01.07.2021

Vielen Firmen fehlt der Stahl

Stahl ist knapp, das betrifft im Tal die Bauwirtschaft, Betriebe für Präzisionsmechanik, Anlage- und Apparatebau.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
«Ich habe noch nie eine vergleichbare Situation in unserer Branche erlebt», sagt Pascal Haldi, Geschäftsleiter der EHG Stahl.Metall Altstätten. Er arbeite schon 20 Jahre in diesem Metier, aber noch nie hätten so viele verschiedene Faktoren zu einer derartigen Verteuerung und Verknappung beigetragen. Angefangen hat es mit der Coronakrise. Die stahlverarbeitenden Unternehmungen wussten nicht, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelt und brauchten für die laufenden Aufträge ihre Lagerbestände auf. Gleichzeitig brach die Automobilindustrie stark ein, die laut Haldi rund ein Drittel des produzierten Stahls verwendet. Folglich fuhren die Stahlwerke ihre Kapazitäten herunter und kamen nun im Frühling nicht mehr nach, als die Nachfrage überproportional stieg.Mehrere Faktoren treiben den Preis in die HöheDazu kamen weitere Preistreiber. China will seinen CO2-Fussabdruck verkleinern, legt mit fossilen Energieträgern betriebene Hochöfen zur Eisenerzgewinnung still und schmilzt stattdessen nur noch Metallabfall in Elektroöfen um. Das asiatische Land verwertet deshalb seinen Schrott selbst und kauft sogar fremden auf. Der für den Prozess der Eisengewinnung unbedingt notwendige Schrott hat innert Kürze 250 Prozent an Wert zugelegt.In der sowieso schon angespannten Lage verbot die indische Regierung, als die Corona-Fallzahlen diesen Frühling im Land stark anstiegen, den industriellen Gebrauch von Sauerstoff. Das hatte global vor allem auf den Ausstoss von Edelstahl einen Einfluss und trieb den Preis weiter an. Inzwischen wurde das Verbot zwar aufgehoben, ein Auftragsüberhang bleibt bestehen, die Lage in Indien bleibt volatil. «Man muss aber auch sehen, dass der Stahlpreis vor der Coronakrise auf einem sehr tiefem Niveau lag», sagt Pascal Haldi. Stahlwerke sind grosse und wichtige Arbeitgeber in vielen Ländern, obwohl sie in den letzten Jahren kaum gewinnbringend arbeiteten. Nun schreiben sie dank der grossen Nachfrage positive Zahlen. «Da gibt es auch politische Interessen, dass dies so bleibt.» Das zeigt sich, indem in manchen Ländern die Ausfuhr kontingentiert wird oder indem man direkt zu profitieren versucht und wie etwa in Russland die Ausfuhrsteuer erhöht.Stets grosse Schwankungen«Die Preise im Stahl- und Metallhandel sind grossen Schwankungen unterworfen. Das hängt auch mit anderen Entwicklungen an der Börse zusammen», sagt der Geschäftsleiter der EHG Stahl.Metall. Als Beispiel greift er den Tonnenpreis eines Warmbreitbandcoils ab Werk heraus, also eines aufgerollten Blechs: Januar 2010 = 430€, April 2011 = 660 €, August 2016 = 350 €, Februar 2020 = 520 €, April 2021 = 1220 €.Unruhe und Unsicherheiten in einer Branche und deren Umfeld führen in der Marktwirtschaft zu einem defensiven Verhalten und damit zwangsläufig zu Umsatzrückgängen. Von den Verwerfungen im Stahl- und Metallhandel sind hier im Rheintal die Baubranche, die Hersteller von Präzisionsmechanik sowie der Anlage- und Apparatebau betroffen. Die Altstätter Ferdinand Hasler AG beispielsweise ist auf Metallbau und Treppen spezialisiert. Auch sie leidet unter ungewohnt langen Lieferfristen von Rohmaterial. «Wir müssen uns etwa in Sachen Termine absichern mit Einschlüssen wie «bei Verfügbarkeit des Materials», sagt Geschäftsführer Simon Hasler. Auch die Gültigkeit einer Offerte, im Normalfall drei Monate, musste auf einen Monat zurückgesetzt werden. Je nach Materialbedarf gehe es schnell um einige hundert Franken Mehrkosten, sagt Simon Hasler und meint: «Im schlimmsten Fall muss man irgendwann sogar auf die aktuellen Tagespreise verweisen.»Für das kommende Jahr bestellen bereits schwierigWie schwierig es derzeit ist, an Material zu kommen, erklärt Stahlhändler Haldi am Beispiel eines italienischen Werkes, zu dem er eine geschäftliche Beziehung unterhält: «Der Stahlausstoss beträgt zwischen 200 und 250 Tonnen pro Tag, täglich gehen aber Bestellungen von 1000 bis 1500 Tonnen ein, nicht tagesaktuell, sondern bereits für den Januar 2022.» Ein ähnliches Missverhältnis zwischen Bestell- und Liefermengen besteht mit einem russischen Lieferanten. «Ich würde gerne pro Monat fünf bis zehn LKW an Material ordern, zugesagt und geliefert bekomme ich monatlich einen», erklärt Pascal Haldi. Die stärksten Auswüchse in Sachen Preis und Verknappung sind in der Sparte der sogenannten Nicht-Eisenmetallen wie Kupfer, Messing und Aluminium auszumachen, gefolgt von rostfreien Stählen und am wenigsten betroffen ist kostengünstiger Stahl mit hohem Eisenanteil.Eine abenteuerliche AusgangslageAus teurem Aluminium sind rund 70 Prozent der Präzisionsteile, welche die Polymeca herstellt, eine Tochterfirma der Leica Geosystems AG in Heerbrugg. 10 bis 15 Prozent machen die Materialkosten am Gesamtprodukt aus. «Wir gehen mit diesem Problem auf unsere Kunden zu. Ihnen ist auch bewusst, dass die Rohstoffkosten extrem gestiegen sind», sagt Heinz Staub, Verkaufsleiter der Polymeca. Teilweise müsse man den Preisanstieg aber auch selber schlucken, weil sich dadurch beispielsweise das Endprodukt, das der Kunde herstelle, nicht mehr rechne. «Wir sind aber nicht schlecht aufgestellt. Wir haben einen Preisanstieg vorausgesehen und füllten unsere Lager», sagt Staub.Zurzeit präsentiere sich die Lage allerdings abenteuerlich: «Aufgrund der Verknappung muss man viele Monate im Voraus zu einem hohen Preis bestellen, ohne zu wissen, ob nach diesem Material zu diesem Preis dann auch nachgefragt wird.» Deshalb versuche man auch die Kunden ins Boot zu holen, damit sie ebenfalls Abnahmeverträge unterschreiben würden. «Nur so können wir Preis und Lieferung zusichern», sagt Heinz Staub. Es gilt quasi in der Zukunft zu handeln, ohne zu wissen, wie sich die Umstände dann einst präsentieren. «Das Wichtigste ist jetzt Kommunikation, und zwar in jede Richtung. Nur so können die speziellen Verhältnisse von allen eingeordnet und kann bestmöglich mit ihnen umgegangen werden», sagt Heinz Staub. Denn der ausserordentlichen Situation eigen ist auch, dass nicht absehbar ist, ob und wann sie sich wieder normalisieren wird.