Christlich vor 4 Stunden

Wie Perspektivwechsel dabei hilft, den Glauben und das Miteinander zu vertiefen

In Zeiten ständiger Umfragen und Kommentarspalten scheint die eigene Meinung wichtiger denn je. Doch wirklicher Austausch beginnt erst, wenn wir auch die Sicht der anderen wahrnehmen – im Gespräch, im Glauben und im Alltag.

Von Barbara-Damasche-Bösch, Pfarrerin
aktualisiert vor 3 Stunden

Das Telefon klingelte: wieder eine Meinungsumfrage. Im Internet werde ich aufgefordert, meine Meinung kundzutun. Beim Einkauf wird meine Meinung erbeten. Meine Meinung scheint in den letzten Jahren wichtiger und vor allem wirtschaftlich interessanter geworden zu sein.

Durch das Internet haben viele Menschen die Möglichkeit, ihre Meinung ungefiltert und frei kundzutun. Das ist erfreulich. In Kommentarspalten kommt mir aber bisweilen ein Ton entgegen, der mir Sorgen bereitet und den ich so im direkten Gespräch viel seltener erlebe. Ich frage mich, weshalb die Schreibenden sich nicht wenigstens bemühen, die Perspektive des anderen ansatzweise zu verstehen. Meiner Meinung nach sollten alle, die sich öffentlich äussern, solche Perspektivwechsel und die damit verbundene Denkarbeit leisten.

Ein erklärendes Gedankenspiel

In den Herbstferien stand ich an der Ostsee und blickte auf die Weite des Meeres. Ein eindrücklich grosses Schiff kreuzte am Horizont. Da fragte ich mich, wie wohl die Menschen an Bord dieses Schiffes die Küste und den Strand wahrnehmen würden. Weil ich auch schon vom Wasser aus aufs Land geschaut hatte, konnte ich mir ihre Perspektive einigermassen vorstellen. Viel schwerer wäre es mir gefallen, wenn ich nur die Erfahrung des Blickes auf das Wasser gehabt hätte. Und doch blieb mein Bild von der Sicht der Menschen an Bord des Schiffes nur mein Bild von dieser Sicht.

Dieses Gedankenspiel zeigte mir, dass meine Sicht und meine Meinung immer nur einen Teil der Wahrheit abbilden können. Meine Meinung ist immer begrenzt. Diese Einsicht hilft, die Meinungen anderer – ich nenne sie «Deinungen» – ernst zu nehmen, verstehen zu wollen und zu prüfen.

Was sagt die Bibel dazu?

Die biblische Botschaft besagt, dass wir das, was über uns in dieser Welt hinausweist, Gott nennen dürfen. Gott wird in der Bibel verschieden erfahren: von Mose im Feuer und von Elija im sanften Windhauch, von Josua im Kampf und von Jona im Vergeben, von Petrus im Eigenen und von Paulus im Fremden.

Auch in Bezug auf den Glauben gibt es viele Meinungen. In offenen Religionsgemeinschaften und Gesellschaften prägen Meinungen und «Deinungen» sich gegenseitig. Entscheidend bleibt, dass sie sich an den «Seinungen» Gottes ausrichten und so auf ein friedliches Zusammenleben im Mit- und Füreinander hinwirken. Ich fände es wichtig, wieder vermehrt Meinungen und «Deinungen» über Gott und die «Seinungen» auszutauschen und zu reflektieren – sei es im Gespräch am Telefon, im Internet oder beim Einkauf.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

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