Lehrplan 09.08.2025

Überlebenswichtige Kompetenz vernachlässigt: Lücken im Schwimmunterricht

Schwimmen ist im Lehrplan obligatorisch und verpflichtend. Doch einige Ostschweizer Jugendliche nehmen nie daran teil. Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass der Schwimmunterricht mancherorts nicht oder nur unregelmässig stattfindet.

Von Lisa Grauso
aktualisiert am 09.08.2025

An warmen Sommertagen zieht es zur Abkühlung viele Menschen an den See oder in die Badi – die Gefahren sind dabei leicht vergessen. Immer wieder kommt es zu Unfällen, auch bei Kindern. Umso wichtiger ist es, dass sie lernen, sich sicher im Wasser zu bewegen.
Schwimmunterricht ist deshalb an Schweizer Volksschulen obligatorisch. Doch eine Erhebung der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) zeigt, dass einer von zehn Jugendlichen im Alter von 13 bis 15 Jahren noch nie einen solchen besucht hat.

Ostschweiz «mindestens im Schweizer Durchschnitt»

Alfred Ulmann, Präsident der SLRG Region Ost, ordnet das Ergebnis auf Anfrage ein. Die Zahl sei im internationalen Vergleich nicht schlecht.

Es sind aber noch zu viele Kinder, welche diese vielleicht überlebenswichtigen Kompetenzen in ihrer Schulzeit nicht erlernt haben.

Die Studie enthält auch Zahlen für die Ostschweiz. Zwei von zehn Kindern zwischen 6 und 15 Jahren haben in der Region keinen Schwimmunterricht besucht. Dies entspricht der gesamtschweizerischen Situation für dieselbe Altersgruppe.

Zu beachten ist, dass ein Teil dieser Gruppe – insbesondere die jüngeren Kinder – möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt Schwimmunterricht erhalten wird. Bei den 13- bis 15-Jährigen schätzt Ulmann, dass die Ostschweiz «mindestens im Schweizer Durchschnitt liegt oder sogar etwas besser dasteht».

Unterricht im See statt im Hallenbad

Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass der Schwimmunterricht mancherorts nicht oder nur unregelmässig stattfindet. Zum einen müsse die nötige Anzahl Betreuungspersonen sichergestellt werden. «Früher wurde für die Unterstützung oftmals auf freiwillige Eltern gesetzt. Dies ist heute, ebenfalls aus verschiedenen Gründen, seltener möglich», sagt Ulmann.

Weiter würden Aspekte wie Infrastruktur, Transport und Kosten eine entscheidende Rolle spielen. Vielfach stünden in der Umgebung keine freien Wasserflächen zur Verfügung. Um den Unterricht dennoch durchzuführen, müssten vor allem Schulklassen aus ländlicheren Gegenden einen grossen Anfahrtsweg in Kauf nehmen. «Dies birgt nebst den logistischen Aufwendungen auch zeitliche Probleme. Die Wasserzeit steht, je nach Ort, in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum gesamten Zeitaufwand», sagt Ulmann.

Die Situation könnte durch neue Hallenbäder entspannt werden. «Doch diese sind, nicht nur in unserer Region, aus Kostengründen immer sehr umstritten und scheitern schlussendlich an Volksabstimmungen.» Um das Problem fehlender Hallenbäder zu umgehen, könnte auf offene Gewässer ausgewichen werden.

Obwohl diese Alternative witterungsbedingt eine gewisse Unsicherheit mit sich bringt und die Lehrpersonen für den Unterricht auf offenen Gewässern über eine entsprechende Ausbildung verfügen müssen, begrüsst die SLRG die Option. Ulmann sagt, während die Grundlagen gut im Hallen- oder Freibad erlernt werden können, sei es sinnvoll, die Gefahren von See und Fluss in oder zumindest an den entsprechenden Gewässern zu thematisieren. Unterricht – oder eine Unterrichtssequenz – in offenen Gewässern wäre für Ulmann somit das «Tüpfelchen auf dem i».

Kantone überprüfen Durchführung nicht

Zu überprüfen, ob und in welchem Format der Schwimmunterricht an den Schulen stattfindet, liege nicht im Kompetenzbereich der SLRG, sagt Ulmann. Die Umsetzung des Lehrplans sei Sache der Kantone. Doch eine Anfrage bei den zuständigen Ämtern in St. Gallen, Thurgau, Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden ergibt: Die Schulen unterlaufen grundsätzlich keinen systematischen Überprüfungen im Hinblick auf den Schwimmunterricht.

Einzig Appenzell Ausserrhoden gibt an, Umfragen durchzuführen. Alexander Griesser, wissenschaftlicher Stabsmitarbeiter des St. Galler Amts für Volksschule, schreibt:

Grundsätzlich gilt: Der Lehrplan ist verpflichtend und enthält obligatorisch zu erreichende Ziele zum Bereich Schwimmen, wobei die Schule sicherstellt, dass diese Ziele erreicht werden.

Auch die Ämter für Volksschule der anderen Ostschweizer Kantone bestätigen: Die Verantwortung für das Erreichen der geforderten Wasserkompetenzen liege bei den Schulbehörden.

Eine Richtlinie ist der Wasser-Sicherheits-Check (WSC). Dieser ist darauf ausgelegt, Kindern beizubringen, wie sie sich nach einem Sturz ins Wasser selbstständig ans Ufer oder den Beckenrand retten können. Der WSC ist gemäss Lehrplan obligatorisch und wird üblicherweise während der Primarschulzeit absolviert.

Jährlich ertrinken 50 Menschen

Wasserkompetenz ist wichtig. Das zeigt ein Blick auf die
Unfallzahlen: Rund 18’000 Schwimm- und Badeunfälle registriert die SLRG jährlich. Und noch immer ertrinken jedes Jahr um die fünfzig Menschen, darunter auch Kinder. Das
ergibt die Ertrinkungsstatistik vom November 2024.

Wer die Gefahren kennt und sich sicher im Wasser bewegen kann, ist besser geschützt. In einem Leitfaden identifiziert die World Health Organization (WHO) Schwimm- und Wassersicherheitsunterricht als zentrale Massnahme, um Ertrinkungsunfälle zu vermeiden. Die Verantwortung liegt gemäss Ulmann nicht allein bei den Schulen, sondern auch bei den Eltern.

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