Der gemusterte Pulli, der im Geschäft so gut ausgesehen hatte, aber jetzt seit zwei Jahren ungetragen im Kleiderschrank liegt. Oder das blaue Hemd, das um die Knöpfe herum doch etwas gar fest spannt: Wir alle haben ungenutzte Kleider im Schrank. Und oft ist der Gedanke gut, wenn man die seit Langem nicht mehr getragenen Stücke in den Sammelsack stopft. Doch: Gesammelte Kleidung landet meist nicht in der lokalen Brocki, sondern im Ausland oder leider auch oft auf einer Deponie.
Doch damit soll bald Schluss sein. Denn in St. Margrethen soll in den nächsten Jahren eine kleine Revolution im Umgang mit Altkleidern stattfinden. Das Unternehmen Tell-Tex plant den Bau des ersten industriellen Textil-Recyclingzentrums der Schweiz. Es soll eine Anlage werden, die dank künstlicher Intelligenz und Robotern Kleidung vollautomatisch sortiert und wiederverwertet.
Vom Altkleidergeschäft zum Recyclingpionier
Seit bald 30 Jahren sammelt Tell-Tex in der ganzen Schweiz gebrauchte Kleider, Schuhe und Heimtextilien ein. Rund 3600 Sammelcontainer werden von knapp 30 Mitarbeitenden betreut. Pro Jahr kommen so rund 20’000 Tonnen Textilien zusammen, das entspricht fast einem Drittel der gesamten Schweizer Altkleidersammlung.
In der Schweiz werden pro Jahr rund 60 neue Kleidungsstücke pro Person gekauft – viermal mehr als noch vor 20 Jahren. Für Mode geben Schweizerinnen und Schweizer heute nur noch rund zwei Prozent ihres Haushaltsbudgets aus, kaufen aber deutlich mehr Kleidung, vor allem online. Laut einer Comparis-Studie von 2024 hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung im vergangenen Jahr mindestens einmal bei einem chinesischen Anbieter wie Temu, Shein oder Aliexpress bestellt. Die Billigware bringt den Altkleidermarkt unter Druck: Die Qualität sinkt, viele Textilien bestehen aus Mischfasern und können kaum recycelt werden.
Rund 40 Prozent der von Tell-Tex jährlich gesammelten Textilien, also etwa 8000 Tonnen, können bislang nicht als Secondhand-Ware verkauft werden. Sie werden zu Putzlappen, Füll- oder Dämmmaterial verarbeitet, oder müssen entsorgt werden. Im geplanten Recyclingzentrum in St. Margrethen will das Unternehmen aber bald auch beschädigte oder abgenutzte Textilien als Sekundärrohstoffe nutzen. Hier sollen Textilien auf industriellem Niveau sortiert, zerkleinert und zu neuen Fasern verarbeitet werden. «Faser-zu-Faser»-Kreislauf wird das in der Branche genannt: Kleidungsstücke und andere Textilien werden in kleine Stücke geschnitten, Knöpfe, Reissverschlüsse und Etiketten entfernt, die Stoffe zu Einzelfasern zerkleinert und aus denen entsteht wiederum neues Garn, mit dem neue Kleidung gefertigt werden kann.
Robotik ersetzt Handarbeit
Ein zentraler Teil des in St. Margrethen geplanten Projekts ist die vollautomatisierte Vorsortierung mit Robotern, die Tell-Tex gemeinsam mit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) entwickelt. «Je mehr wir automatisieren können, desto günstiger wird das Produkt. Mit 30 oder 40 Leuten manuell zu sortieren, das könnten wir uns in der Schweiz gar nicht leisten», erklärt Sascha Sardella, Betriebsleiter bei Tell-Tex. Mithilfe moderner KI-Systeme sollen Roboter Kleidungsstücke so nach Material, Farbe und Qualität sortieren. Sardella sagt:
Bei der künstlichen Intelligenz geht es extrem rasant vorwärts, die Technik wird ständig besser und das kommt auch uns zugute.
40 Millionen Franken und neue Arbeitsplätze
Rund 40 Millionen Franken will Tell-Tex in das Zentrum investieren, bis zu 60 neue Arbeitsplätze sollen geschaffen werden. Und eigentlich sollte die Anlage bereits Anfang 2026 in Betrieb gehen, doch der Start verzögert sich aus diversen Gründen, ein Problem ist unter anderem die Finanzierung des grossen Projektes. Denn Tell-Tex hat sich um Unterstützung aus dem Förderprogramm «Netto Null 2050» vom Bundesamt für Umwelt beworben, das jährlich rund 200 Millionen Franken für nachhaltige Industrieprojekte bereitstellt. Doch das Förderprogramm hinkt dem eigenen Zeitplan hinterher: «Wir warten derzeit unter anderem auf den Entscheid des Bundes, ob wir finanzielle Unterstützung erhalten. Solange wir da noch keine Klarheit haben, können wir auch nicht bauen», sagt Sardella.
Falls aber bald alles wie geplant läuft, könnte der Baubeginn im Sommer 2026 erfolgen. Ein Jahr später sollten dann die ersten Textilien recycelt werden, hofft Sardella.
Darum ist St. Margrethen der ideale Standort
Zwischenzeitlich wurde auch ein Standort näher bei Zürich geprüft, doch St. Margrethen bleibt Priorität Nummer 1. «Die Dreiländerregion ist perfekt für den Export, und die Nähe zu unserem Mutterhaus in Götzis ist ein grosser Vorteil», sagt Sardella. Zudem habe die Ostschweiz eine lange Textiltradition, das Projekt knüpfe bewusst daran an. «Es wäre natürlich schön, wenn man sagen könnte: Die Textilindustrie in der Ostschweiz wird wieder gestärkt.» Wenn alles klappt, wird so bereits nächstes Jahr in St. Margrethen Recycling-Geschichte geschrieben – und aus alten Kleidern werden buchstäblich neue Fäden für die Zukunft gesponnen.
Textil-Revolution im Rheintal: Recyclingzentrum mit Robotern in St. Margrethen geplant