01.06.2019

Vielerorts «lebt’s» nicht mehr

Nichts zu klein, eine Steinwüste zu sein? Wer durch die Gegend streift, kann diesen Eindruck gewinnen. Erstrebenswert wäre das Gegenteil: Natur auf noch so kleinen Flächen.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Gert BrudererWarum? Weil Kleingetier wie Käfer, Schmetterlinge, die ökologisch besonders bedeutsamen Bienen und andere Insekten nicht nur im Riet leben und im Siedlungsraum auf viele kleine Oasen angewiesen sind.Biodiversität lautet ein Schlagwort der Stunde, was nichts anderes heisst als biologische Vielfalt. Die Webseite des Bundesamts für Umwelt redet gar nicht erst um den heissen Brei herum, sondern lässt den Besucher kurzerhand wissen: „Die Biodiversiät in der Schweiz befindet sich in einem unbefriedigenden Zustand. Mehr als ein Drittel aller untersuchten Arten sind bedroht, die Fläche wertvoller Lebensräume ist stark geschrumpft, und regionale Besonderheiten gehen verloren.“ Der Verlust an biologischer Vielfalt sei gefährlich, weil er „schleichend aber kontinuierlich“ voranschreite.Es liesse sich viel mehr machenDieser Trend ist auch in unserer Umgebung feststellbar, im Kleinen. Während bei Spendenaktionen jeder Rappen zählt, zählt in der Natur jeder Quadratmeter. Strassen, Plätze, Wege könnten oft begrünt oder bewachsen sein, aber pflegeleichte – oder vermeintlich pflegeleichte – Flächen sind bequemer.Ist die Altstätterin Regula Pracher zu Fuss unterwegs, kommt sie an Orten vorbei, die ihr einst Freude bereiteten. Das sind die Orte, an denen das Mitglied des Naturschutzvereins früher sogleich merkte: «Do lebt’s.» Doch der Umgebung drohe heute die Verarmung. Gern würde sie häufiger Aufwertungsbereitschaft bezeugen statt Rückschritte beklagen. Positiv fiel ihr der Breite-Kreisel auf, weil hier Wildpflanzen gesät wurden. Überhaupt sei die Stadt, was die Gestaltung von Borden und Restflächen betrifft, relativ gut unterwegs, findet Regula Pracher.Doch nicht nur sie selbst, sondern auch der Naturschutzverein ist der Auffassung, es liesse sich deutlich mehr unternehmen. Im Juni des letzten hat der Verein zusammen mit dem in Rebstein lebenden Naturgärtner Patrick Reck mit der Schule zusammengespannt. Im Rahmen einer Projektwoche wurde auf dem Altstätter Klaus-Areal ein Ökoprojekt verwirklicht. Überhaupt ist Biodiversität derzeit in aller Munde, was in der letzten Zeit mit entsprechenden Anlässen zum Ausdruck kommt. Je eine Veranstaltung zum Thema in Altstätten und St.Margrethen waren die jüngsten Bemühungen.Das Tier des Jahres kam zu BesuchGärtner Reck hat die Erfahrung gemacht, dass das Bewusstsein für die Bedeutung der Artenvielfalt innerhalb des Siedlungsgebiets im urbanen Raum eher stärker im Bewusstsein der Menschen ist – wohl darum, weil die Natur dort schon stärker zurückgedrängt wurde. Generell stellt Reck jedoch eine zunehmende Sensibilität sowohl von Privaten als auch der Gemeinden fest. Zum Beispiel habe er Marbachs Gemeindeverwaltung auf positive Weise erlebt, als es darum ging, beim Gemeindehaus einen Baum durch einen einheimischen Strauch und einige Wildstauden zu ersetzen.Reck selbst hat hinter dem Firmengebäude Totholzhaufen und Steinlinsen (d.h. einen vertieften Steinhaufen, der in die Erde hineinreicht). Im letzten Sommer konnte er sich deswegen über vier junge Hermeline auf seinem Grundstück freuen, was ihn umso mehr begeisterte, als das Hermelin 2018 das Tier des Jahres war.Der Kunde wünscht natürlich «etwas für das Auge», sagt der Gärtner. Sei etwas Schönes zugleich ein wertvoller Lebensraum, sei das umso besser; dann «schliesst sich ein Kreis». Reck, der bei Bioterra, der führenden Organisation für den Bio- und Naturgarten in der Schweiz, als Vertreter der Fachbetriebe mitmacht, streicht die Bedeutung der Pflanzenherkunft hervor. So seien ihm zum Beispiel ruderal bepflanzte Verkehrsinseln mit Wandkies lieber als exotische Pflanzen oder Beton. Reck ergänzt, dass vielen Menschen gar nicht klar sei, wie viele gängige Pflanzen gar nicht von hier stammten. Begonien seien das beste Beispiel, ihr Herkunftsort sei der tropische Regenwald.Ebenfalls nicht lückenlos bekannt ist das seit 2001 in der Schweiz bestehende Anwendungsverbot für Herbizide auf und an Strassen, Wegen und Plätzen. Die Substanzen können dort leicht aus- und abgewaschen werden und in die Gewässer gelangen. Ausgenommen ist nur die Behandlung von Problempflanzen entlang der Kantons- und National­strassen. Es kommt noch immer vor, dass sogar einzelne öffentlich-rechtliche Korporationen wie Schulen oder Ortsgemeinden das Verbot missachten und Unkrautvertilgungsmittel verwenden.Artenreichstes Gebiet der Schweiz werdenWeil das Siedlungsgebiet und der Anteil der Strassen wachsen, sehen sich Pflanzen und Tiere mehr und mehr aus ihrem Lebensraum gedrängt; zusätzlichen Druck übt eine intensive Landwirtschaft aus.Der Bund strebt daher eine «ökologische Infrastruktur» an. Vor eineinhalb Jahren hat der Bundesrat den «Aktionsplan zur Strategie Biodiversität Schweiz» verabschiedet. Entstehen kann ein Netz von Grünräumen letztlich nur, wenn alle massgebenden Akteure zusammenspannen, auch ganz «unten», im Lokalen.Was das heissen kann, hat letzten Monat Sargans klargemacht. Die Gemeinde startete ein breitangelegtes Förderprojekt, mit dem sie „das artenreichste Siedlungsgebiet der Schweiz werden“ will. Zu diesem Zweck werden viele Flächen bepflanzt, die heute versiegelt sind oder brach liegen – mit standortgerechten Blumen, Sträuchern und Bäumen."Wenn wir die Biodiversität zurück in die Städte und Dörfer bringen, profitieren letztlich alle.“ Das sagte bei der Vorstellung des Förderprojekts der Sarganser Gemeindepräsident Jörg Tanner als Mitinitiant des Projekts. Der Gemeinde geht es auch darum, mit gutem Beispiel voranzugehen und Private zu ermuntern, es ihr gleichzutun.Im St.Galler Rheintal führt der Verein St. Galler Rheintal unter dem Begriff «das grüne Band» seit gut drei Jahren Anlässe und Aktionen durch, die dem Bewahren der landschaftlichen Vielfalt und der Förderung der Biodiversität in der Siedlung dienen. Die im Rheintal immer wieder hörbare Einladung an die Gemeinden, ihre Vorbildfunktion wahrzunehmen, ist allerdings noch nicht in einem Masse angenommen worden, dass Sargans sich glücklich schätzen dürfte, ernsthafte Konkurrenz zu bekommen.