13.10.2022

Spitex ist personell am Limit

Die Rheintaler Spitex-Vertreter spüren den Fachkräftemangel und schauen besorgt auf den Winter.

Von Yann Lengacher
aktualisiert am 02.11.2022
Die Personaldecke der Rheintaler Spitex-Organisationen ist dünn. Wenn dann Pflegerinnen ausfallen oder kündigen, wird es mit der Betreuung der Patientinnen und Patienten schwieriger. René Sperger, Präsident der Spitex Diepoldsau-Schmitter, weiss das nur zu gut. Vor kurzem kam es in der Diepoldsauer Spitex zu mehreren Abgängen. Trotz Neuanstellungen besteht während den nächsten zwei Monaten eine Unterbesetzung. «Wir können den Betrieb aufrechterhalten, mussten aber planen, wie wir bei einer hohen Aus- oder Überlastung agieren», sagt Sperger. Auch Robert Varani, der Leiter der Spitex Au muss eine Stelle besetzen. «Wir können den Alltag aktuell dank eines flexiblen und motivierten Teams bewältigen», sagt er.Pflegepersonal zu finden ist schwierig und wird immer schwieriger, wie verschiedene Rheintaler Spitexvertreter bestätigen. Sperger spricht von einem «Verdrängungswettbewerb» auf dem Personalmarkt. Er sagt: «Die Fluktuation ist heute enorm hoch. In der Pflegebranche werden zunehmend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgeworben.» Der Vorstand der Spitex Diepoldsau-Schmitter habe in Erwägung gezogen, Mitarbeitenden eine Prämie zu zahlen, wenn diese neue Arbeitskollegen finden. «Selbst wenn wir die Stellen ausschreiben, bewirbt sich niemand», sagt Sperger. Noch verzichte man aber auf die Einführung eines Prämiensystems. Der sorgenvolle Blick Richtung JahresendeDie Spitex Rhycare pflegt in Eichberg, Altstätten, Marbach, Rebstein. Auch hier sei man personell an der Grenze, wie Vorstandspräsiden Urs Noser sagt: «Wir kommen noch knapp durch. Besonders in der Ferienzeit ist es aber schwierig, den Betrieb aufrechtzuerhalten.» Noser blickt mit Sorge auf das Jahresende. Neben dem Einbruch der Grippe droht eine weitere Coronawelle. Die Krankheiten betreffen einerseits Patientinnen und Patienten, sind aber auch der Grund für Personalausfälle. Personell ist die Spitex Rhycare auch aus einem anderen Grund in einer schwierigen Lage: Im Bereich der Krankenpflege müssen Pflegerinnen und Pfleger eine bestimmte Ausbildung mitbringen. Die Spitex Rhycare bietet ausschliesslich Dienstleistungen in diesem Bereich an und kann darum nur Pflegepersonal mit entsprechender Fachausbildung einstellen. Die Menge an potenziellen Angestellten ist damit nochmals kleiner. Die Rheintaler Spitex-Organisationen versuchen dem Personalmangel bisher mit Zusammenarbeit zu begegnen, wie Robert Varani sagt: «Wenn wir knapp bei Personal sind, fragen wir bei der Spitex Widnau oder Berneck nach, ob sie freie Kapazitäten haben. Umgekehrt helfen auch wir aus.» Zudem ständen die Spitex-Organisationen im Austausch miteinander, um gemeinsam Lösungen für das Personalproblem zu diskutieren. Wären Fusionen vielleicht die Lösung? Noser sagt angesprochen darauf: «In einzelnen Bereichen könnte das sinnvoll sein. Beispielsweise in der ambulanten psychiatrischen Pflege.» René Sperger sieht Potenzial in einer Fusion: «Eine grössere Organisation verfügt über einen grösseren Personalbestand. Ausfälle könnten leichter kompensiert werden.» Er gibt aber zu bedenken, dass die Vor- und Nachteile abzuwägen seien. «Zunächst sollten die Spitex-Organisationen die Zusammenarbeit in den bestehenden Strukturen verstärken», sagt er.Spitex-Strukturen im Rheintal sind komplexEine Fusion dürfte ohnehin keine leichte Angelegenheit sein. Allein, weil die Spitex-Organisationen im Rheintal in unterschiedlichen Strukturen funktionieren. So sind die Spitex Au und Widnau jeweils in die Gemeinde integriert. Die Spitex Rhycare oder die Spitex am Alten Rhein sind hingegen Vereine, die mit Gemeinden eine Leistungsvereinbarung haben. Urs Noser appelliert an die Politik: «Die Pflegeinitiative muss so umgesetzt werden, dass endlich weniger Druck auf dem Personal lastet.» [caption_left: Jean-Claude Kleiner war Verwaltungsrat in einem Spital und Ausserrhoder Kantonsrat.  Bild: pd]Nachgefragt«Für kleine Spitex-Vereine wird es schwierig»Jean-Claude Kleiner ist Unternehmensberater mit langjähriger Erfahrung. Als solcher kennt er sich mit Abläufen und Strukturen in Unternehmen und Verwaltungen aus. Er hat neben Privatunternehmen und Kantonen auch Spitex-Organisationen beraten und ist mit den Problemen in der Pflege vertraut. Ein Spezialgebiet von Kleiner sind Fusionen: So war er bei der Strukturreform im Kanton Glarus federführend und hat im Raum Uzwil eine Fusion von mehreren Spitex-Organisationen begleitet.Die Rheintaler Spitex-Organisationen finden kaum Pflegepersonal. Liesse sich das Problem mit einer Anpassung der Spitex-Strukturen abfedern?Jean-Claude Kleiner: Aus meiner Sicht ist eine Professionalisierung der Spitex-Strukturen unausweichlich – nicht nur im Rheintal. Die Bevölkerung altert sehr schnell. Die Leute wollen noch bis ins hohe Alter zu Hause sein. In den nächsten Jahren kommt ein enormer Bedarf auf die Spitex zu. Für kleine Spitex-Vereine mit wenigen Mitarbeitenden wird es schwierig, diesen Bedarf zu decken.Braucht es also eine grosse «Spitex Rheintal»? Eine Fusion hätte gewiss bestimmte Vorteile: Eine grosse Organisation kann personelle Ausfälle leichter kompensieren. Denn sie schöpft aus einem grösseren Personalpool. Sie könnte darum auch leichter Mitarbeiterinnen für Weiterbildungen entbehren, was für kleine Spitex-Vereine schwieriger ist. Eine grössere Spitex wäre daher nicht nur professioneller, sondern auch als Arbeitgeberin attraktiver. Zudem fielen die Fixkosten weniger ins Gewicht.In der Pflege stehen Mitarbeiterinnen ständig unter Druck und müssen in der Freizeit mit Einsätzen rechnen. Kann eine Umstrukturierung diese Probleme lösen? Ich würde sagen, dass diese Probleme in einer grösseren, professionelleren Organisation abgemildert werden. Eine Fusion kann Teil der Lösung sein. Aber alleine damit ist es nicht getan.In der Stadt St. Gallen gab es nach einer Spitex-Fusion Probleme. Die neue Organisation verzeichnet im ersten Jahr einen Verlust von 1,7 Millionen Franken. Eine Fusion ist auch ein Risiko. Da lief einiges falsch. Ich war nicht mit dem Fall betraut und kann darum nur sagen, was aus meiner Sicht ausschlaggebend für eine erfolgreiche Fusion ist: Die Betroffenen müssen involviert sein und zwar wirklich! Nur wenn die Leute die neuen Strukturen mitgestalten können, gelingt eine Fusion. Bevor  eine neue Organisation entstehen kann, müssen die Leute zusammenfinden. (yal)