04.05.2018

Von loderndem und erloschenem Feuer

Ein Präsident, der Feuer entfacht. Ein Profi, bei dem die Fans Schlange stehen. Eine Kunstturnerin, die nach dem Rücktritt in ein Loch fiel. Und ein Olympiasieger, der stets lacht. 450 Besucher wurden Zeugen eines äusserst unterhaltsamen Sportdialogs.

Von Remo Zollinger
aktualisiert am 03.11.2022
Das erste Gespräch trug den Ti­-tel «Begeisterung entfachen». Kaum ein Super-League-Präsident will das so sehr wie St. Gallens Matthias Hüppi. Er sprach vom Verein als Einheit, von einer grün-weissen Region von Steckborn bis ins Puschlav. Davon, die Herzen der Ostschweizer mit mitreissendem Fussball zurückgewinnen zu wollen. Er versprach, mit den Espen die Re­gionen abzuklappern, um die Menschen abzuholen – so trägt der FCSG im Sommer auch in Montlingen ein Testspiel aus.An diesen Versprechungen wird sich Hüppi messen lassen müssen. Ein Besucher fühlte ihm auf den Zahn, fragte: «Hat der FCSG auch wirklich Ambitionen oder entfachen sie einfach das Feuer?» Der FCSG müsse realistisch bleiben, sagte Hüppi, «jeder träumt vom Meistertitel». Nur um die Begeisterung gehe es nicht – sie sei aber ein Teil davon.Hüppis loderndes Feuer war in jedem Wort spürbar. Auch, als er den gleichzeitig auf der Bühne stehenden Profi Nicolas Lüchinger zum Rheintaler Botschafter des Vereins adelte. Lüchinger kam zwischen dem Präsidenten und dessen früheren Berufskollegen Beni Thurnheer wenig zu Wort. Vor dem Dialog war aber er der beliebteste: Bei der Autogrammstunde standen die Fans beim Oberrieter Schlange. Freunde aus der Region nutzten die Gelegenheit, mit dem 23-Jährigen locker einige Worte zu wechseln.Starker Tobak vom früheren Star des KunstturnensDas zweite Thema war Kunstturnen. Eingeläutet wurde der Block von einem hochstehenden Auftritt der Jungtalente des Trainingszentrums Rheintal. Dann war die Reihe an einem Vorbild der jungen Turner, an Ariella Kaeslin. «Mit 30 Jahren ist sie im Kunstturnen eine Urgrossmutter», flachste Beni Thurnheer. «Ich weiss, ich bin alt – aber du bist noch älter», antwortete sie.Danach scherzte sie nicht mehr. Ariella Kaeslin warnte, es würde starker Tobak folgen. 30 Minuten lang erzählte sie von den negativen Seiten des Spitzensports. Von Essstörungen, von einem Körper, der im Sparmodus lebt, um das ideale Wettkampfgewicht zu erreichen. Vom danach erloschenen Feuer. In der Halle war es mucksmäuschenstill, denn Kaeslins Ausführungen kamen von hinter der Kulisse, hinter dem Glanz, den die Europameisterin, Vizeweltmeisterin und dreifache Schweizer Sportlerin des Jahres erlebt hat. Besonders schwer fiel ihr, das Leben nach dem Rücktritt neu aufzubauen. «Danach musste ich vieles neu erlernen. Was esse ich? Was mache in der Freizeit? Wer sind meine Freunde?»Ein stets lachender Olympiasieger rundete den gelungenen Sportdialog ab. Wegen Iouri Podladtchikov waren viele gekommen, ist er doch eine der schillerndsten Figuren der Schweizer Sportszene. «Das liegt im Auge des Betrachters, vielleicht gibt’s ja auch Leute, die mich total langweilig finden», sagte er dazu. Das Gespräch zwischen ihm und Beni Thurnheer lebte nicht vom roten Faden, dieser ging verloren. Es lebte aber von sprühendem Witz, davon, dass sich die beiden immer wieder gegenseitig hochnahmen. Den Zuschauern gefiel’s.