innige Bindung entwickelt. Aragon wäre ohne Unterstützung nicht lebensfähig. «Es ist schön, zu erleben, wie sein Vertrauen wächst.» Die Verständigung klappt. «Er weiss, wann es losgeht und versucht, selbst aufzustehen. Dann geht mir das Herz auf.»Sarah Zingerli vergleicht die Betreuung des behinderten Hundes mit der eines Kleinkindes. Im Vergleich zu anderen Hunden wird Aragon nicht erwachsen. «Er entwickelt sich langsam und jeder Fortschritt ist gigantisch.»Sabine Anna Klein hat Aragons Entwicklung dazu inspiriert, künftig überwiegend obdachlose und behinderte Tiere aufzunehmen.Sinne geschärft, um wortlos zu kommunizierenIn den wenigen Wochen in Pisa hat sich Sarah Zingerli ebenfallsentwickelt. Der Aufenthalt sei zur Lern- und Wachstumszeit geworden, sagt sie. «Ich lasse mich nicht mehr so schnell aus dem Konzept bringen.» Verspielte Welpen verhalten sich meist nicht so, wie man es gerne hätte.Nach ihrer Auszeit möchte Sarah Zingerli als Coachin und Trainerin selbstständig arbeiten. Sie hat ihre Sinne dafür geschärft, klar und ohne Worte zu kommunizieren. Auch wird sie wieder freiwillig im Zentrum Augiessen in Widnau arbeiten, als Gesprächspartnerin eines Bewohners.Sarah Zingerli bleibt zunächst noch in Pisa. Ursprünglich wollte sie nach zwei Monaten zurückkehren. Eine schwere Zeit hat sie mit Aragon durchlebt. Sie möchte auch dabei sein, wenn der Durchbruch in seiner gesundheitlichen Entwicklung kommt und er vielleicht wie-der alleine laufen kann. «Es ist noch nicht die Zeit gekommen, zu gehen.»